Dienstag, 29 August 2017 09:26

Nationalpark Stilfserjoch - Wolf und Bär in Südtirol – Eine Zwischenbewertung

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Braunbaer 1Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Bartholomäus, 24. August 2017

Der zweite Angriff der Junge führenden Bärin KJ2 auf einen Menschen 2017 nach 2015 im Trentino hat die Angst vor dem Großen Beutegreifer verstärkt und die Diskussion um die Sinnhaftigkeit des Wiederansiedlungsprojektes Life Ursus neu befeuert. Wegen seiner Anordnung, die verhaltensauffällige Bärin abschießen zu lassen, wurde der Trentiner Landeshauptmann Ugo Rossi von Artenschutzfundamentalisten auf Protestplakaten als Mörder bezeichnet.  


Die zunehmende Zahl von Wolfrissen an gesömmerten Almtieren erbost, verbittert und enttäuscht die viehhaltenden Bauern und Almbewirtschafter. Die in den Medien abgedruckten Bilder von toten, verletzten und leidenden Haustieren nach Verfolgungsjagden durch die Großen Beutegreifer sind von kaum erträglicher Grausamkeit und treffen unsere Tierliebe tief. Tierzüchter und Bauern stellen vermehrt und hartnäckig die Frage, warum die Großraubtiere über jede Vernunft geschützt, ihre Weidetiere aber nicht geschützt sind. Von den Politikern werden rasche Antworten und wirksame Lösungen auf das sich zuspitzende Problem gefordert. Für eine breite Mehrheit der in geografischer Entfernung lebenden städtischen Bevölkerung ist die Rückkehr der Großen Beutegreifer ein wertvoller Beitrag zum Erhalt der Biodiversität und ein Beweis für die Eignung des wiederbesiedelten Lebensraumes. Für die Tierhalter, Bauern, Imker und Almbetreiber sind Wolf und Bär ein vermeidbares Übel. Viele Anwohner im ländlichen Raum fürchten sich vor den beiden fleischfressenden Wildtierarten und haben Angst um die eigene und die Gesundheit ihrer Kinder. Die Angst ist eine irrationale Befindlichkeit des Menschen, die alle Entscheidungsträger sehr ernst nehmen müssen.

Ein paar Fakten
Die Rückkehr des Wolfes (Canis lupus) in die Zentralalpen und damit nach Südtirol ist eine spontane, die Wölfe kommen von selbst. Die sogenannte „Westwölfe“ wandern seit dreißig Jahren aus dem Apennin in die Ligurischen und Piemontesischen Alpen ein. 1987 gab es in den Seealpen erste Beobachtungen von Einzeltieren, 1992 die erste Rudelbildung in den Westalpen, 2012 die erste Paarbildung in den Zentralalpen. Die „Ostwölfe“ stammen aus der dinarisch balkanischen Population, mit ca. 3.900 Wölfen der zahlenstärksten in Europa, und wandern über Kroatien, Slowenien, Steiermark, Kärnten und Osttirol nach Südtirol ein. Der in Slowenien besenderte Ostwolf „Slavko“ hat sich mit einer Apenninen-Wölfin verpaart und in den Lessinischen Alpen an der Provinzgrenze zwischen dem Trentino und Verona im Jahr 2015 für den ersten Wurf gesorgt. Inzwischen hat sich daraus südöstlich von Südtirol ein Rudel gebildet. Das Wolfspaar „Calanda“ hat bei Chur 2017 den bereits dritten Wurf gesetzt, von dem acht Junge mittels Fotofalle dokumentiert sind. Weltweit gab es bisher nur ein einziges künstliches Wiederansiedlungsprojekt mit Wölfen im Yellostone Nationalpark in den USA zur zahlenmäßigen Begrenzung der Karibus. Der Wolf ist ein Opportunist und ein Anpassungskünstler, er besiedelt vor allem die vom Menschen aufgelassenen Ungunstlagen und extensivierte Landwirtschaftsgebiete. Der Wolfbestand in Europa wird auf ca. 10.000 Tiere geschätzt, davon ca. 1.000-1.200 in den Apenninen und 100-120 in den Alpen.
Die Rückkehr des Braunbären (Ursus arc-tos) in die Trentiner Adamello Brenta-Gruppe ist hingegen eine künstlich gestützte: Die wenigen, nicht mehr fortpflanzungsfähigen Einzeltiere wurden zwischen 1999 und 2002 durch 10 slowenische Bärinnen und Bären aufgestockt. Zwischen den Jahren 2002 und  2016 sind aus 54-59 Würfen 112-119 Bärenjunge geboren. Für 2016 wird die Populationsgröße der Adamello Brenta-Bären auf 66 Tiere geschätzt. Seit dem Jahr 2005 haben bis 2016 insgesamt 28 Trentiner Jungbären, bisher allesamt männlich,  das Gebiet der Provinz Trient überschritten und sind auch in Südtirol eingestreunt. Die gebärende Bärin duldet ihre männlichen Nachkommen des vorausgehenden Wurfes beim nächstfolgenden Wurf nicht mehr bei sich und vertreibt sie. Geschlechtsreife männliche Bären zeigen das gleiche Verhalten wie beispielsweise Löwen: Sie töten die arteigenen Jungen, damit die Bärin verfrüht wieder brunftig und paarungsbereit wird.
Zum Wiederansiedlungsprojekt der Braunbären in der Adamello Brenta-Gruppe hatten die Trentiner Projektverantwortlichen seinerzeit das Einverständnis aller Nachbarprovinzen eingeholt und auch erhalten.
In der Einschätzung der Projektplaner und Wissenschaftler sollte die Trentiner Bärenpopulation eine Mindestgröße von 50 Tieren erreichen, damit sie überlebensfähig würde. Für das heurige Jahr 2017 wird, wie oben wiedergegeben, die Populationsgröße auf 66 Tiere geschätzt.
Bis heute haben ausschließlich männliche Bären das Gebiet der Provinz Trient verlassen. Die (Junge führenden) Bärinnen beanspruchen in ihrer Raumnutzung  ein relativ kleines Areal von 1.090 km². Das Streungebiet der Männchen ist mit 20.830 km² fast zwanzig Mal so groß.

Der Schutzstatus
Wolf und Braunbär sind durch internationale Artenschutzabkommen (Konvention von Washington 1973, Konvention von Bern 1979) auf der höchsten Schutzstufe geschützt. Die EU-Richtlinie 92/43/EWG Natura 2000  FFH (Flora-Fauna-Habitat) stuft die beiden Tierarten als prioritär und höchst schützenswert ein. Der Staat Italien hat die internationalen Artenschutzabkommen und die europäische Richtlinie in nationale Rechtsbestimmungen übernommen. Das unerlaubte Töten eines Wolfes oder eines Bären stellt nicht nur ein Verwaltungsvergehen dar, sondern wird auch als strafrechtlich relevanter Tatbestand geahndet. Im Jahr 2016 wurde im Trentino bei zwei tot aufgefundenen Bären die Vergiftung als Todesursache bestätigt. Vor Maßnahmen der Selbstjustiz muss dringend abgeraten werden. Vielmehr muss in einer reifen Demokratie der Gesetzgeber, nicht verzweifelnde Viehalter, eine legale und praktikable Lösung finden. Das Thema „Regulierung der Beutegreifer Bär und Wolf“ darf kein Tabuthema sein, bei welchem die Feder allein den fundamentalistischen Artenschützern überlassen wird.

Nicht das Einzelindividuum, sondern die Art zählt
In der Wildtierbiologie geht es bei Überlegungen zum Erhalt der Biodiversität nicht um das Einzeltier als Individuum, sondern um die Art als Ganzes. Wenn beispielsweise von 66 Bären 60 verhaltensunauffällig sind, die Nähe des Menschen meiden  und keine Haustiere reißen, aber 6 wiederholt Schäden an Alm- und Weidetieren oder Bienenvölkern anrichten oder menschliche Siedlungen aufsuchen, sollten diese sechs Individuen nicht zu heiligen Kühen deklariert, sondern entfernt werden dürfen, auch mittels Abschuss nach Ausstellung einer behördlicher Ausnahmebewilligung. Mit der Entfernung der Problembären als kritische Individuen rettet man die Art Braunbär, sonst gefährdet man das Wiederansiedlungsprojekt als Ganzes.

Die Almbewirtschaftung
Die weitere Bewirtschaftung der Südtiroler Almen in der Zukunft ist nicht nur für die Existenz der viehhaltenden Berglandwirtschaft von fundamentaler Bedeutung, sondern weit darüber hinaus ein wertvoller und notwendiger Beitrag für die Landschaftspflege, das Landschaftsbild, den Erosionsschutz, die Sicherheit, den Tourismus und den Erhalt der Biodiversität. Mit 248.750 Hektaren machen die Almen ein Drittel der Südtiroler Landesfläche aus. Auf den 1.739 Südtiroler Almen wurden im Jahr 2016 84.967 Weidetiere gealpt. Der Erhalt der Almwirtschaft geht, wie oben gesagt, weit über die wirtschaftliche Dimension der viehhaltenden Berglandwirtschaft hinaus und ist eine bedeutende volkswirtschaftliche Leistung für unsere Gesellschaft.
Die Wolf- und Bärenrisse von Haustieren können nicht auf die alleinige Dimension der Schadensabgeltung aus Finanzmitteln der öffentlichen Hand reduziert werden. Die langjährigen Zuchtbemühungen der Tierhalter bleiben unbewertet. Nicht aufgefundene Tiere werden nicht vergütet. Die Stresssituation für die Weidetiere, die besorgte Angst der Hirten um die ihnen anvertrauten Tiere  und die Entwertung der Almen sind weitere gewichtige und längerfristig wirksame Folgen.
Die nationalen Managementpläne für Bär und Wolf koppeln, der europäischen Richtlinie folgend, die Zuerkennung von Schäden durch Risse dieser Beutegreifer an die vorausgehende Umsetzung von Vorbeugemaßnahmen wie z.B. den Einsatz von Herdeschutzhunden oder die Anwendung von Koppelhaltung. Die Umsetzung dieser Präventionsmaßnahmen ist bei den großen Flächenausdehnungen, der Geländeorografie und anderen Faktoren auf vielen Südtiroler Almen nicht oder kaum praktikabel.

Die überarbeiteten Managementinstrumente
Es ist nicht so, dass man sich im Umweltministerium der sich verschärfenden Situation nicht bewusst wäre. Der nach 2015 überarbeitete nationale Plan zum Management des Braunbären (PACOBACE) sieht konzeptionell heute schon den Terminus Schadbär („orso dannoso“) und die Erteilung der Ausnahmebewilligung zur Entnahme solcher Schadtiere zur Vermeidung schwerer Schäden an Haustieren vor. Eine konkrete, zeitlich gestraffte und pragmatische Umsetzung scheitert derzeit und bisher an der unterschiedlichen Einschätzung der Entfernungsmethoden („rimozione“): Fundamentalistische Tierschutzorganisationen verteidigen den Fang und die Verfrachtung („captivazione“), betroffene und traumatisierte Tierhalter fordern den Abschuss („abbattimento“). Fundamentalismus ist abträglich, verhandlungserschwerend und lösungsverzögernd. Wenn Bären Menschen angreifen, ist das Maß an Toleranz und Verständnis überschritten. Es sollte nicht mehr hinhaltend diskutiert und gestritten werden, ob sich der Mensch oder der Bär falsch verhalten hat.
Für das Management des Wolfes gibt es in Italien das wissenschaftliche Dokument „Piano di conservazione e gestione del lupo in Italia“. Der Entwurf (Stand Jänner 2017) wurde vom Umweltministerium, vom nationalen Institut für Umweltforschung ISPRA und der italienischen Zoologenvereinigung unter der federführenden Koordination von Univ. Prof. Luigi Boitani (Universität La Sapienza Rom, einem der führenden und anerkannten Wolf-Experten Europas) und Dr. Valeria Salvatori vorgelegt. Die Staats-Regionen-Konferenz hat das ergänzte und abgeänderte Dokument in den letzten Monaten mehrfach behandelt, vertagt und schlussendlich bei einigen wenigen Stimmenthaltungen verabschiedet. Die von den Vertretern der Toskana und Trentinos mitgetragene Forderung des Südtiroler Landesrates für Land- und Forstwirtschaft Arnold Schuler zum Abschuss von Schadwölfen und Hybriden war nicht mehrheitsfähig. Umso mehr, denke ich, wird die von einigen Seiten erhobene Forderung eines „wolffreien Südtirols“ illusorisch bleiben.

Der Vorschlag der Zwölferkommission
Die Zwölferkommission als Autonomieinstrument hat in ihrer letzten Sitzung einen Vorschlag erarbeitet, einstimmig verabschiedet und zur Abgabe der Gutachten an die ressortzuständigen Ministerien weitergeleitet. In der nun schon langen Phase der Unentschlossenheit, des Verzögerns von Entscheidungen im Umgang mit kritischen und problematischen Exemplaren von Großen Beutegreifern erscheint mir der Vorschlag der Autonomiekommission für gangbar und sinnvoll. Der Vorschlag der Zwölferkommission als Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut besagt, dass die Kompetenz zur Verwaltung der EU-Richtlinie Natura 2000, eingegrenzt und bezogen auf die zwei Tierarten Braunbär (Ursus arctos) und Wolf (Canis lupus), vom Umweltminister für die beiden autonomen Provinzen auf die Landeshauptleute Trentinos und Südtirols für ihr jeweiliges Gebiet übertragen werden soll. Auf das Gutachten von Umweltminister Gianluca Galletti dürfen wir gespannt sein. Meines Erachtens besteht beim derzeitigen Diskussionsstand die Gefahr, dass sich  die Verhandlungen zur gesetzlichen Regelung der Zuständigkeiten und Übertragung vom Minister an die Landeshauptleute zwischen den Extrempositionen der Artenschützer, die starkes Lobbying für die beiden Tierarten und großen Druck auf das Umweltministerium ausüben, und den Lobbyisten der viehhaltenden Bauern an den Begriffen „Abschuss“ (abbattimento) und „Entfernung“ (allontanamento) festbeißen. Ein Blankoscheck an die Landeshauptleute ist unrealistisch. Die Einholung eines wissenschaftlichen Gutachtens von Seiten des nationalen Forschungsinstitutes ISPRA als conditio sine qua non vor dem Abschuss eines oder mehrerer Bären und Wölfe wird meines Erachtens unabdingbarer Bestandteil jedweder delegierender oder übertragender Gesetzesnorm bleiben.

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