Dienstag, 24 Januar 2017 09:26

„Miar geats do heint lei mea guat“

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s17 5419Fast 40 Jahre lang lebte Anna Müller aus Taufers i. M. an der Seite des tschechischen Geistlichen Don Luigi in Deutschland. Sie unterstützte ihn in der „Italienischen Katholischen Mission Mainz“ und war seine treue Begleiterin. 2004 kehrte sie wieder in den Vinschgau zurück.

von Magdalena Dietl Sapelza

Bitterlich weinend saß Anna auf dem Bett in ihrem Zimmer im Martinsheim. Sie wollte nicht wahrhaben, dass das Heim nun ihr neues Zuhause war. Das ist nun 13 Jahre her.

„I hon selm schiach toun, bis dr Schwoger Karl unt di Schwester Mathilde a Mochtwort gsprochn hoobm“, erinnert sie sich. Ein Heimplatz war die Lösung für Anna, nachdem sich Don Luigi ins Altenteil eines Klosters in seiner Heimatstadt Brünn zurück gezogen hatte.
Anna wuchs als Zweitjüngste von acht Kindern in Taufers  auf. Nach dem Abschluss der Volksschule musste sie - wie ihre sechs älteren Schwestern - „in den Dienst gehen“. In einem Haushalt in Meran kämpfte sie gegen das Heimweh. Besonders schmerzte, dass sie nie mit der Familie am Tisch sitzen durfte. Sie hielt es nicht mehr aus und fuhr mit dem Zug heim. Doch schon bald wartete die nächste Stelle in einer Metzgerei in der Schweiz. Dort stellte ihr der Chef nach. Verängstigt kündigte sie. Daheim bleiben durfte sie nicht. Dienststellen reihten sich aneinander. Sie arbeitete in Burgeis, Mals, Arosa, Basl und Massa Carrara. Meist waren es Saisonsstellen.
1962 durfte sie die Schule für Familienhelferinnen in Bozen besuchen. „Norr hot für miar a nuis Leebm ounfongan“, betont sie. Im Auftrag der Diözesancaritas unterstützte sie Familien. Ein Turnus ging meist drei Wochen. In berührender Erinnerung blieb ihr eine Frau im Unterland, die sie nach der Geburt des siebten Kindes bat, doch bei ihr zu schlafen, um vor ihrem Ehemann sicher zu sein. Drei Tage blieb sie bei der Frau. Kurz darauf wurde sie zu einem „Monsignore“ nach Rom geschickt. Sie staunte über den Luxus. Als ihr bewusst wurde, dass er in ihr eine „amante“ suchte, wollte sie nur noch weg. Nach einer durchzechten Nacht erlag der Herr einem Herzinfarkt. Anna verließ Rom und kam nach Cortina. Dort traf sie auf Don Luigi. Nachdem diesem die „Italienische Mission Mainz“ zugeteilt worden war, bat er Anna, ihn dort zu unterstützten, denn sie sprach gut Italienisch. Sie weigerte sich, nicht zuletzt wegen des ständigen Nebels, den sie befürchtete. Doch Don Luigi ließ nicht locker und schickte ihr schließlich einen fix fertigen Arbeitsvertrag. „Er hot vollendete Totsochn gschoffn“, betont sie. Im Oktober 1965 verließ Anna Südtirol bei sonnigem Wetter und kam im Mainzer Nebel an. Sie wollte nicht bleiben, doch es kam anders. Schon bald war sie geschätzte Dolmetscherin für die italienischen Gastarbeiten und deren Familien. Sie füllte Formulare aus, unterstützte Frauen und Kinder. Mit ihrem Humor gewann sie die Herzen. Um ihre Schützlinge in den armseligen Arbeiter-Baracken zu besuchen, erwarb sie den Fahrschein. „Es isch selm asou gweesn, wia heint mit di Flüchtlinge“, vergleicht sie. Als Don Luigis rechte Hand brachte sie vieles in Bewegung. 1972 gab dieser die Mission in Mainz auf und übernahm eine kleine Pfarrei in der Nähe. Anna begleitete ihn. Nach seiner Pensionierung wurde eine Wohnung in einem lauten Bahnhofsviertel das Zuhause der beiden. Anna litt unter dem ständigen Lärm und wurde krank. „I hon deis nervlich olz nit verkroftet“, sagt sie. Sie kam in eine Klinik und drohte dort zu verkümmern, wenn nicht Don Luigi, der inzwischen in Brünn lebte, und ihre Angehörigen reagiert und ihr einen Platz im Martinsheim vermittelt hätten. Zur Behandlung kam sie kurz darauf ins Brixner Krankenhaus, wo es ihr von Tag zu Tag besser ging. Don Luigi telefonierte täglich mit ihr und baute sie auf, bis zu seinem Tod 2008.
Bei einer Kontrollvisite 2009 wurde bei Anna ein Aneurysma (Arterie, die zu platzen drohte) festgestellt. Sie verweigerte die Operation. Das Risiko, zu einem Pflegefall zu werden, war ihr zu groß. Man prophezeite ihr daraufhin nur noch eine Lebenszeit von einem halben Jahr. Gefasst regelte sie ihren Nachlass und besprach sogar ihre Beerdigung mit dem überraschten Bestatter. Doch aufgeben wollte sie nicht. Sie suchte sich Hilfe bei einer Heilpraktikerin. „Dia hot miar‘s Lebm grettet, unt i leb heint nou guat“, lacht sie. Kürzlich hat sie auch die Operation eines Tumores in der Niere gut überstanden. Hart ins Gericht geht sie mit der Versorgung im Meraner Krankenhaus. Im Zimmer sei es so kalt gewesen, dass sie sich eine Lungenentzündung zugezogen hat. „Sechs Tog long hoobm si miar nit glapp, bis es foscht zu spat gweesn isch“, ärgert sie sich. Anna nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Sie zählt zu den rührigsten Bewohnern im Martinsheim. „Miar geats heint do lei mea guat“, betont sie. Sie kann nur noch darüber schmunzeln, dass sie bei der Ankunft bitterlich geweint hat.

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