Roland Thöni aus Trafoi zählte anfangs der 1970er Jahre zu den erfolgreichsten Skirennläufern der Welt. Er kannte jede Ecke des Sommerskigebietes Stilfser Joch, wo er oft trainierte. Bei der Olympiade in Sapporo 1972 gewann er für Italien sensationell die Bronze Medaille im Slalom. Er war auch Fußballtrainer und Schafhirte.
von Magdalena Dietl Sapelza
Mit der Startnummer drei und einem Pflaster auf dem Auge stand Roland Thöni am 13. Februar 1972 im Starthaus des Olympia-Slaloms am Hang der Teine Piste im Japanischen Sapporo. Eine Viertel Stunde vorher hatte der Team-Arzt noch seinen Bluterguss am linken Auge behandelt, dener sich am Tag zuvor beim Training zugezogen hatte, als ihm eine Slalomstange ins Gesicht schlug. Damals waren die Stangen im Vergleich zu den heutigen Kippstangen noch starr und unflexibel. Die Schwellung am Auge beeinträchtigte seine Sicht. Doch Roland war hoch motiviert, so schnell wie möglich durch den Stangenwald zu wedeln und eine Medaille zu holen. Vollmundig hatte er das angekündigt. Er strotzte vor Selbstbewusstsein. Denn er wusste, dass er gut in Form war und mit den besten Skirennläufern der damaligen Zeit mithalten konnte. Und er schaffte dann auch sensationell die fünftbeste Zeit im ersten Durchgang. „Dabei habe ich minimal gesehen“, erinnert er sich. Eine weitere Behandlung folgte vor dem entscheidenden zweiten Lauf. Die angepeilte olympische Medaille war in Reichweite. Im Schnetreiben setze er alles auf eine Karte und gewann die Bronzemedaille, hinter seinem Landsmann Gustav Thöni, der Zweiter wurde, und dem Sieger Francisco Fernandez Ochoa aus Spanien. Der Erfolg der beiden Trafoier in Sapporo versetzte die Skibegeisterten im Vinschgau in einen Freundestaumel, der sich Tage später in einem riesigen Empfang widerspiegelte. In zwei „Cabriolet“, die der FIAT-Chef Gianni Agnelli – ein Freund Rolands – bereit gestellt hatte, erreichten die beiden Olympioniken den Vinschgau. „Von Partschins bis Trafoi hat jede Gemeinde etwas organisiert“, erklärt Roland. „Dieses Erlebnis war außergewöhnlich für mich. Es war ein bewegendes Gefühl, eine Olympiamedaille um den Hals zu tragen.“ In Trafoi wurde die ganze Nacht gefeiert. Roland war der Schwarm vieler Frauen und verstand es auch, diese Zuneigungen zu genießen.
Das Skifahren lernte Roland, wie auch seine vier Geschwister, im frühen Kindesalter in Trafoi unter der Obhut des Vaters Friedrich Thöni. Dieser war Betreiber eines Sportgeschäftes, Skilehrer und Pionier beim Aufbau des Sommer-Skigebietes Stilfser Joch. Jede freie Minute schnallte Roland seine „Bretteln“ an. Im Sommer verdiente er sich ein kleines Taschengeld mit dem Sammeln von Bergkräutern. Gefragt war vor allem der Alpenschafgarben für die Herstellung des Kräuterlikörs „Braulio“. Im Alter von zehn Jahren, als er bereits einige Skirennen gewonnen hatte, starb sein Vater. Roland verlor seine wichtigste Bezugsperson. „Ich kämpfte weiter, um im Skizirkus mithalten zu können. Und es war verdammt schwer“, erklärt er. 1966 durfte er mit der Österreichischen Skinationalmannschaft am Stilfser Joch trainieren. Diese bereitete sich dort auf der Weltmeisterschaft in Portillo vor. Er konnte sich mit Größen wie Karl Schranz und Heini Messner messen und einiges dazulernen.
Als aufstrebender Skirennläufer genoss er dann trainingsbedingte Freiheiten zuerst in der Heimschule in Meran und später in der Handelsschule in Mals.
Durch gute Rennergebnisse erreichte er 1970 die Aufnahme ins italienische Nationalteam. „Das ist ein harter Kampf gewesen, man hat mich oft benachteiligt“, betont er. Dass er im Fiat-Chef-Gianni Agnelli einen väterlichen Freund und Fürsprecher gefunden hatte, war hilfreich. Die beiden waren sich in Sestriere begegnet, wo sich Roland zum Training aufhielt. Agnelli bestand darauf, dass Roland ihn bei den täglichen Abfahrten ganz früh am Morgen begleite. „Sein Hubschrauber war unser Lift“, erzählt er. Roland trainierte alle Disiplinen und gewann sein erstes Slalom- Weltcuprennen in Madonna di Campiglio. Beim Hahnenkamm-Slalom in Kitzbühl 1971 erweckte er dann die Aufmerksamkeit der Weltpresse, als er im ersten Lauf mit der hohen Startnummer 72 die viertbeste Zeit fuhr. Nach dem zweiten Lauf war er Siebter in der Gesamtwertung. „Die Fernsehsender mussten die Übertragungszeit verlängern, weil ich im zweiten Lauf erst mit der Nummer 64 starten konnte“, schmunzelt er. Das war ein Jahr vor der Olympiade in Sapporo.
Nach der Bronzemedaille holte er sich noch eine Reihe guter Ergebnisse bevor er seine Karriere verletzungsbedingt beendete. „Es war eine schöne Zeit. Ich habe immer hart trainiert, aber auch ausgiebig gefeiert“, meint er.
In Sulden öffnete er 1975 mit seiner Partnerin Flora Oberkalmsteiner ein Sportgeschäft mit Skiverleih, den er seither betreut. Sohn Marc wurde 1978 geboren.
Neben dem Skisport galt Rolands Leidenschaft immer auch dem Fußball. Als Trainer eroberte er mit der Schludernser Mannschaft 1990/91 den Meistertitel. Dank seiner Beziehungen arrangierte er in Schluderns sogar den Besuch des damals besten Fußballers der Welt Diego Maradona.
Mit der Zeit wurde es immer ruhiger um Roland. Er suchte den Ausgleich in der Natur. 2008 wurde aus dem einstigen Skiass sogar ein Schäfer. Von Vertretern des Trafoier Schafzuchtverein war er gefragt worden, ob er nicht aushilfsweise einspringen könnte, nachdem der eigentliche Schäfer ausgefallen war. „Aus einem Sommer als Schäfer sind sieben Sommer geworden“, sagt er. Dem einstigen Lebemenschen Roland behagte die Abgeschiedenheit bei den Schafen. Und als Jäger beobachtete er auch die Wildtiere. Noch heute ist er oft bei Bergwanderungen anzutreffen, aber immer öfters auch als Babysitter seiner drei Enkelkinder.
Sporttrophäen sucht man vergeblich in seiner Wohnung. Alle seine Pokale hat er an Skiclubs verschenkt, als Preise für Skirennen. Auch die Bronzemedaille aus Sapporo ist irgendwie verschollen. Er nimmt es gelassen, hängt nicht an Erinnerungsstücken, denn er lebt nach dem Motto: „Die Vergangenheit ist vorbei. Nur die Gegenwart zählt.“
... nur die Gegenwart zählt.“