Stilfs... wo die Hennen Steigeisen tragen

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Stilfs auf 1300 m Meereshöhe, mit 1150 Einwohnern ist ein typisches romanisches Haufendorf mit einer Geschichte welche weit in die Bronzezeit zurückgeht und seine heutige Form in der Zeit der Bergknappen des
15. Jahrhunderts erhalten hat.

von Cornelia Knoll

Durch ein enges Tal schlängelt sich die Straße von Prad herauf. Gesäumt von freiheitstrunkenen Radfahrern die freudig dem Stilfserjoch entgegentreten und nur darauf warten, endlich das steilste Stück bis Gomagoi hinter sich zu lassen.
An der Gomagoier Kreuzung darf man sich entscheiden. Nach links ins hochtouristische Sulden? Oder doch lieber geradeaus nach Trafoi und weiter zum Gletscher des Stilfserjochs? Unser Radler entscheidet sich heute einfach rechts abzubiegen und nach wenigen Kilometern das einsam gelegene Dörfchen Stilfs zu erreichen.
Nach wenigen flachen Kehren, vorbei an wunderschön blühenden Wiesen erreicht er die Anhöhe, macht Rast und lässt seinen Blick weit hinaus ins Vinschgauertal schweifen. Sein heutiger Zielort liegt genau vor ihm, eingebettet in die Hänge des Munwarters und Chavalatsch-Massives, welche die Grenze zur Schweiz bilden.
Stilfs auf 1300 m Meereshöhe, mit 1150 Einwohnern ist ein typisches romanisches Haufendorf mit einer Geschichte welche weit in die s50 stilfs2Bronzezeit zurückgeht und seine heutige Form in der Zeit der Bergknappen des 15. Jahrhunderts erhalten hat.
Mit großem Staunen betrachtet man dieses steil in den Berghang gebaute, sonnenverwöhnte Bergdorf. Eng aneinander und übereinander liegend, getrennt durch enge Gassen und unzählige Steinstufen, stehen kleine verwinkelte blumengeschmückte Steinhäuser dort. Mittendrinn der Dorfplatz und die wunderschöne Pfarrkirche, die dem hl. Ulrich geweiht ist.
Man fragt sich wirklich, wer hier der geniale Baumeister dieser doch sehr eigentümlichen und durchdachten Architektur gewesen ist? Ein eingeborener „STILZER“, der gerade seine Kuh im Stall unter seinem Haus füttert, erzählt uns mehr davon.
„Woasch,do pa inz miassn sogor die Hennen Steigeisen trogen und die Erdäpfel miassmer festnageln, damit sie ins nit ins Tol rollen“, grinst er in dieser ganz typischen und einzigartigen Stilfser Sprachmelodie. Ein weicher, bedächtiger Singsang, welche die „Stilzer“ noch sympatischer macht, als sie eh schon sind.
Er erzählt vom großen handwerklichen Geschick der Stilfser Baumeister,die vor 500 Jahren das Dorf zuerst in Holz und Lehm terrassenförmig um die 8 Dorfquellen bauten. Später nach den verheerenden Dorfbränden im 18. und 19. Jahrhundert wurde das Holz meist durch Steine vom Suldenbach ersetzt. Das Geschick der fleißigen Stilfser Handwerkermeister war jahrhundertelang weit über alle Grenzen bekannt und schenkte dem ehemals bitterarmen Dorf große Wertschätzung und Überlebensmöglichkeiten.
Heute findet man leider kaum mehr angesiedelte Handwerkbetriebe, welche das Dorf mit ihrem Unternehmerwillen beleben. Auch die Viehwirtschaft hat ihre Rentabilität im großen Maße eingebüßt und Arbeitsmöglichkeiten fehlen. Viele haben sich somit in den letzten Jahren entschieden wegzuziehen und haben oft leere, verlassene Häuser hinterlassen.
Jene, die geblieben oder neu dazu gezogen sind, versichern jedoch, dass sie nirgendwo anders leben möchten als hier und loben die Lebensqualität. Kinder die ungestört in den leeren Straßen spielen dürfen, Ruhe, Abgeschiedenheit mitten in der Natur für Einheimische und Gäste, um täglich Energie zu tanken und ein großes soziales Netzwerk, welches Familien und Senioren erlaubt, sich hier wohlzufühlen.
Doch Stilfs ist auch das Dorf der Künstler, Musiker, Historiker, Schrifsteller, Sammler, Theaterspieler und der mutigen Aussteiger die dem großen Alltagstrott der „anderen Welt“ entflohen sind. Sie alle haben hier ihre ganz eigene Bleibe und ihren Lebensmittelpunkt im Dorf oder den umliegenden Höfen gefunden.
Da gibt es z. B. das liebevoll renovierte Pfeiferhaus, in welchem regelmäßig Kunstevents der besonderen Art stattfinden. Oder das „Haus 59“ mit der kirschroten Tür, wo heimische Künstler ihre Kunstwerke einem internationalen Publikum vorstellen.
Im Stilfser Bergbau-Musem kann man der Ausstellung „Der Einstieg-Bergbau und Siedlungen am Ortler“ beiwohnen. Hier erfährt man alles über den prähistorischen Kupferbergbau, dessen Auswirkungen auf die Entstehung des Dorfes und über die Besonderheit der rätoromanischen Sprache, die in Flur-, Dorf- und Hausnamen noch immer sehr präsent ist.
Private Sammlungen jeglicher Art findet man nebenbei in alten Gewölben der Steinhäuser, wo voller Stolz über die alten Zeiten, die Schmuggler, die Karrner, die Schwabenkinder und über uralte Bräuche der Bevölkerung erzählt wird.
Mit dem Brauch des „Pfuagziechn“wird in Stilfs alle 2 Jahre der Frühling begrüßt. Ein Umzug aus Bauern, Gesinde und dem fahrenden Volk in historischer Kleidung, welcher seinen Höhepunkt mit dem „Knödelstehlen“ auf dem Hauptplatz der Kirche hat.
Dort endet auch der Umzug des „Klosens“ am 1. Samstag im Dezember. Junge Stilfser Männer in der Rolle der „bunten Esel“ und der „fratzenhaften Klaubaufe“, widerspiegeln hier in ihrem Schauspiel das Gute und das Böse; den Winter und den Frühling.

Erfüllt von unzähligen Stilfser Eindrücken macht sich unser Radler nun auf den Heimweg. Dazu wählt er den geschichtlichen „Archaikweg-Wormisionssteig“, der vor Urzeiten als wichtigste Route über die Alpen galt und das lombardische Veltlin mit dem Vinschgau verband. Diese Route führt mitten durch den Wald zurück ins Tal über die Urzeitsiedlungen und Kultplätze „Kaschlin“ und „Weiberbödele“. Beides sind bekannte archäologische Ausgrabungsorte mit wertvollen Funden aus der späten Bronzezeit sowie der früheren Eisenzeit.
Noch einmal geht der Blick zurück zu diesem besonderen charismatischen Bergbaudorf mit seiner großen Geschichte und seinen charmanten Bewohnern. Ein wertvolles Kleinod des Vinschgaus, welches darauf wartet entdeckt zu werden.

 

Wanderungen und Ausflugsziele in Stilfs:

Wildgehege Fragges, Nationalpark Stilfserjoch, Archaikweg mit Kaschlin und Weiberbödele, Fischerteich Stilfs, Obere und untere Stilfseralm, Piz Chavalatsch. Zur Tarscher Alm über die Furkelhütte und Goldseeweg zum Stilfserjoch.

 

Stilfser Besonderheiten:
Bergbaumuseum, Pfeifer Haus. Haus 59 mit der kirschroten Tür. Die Kräuterwiesen des Siegi Platzer. Die Theatervorstellungen vom „Lorgagassl“, wo der Dorfpfarrer meist die Hauptrolle spielt. Bräuche, Riten, Rituale, Pfuagziechn (ein bäuerliches Fastnachtspiel) alle 2 Jahre. Klosn (mit Esel und Klaubaufe). Am Samstag vor oder nach dem Nikolaustag. Gsungen, tonzt und gspielt im August am Tage des hl. Rochus. Uralte Volksweisen mit Ernst Thoma

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