Bozen/Vinschgau
Schöne Welt, böse Leut“ ist das bekannteste Buch des Journalisten und Zeitgeschichtlers Claus Gatterer (1924-1984), in dem er selbstkritisch die eigene Kindheit zwischen Faschismus und Nationalsozialismus aufrollt. Im Bozner Verlag Edition Raetia sind nun die Tagebücher des gebürtigen Sextners erschienen (477 Seiten, 18 Euro). Ein Gespräch mit dem Naturnser Thomas Hanifle, Gatterer-Biograf und Herausgeber der Tagebücher.
„Vinschgerwind“: Wer war Claus Gatterer?
Thomas Hanifle: Gatterer war einer der interessantesten, aber auch umstrittensten Südtiroler Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Mit seinen Büchern hat er die damalige Südtiroler Politik und Geschichtsschreibung auf den Kopf gestellt. Er hat die Südtiroler aus ihrer Opferrolle herausgeholt und eine differenzierte, selbstkritische Geschichtsaufarbeitung etabliert. So gesehen gilt er als Vater einer neuen Südtiroler Geschichtsschreibung. Selbst war er ein Zwischenmensch, der über alle nationalistischen Grenzen hinweg zwischen Österreich, Italien und Südtirol gelebt hat und sich von deren Kulturen befruchten hat lassen.
Welche Anstöße gab er der Politik?
Gatterer war der Anwalt der vielfältigen Minderheiten, ob nun ethnischer, politischer oder sozialer Natur. Er war aber auch deren erster Kritiker. In seinem Wälzer „Im Kampf gegen Rom“ hat er seine Landsleute aufgefordert, sich aktiv am italienischen Demokratieprozess zu beteiligen und sich mit anderen italienischen Minderheiten gegen den italienischen Zentralismus zu verbünden, um den Staat demokratisch zu gliedern. Er beweist darin auch, dass die italienische Linke seit jeher die Freunde der Südtiroler Minderheit waren. In Südtirol wurde diese damals mit Hörnern und Schwanz gemalt, deshalb wurde Gatterer häufig auch als Nestbeschmutzer gesehen.
Der Untertitel der Tagebücher lautet „Ein Einzelgänger, ein Dachs vielleicht“. Warum?
Das Zitat stammt von Gatterer und umschreibt seine Stellung in der journalistischen Landschaft in Österreich, wo er seit 1948 lebte. Er war ein offener, kritischer, häufig an sich zweifelnder Mensch, der sich von niemanden hat vereinnahmen lassen, weder von einer Partei noch einer anderen Interessensgemeinschaft. Er gehörte keiner Clique an und hatte keine Lobby hinter sich. Die eigene, unabhängige Meinung zeichnete auch seine Lebensleistung aus.
Was macht Claus Gatterers Gedanken auch heute noch interessant, gibt es aktuelle Bezüge in den Tagebüchern?
Die Tagebücher sind ein wertvolles und authentisches Zeitdokument, in dem er bissig, aber auch humorvoll die Weltpolitik oder Südtiroler Realität kommentiert. Sie bringen aber auch einen sehr interessanten, natur- und heimatverbundenen Menschen zutage, das ist zeitlos. Vieles, das er darin etwa über Südtirol schreibt, hat noch heute Gültigkeit: Seine Überlegungen etwa zu Sinn und Unsinn von Denkmälern. Oder auch seine kritische Ader: „Das Mafiöse in Südtirol. Die Anbetung der Macht. Die Geschichtslosigkeit“, um ihn zu zitieren.
Interview: Julia Tapfer
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