Schlanders - Es ist gegen Ende des Abends, als Sebastian Baur die folgende Szene vorliest: Spital neben einem Divisionskommando. Man hört die Regimentsmusik lustige Weisen spielen. Ein Schwerverwundeter (wimmert): „Nicht spieln – nicht spieln!“ Ein Wärter: „Stad sein! Das ist die Tafelmusik vom Exzellenzherrn Feldmarschallleutnant von Fabini! Die wird er euretwegen net aufhören, was glaubt’s denn?!“ Die Tür geht auf. Man hört Gesang: „Ja so ein Räuschel is mir lieber als wiara Krankheit, wiara Fieber.“
Zur szenischen Lesung im Kulturhaus Schlanders steht Sebastian Baur abseits. Am rechten Bühnenrand spricht er in die laufende Kamera, schlüpft in die Rolle des Kommandanten, wechselt wenig später in die des Prokuristen, des Fremden, des Ministerpräsidenten, des Wachmanns, des Cafetiers, des Lehrers, des Knaben. Übergroß wird das Bild des Schauspielers auf die Kinoleinwand projiziert. Die Zuschauer erleben die szenische Lesung live, Karl Kraus Antikriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ - eine Auswahl davon - als Live-Projektion. „Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate“, mit diesen Worten beginnt Baur seine Lesung. Schmunzeln? Lachen? Weinen? Tragisch, komisch, wahnwitzig führen die Szenen aus Karl Kraus Lesedrama den 1. Weltkrieg vor. Zurück bleibt an diesem 22. Oktober, wenn das Publikum - es hätte übrigens noch mehr vertragen – den Kinosaal verlässt ein bitterer Geschmack im Mund. Die Botschaft der Organisatoren 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hallt nach und leistet ihren Beitrag: Gegen das Vergessen. (ap)
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