Am Samstag, 26. Mai 1912, hat die Gemeinde Prad zu einem feierlichen Umtrunk anlässlich der Vorstellung eines Kunstwerkes von Daniel Oberegger eingeladen. Diese vom Künstler „Planet Kilohex“ genannte Kugel glitzert nun im Sonnenlicht - sicher auch bei Mondschein -, dreht sich mit dem Vinschger Wind. 830 aus rostfreiem Blech gestanzte Sechsecke. Zusammengehalten werden die geometrischen Formen von Kabelbindern und ergeben eine Kugel mit zwei Meter Durchmesser. Der auf einem Kugellager schwebende Planet hängt für ein Jahr vor dem Nationalparkhaus Aquaprad auf einem Gestänge, das extra für dieses Ereignis angefertigt wurde. Der Prader Planet ist verkäuflich für 5000 €, entsprechend den Material- und Arbeitskosten.
Daniel Oberegger kommt aus Bozen. Er ist der Erfinder des Planeten Kilohex und ist im Vinschgau durch seinen Einfallsreichtum wohl bekannt, besonders durch die „Kleinkunsttage“ und verschiedener Ausstellungen. Er ist Komponist, Schriftsteller und Filmemacher und erklärt die Zusammensetzung des Namens seines schwebenden Werkes: Kilo = 1000 und Hex = Hexagon (Sechseck), also Planet Kilohex.
Als geometrisch/mathematische Form zählt die Kugel zu den Dingen ewigen Seins. Ist der Daniel ein Philosoph, ein Priester, ein Gaukler, ein Astronom oder ein Missionar? Beim Hindurchschauen durch die luftige Kugel erkennen wir die „5 Welträtseln der Ebene“ - so Daniels Botschaft. Wir denken an buddhistische Gebetsmühlen, an die Räder oder Walzen mit aufgedruckten Gebeten auf Papierrollen: Durch das Drehen werden körperliche Aktivitäten und geistig-spirituelle Inhalte miteinander verknüpft.
Aber der Daniel spricht weder von Gebeten oder Mantras, sondern er beschwört die „Perous‘sche 5-symmetrische Flächenfüllung“; das ist ein beeindruckendes Rätsel aus der Welt der Mathematik. Formeln statt Gebete, statt Glaubenssätze physikalische Gesetze. Damit wird alles verbunden, das Göttlich-Ewige und das Weltlich-Ewige. Oder, wie es der Daniel erklärt: „Der Planet Kilohex ist Ausdruck der Versöhnung zwischen Natur und Technik. Durch Technik wird der Mensch transportiert, in der Natur ist alles Bewegung. Dreht sich der Planet Kilohex, entsteht durch diesen Transport der Eindruck von Bewegung, wenn man durch ihn hindurchsieht. Außerdem wird im Planet Kilohex Eckiges mit Rundem konstruktiv vereint: eckige Teile ergeben einen runden Planeten. Was lange eckt wird endlich rund.“
Nach seiner Meinung zu diesem Kunstwerk befragt, antwortete ein Prader Arbeiter: Endlich etwas wirklich Schönes! Geistesblitze durch sechseckigen Edelstahl, Versöhnung zwischen Natur und Technik, wobei sich das Religiöse durch den Anspruch ewiger Gesetze hinzugesellt.
830 Sechsecke, Magie entsteht durch Wiederholung. Magie des Dialektes - so könnte die Wirkung des Werkes der Malser Dichterin Wilhelmine Habicher bezeichnet werden. Sie war heuer Gast der „Literaturtagung an der Grenze - Mals 2012“ neben anderen prominenten Teilnehmern aus verschiedensten Kulturbereichen. Die Wilhelmine wunderte sich zwar ein wenig über diese Einladung und führte die Teilnehmer über drei Waale, wobei die Wanderung immer wieder durch kleine Lesungen aus ihren zahlreichen Büchern bereichert wurde. Es waren ihre Dialektgedichte, die weit und tief in das Gemüt der Zuhörer eindringen. Gesprochen ohne Pathos, geadelt durch den Reichtum eines langen Lebens. Dazu eine Rückblendung in ihre Jugend, in das Jahr 1942, in die Zeit, als es bei uns - nach dem Faschismus - wieder deutsche Schulen geben durfte. Freilich, es fehlten die Lehrer - die Ausbildung deutschsprachiger Fachlehrer wurde jahrzehntelang unterdrückt. Also wurden talentierte Schülerinnen - die Männer waren fast allem im Krieg - aufgefordert, Schulklassen zu übernehmen, schnell, schnell. Überall wurde improvisiert, es war immerhin ein Anfang. Auch Prüfungen mussten die Hilfslehrer ablegen, so auch über ihre Eignung für den Deutschunterricht. Die Wilhelmine erzählt schmunzelnd von einer dieser Prüfungen: Vinschger Dialekt Wörter musste sie vor der Kommission ins Hochdeutsche „übersetzen“.
Die Wilhelmine stand also am Anfang unserer Schule, aber sie steht auch am Anfang einer neuen Bewegung. Es war eine wichtigen Selbstfindung. Unsere „Muttersprache“ entwickelt und bereichert sich überall aus dem Dialekt. In ihren Gedichten wird ein märchenhafter Reichtum sichtbar. Feine Sinnabstimmungen, treffliche Vereinfachungen, Anschaulichkeit ... die Schriftsprache kann hier vielfach nicht mithalten. Wilhelmine Habichers Dialektgedichte sind kulinarische Kostbarkeiten. Die Wörter schmecken wie Mohn in unseren geliebten Krapfen, wie Kastanienfüllung, wie Honig. Und die Bilder aus dem Familienleben, vom dreijährigen Kind, das ausbrechen möchte: Ins Hochdeutsche übertragen würde der Zauber dieses Gedichtes buchstäblich erlöschen. Kulinarisch ist auch ihr Buch „Wundrsupp unt Fratschlgräascht“ aus dem Jahre 1993 mit Zeichnungen von Erich Stecher.
Wilhelmines Welt-Halt erinnert an das Wurzelwerk von Bäumen, erinnert an einen „Zirm“ im kargen Boden. Erinnert an ausgreifende Äste einer mächtigen Lärche an der Waldgrenze. Wilhelmine Habicher lebt aus dem Ursprung und in der Baumkrone der Sprache.
Hans Wielander
I gäa.
Isch oanr nitt zfriidn mit sain oltn Platzl
schlengltr gäarn,
ischr jung, oudr hottr goor schun a Glatzl.
Dr Draijaari isch mit sainr Mama aa nimmr zfriidn
und sogg: “Bisch a Bäase, i gäa, norr honni main Friidn.“
Und di Mama nimmp a Tiachl a wolta groaßas;
ban Schlenglan brauchts viil, sii woaßas.
`s Biabl schtäat drneebn, sii pockt olls inn,
`s Jangarle, di Höislan und aa `s Lullale isch drin.
„Tasch du eppr nitt schnell inschloofn
und es tatn di Zacharlan kemman,
tuasch schnell `s Lullale assn Packtl ausinemman
und soggsch mittn Himmltata guate Nocht,
wail er jo iaz firr di flaißi wocht.“
`s Biabl isch ounglegg, hotts Packtl afft Schultr,
sai Schtimm isch ban „pfiati“ nitt gorasou muntr.
Es gäat oi übrt Schtiagn und blaib badr Tür schtäan
und übrlegg oubs wirkla soll ausigäan.
Es riaft aui: “Mama, bisch du nu doo?
Gell Mama, gell Mama, i blaib aa wiidr doo.“
Wilhelmine Habicher
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