Stilfs
In Stilfs steigt am 18. Februar nach zwei Jahren wieder einer der originellsten Fasnachtsumzüge Tirols: das „Pfluagziachn“, bei dem ein Pflug durch das Dorf gezogen wird, wobei die Fasnachtler in ungewöhnlichen Maskierungen ein vielschichtiges „Streitspiel“ zwischen gegensätzlichen Gruppen aus dem Stegreif vortragen. Der Brauch kam lange Jahre außer Übung, bis 1992, also vor 20 Jahren, kulturbegeisterte „Stilzer“ wie Roland Angerer, Roman Moser, Peter Grutsch koordiniert vom Bildungsausschuss Stilfs das Pfluagziachn erneut aufleben ließen.
Das „Stilzer Pfluagziachn“, dessen Alter unbekannt ist, findet alle zwei Jahre statt. Es zählt zu den urwüchsigsten Bräuchen Tirols, weil es sehr im agrarischen Denken wurzelt und auf eine parodistische Weise eine heute zwar weitgehend untergegangene, nichtsdestotrotz traditionelle Welt wieder auferstehen lässt. Der zentrale Gegenstand des Umzuges ist der Arlpflug, eine Arl, wie sie noch im 20. Jahrhundert als Erdäpfelhäufler benutzt wurde. Das Umherziehen der Arl und das spielerische, lärmende Austragen unterschiedlicher Konflikte zwischen Alt und Jung, Mann und Frau, Sesshaften und Nichtsesshaften, Bauern und Knechten und Fasnachtlern und Publikum bilden die Inhalte des Pfluagziachns. Aktiv daran teilnehmen dürfen aber, wie es die Tradition vorschreibt, nur die Männer. Auch die Frauenrollen werden von Männern besetzt. Der Umzug beginnt oberhalb der Kirche merkwürdigerweise mit dem gemeinsamen Angelusbeten („Der Engel des Herrn“). Die Fasnachtler nehmen dazu ihre Kopfbedeckungen ab und beten mit Ehrfurcht. Danach spricht der Bauer, eine der Hauptmasken des Pfluagziachns, bedeutungsvoll den Satz: „Iatz gian ma’s holt on!“, und sogleich setzt sich der Zug lärmend und chaotisch in Bewegung.Die Arl wird vom „Schimmel“ und von den sechs „Öchslen“ gezogen. Der Schimmel trägt eine Fellmaske und um die Mitte eine mächtige Kuhschelle. Die Öchslen kleiden sich in weiße Hemden und tragen auf dem Kopf eine randlose Kappe, an der mehrere schmale Holzleisten hängen. Neben dem Gespann geht der Großknecht, genannt „Schnöller“, mit einer Geißel einher, die er mitunter zum „Goaßelschnöllen“ einsetzt. Der Bauer führt hinten die Arl und neben ihm geht die Bäuerin. Beide erscheinen in feiner Sonntagstracht. Ihnen folgen der Altbauer und die Altbäuerin. Zum Gesinde gehören Knecht und Dirn, der „Saamer“ (Sämann) sowie die „Drescher“ mit stoffenen, mit Heu oder Stroh gefüllten Dreschflegeln.
Mühsam bringt der Bauer die Zugtiere in Bewegung. Es braucht seine Zeit, bis sie richtig zusammen ziehen. Der Boden ist hart und die Arl will nicht furchen. Der Bauer bemüht sich, mit dem Gespann alle im Wege stehenden Hindernisse zu beseitigen. Wo die Arl nicht ankommt, greift das Gesinde mit seinen Werkzeugen ein. Mit Pickeln und Schaufeln u.ä. wird versucht, die Straße und die Schneehaufen aufzugraben, damit der Pflug greifen kann.
Die Gegenwelt zu den Bauersleuten und ihrem Gesinde bilden die Figuren des „G’sindls“: die Vogelhändler,
Schuster, Scherenschleifer, Uhrmacher, Haarschneider, Wilderer, Zussln, Doktoren und andere. Das aufdringliche G’sindl und die Drescher tragen unentwegt Konflikte aus. Mit ihren Drischeln schlagen die Drescher auf das G’sindl ein. „Hureg’sindl“ und (als Antwort) „Scheiß Baureg’sindl“ sind die am häufigsten zu hörenden Worte. Während die zahllosen Konflikte andauernd eskalieren, schreitet der Umzug langsam vom Osten nach Westen voran.
Er endet nach spektakulären Zwischenstationen, bei denen u.a. die Doktoren den Schimmel „operieren“, vor der Kirche mit dem so genannten „Knödelessen“ bzw. „Knödelstehlen“. Dort steht ein Tisch mit einem Korb voller Knödel und einer Schüssel Sauerkraut. Das Gesinde und die Öchslen werden als erste verköstigt, doch auch das G’sindl ist hungrig. Aber wie sollen die schmutzigen, zerlumpten und lauten Gesellen an das Essen herankommen, wenn sich zwischen ihnen und dem Esstisch die Drescher in Abwehrhaltung postiert haben? Nun, sie dringen trotzdem vor, stehlen Kraut und Knödel, stopfen sich gierig das Essen in die Münder, Taschen, selbst Schuhe und stolpern durch das Spalier der mit den Drischeln auf sie eindreschenden Drescher von dannen.
Fotos: Fasnacht in Nordtirol und Südtirol. Von Schellern, Mullern, Wudelen, Wampelern und ihren Artgenossen, Innsbruck: Loewenzahn, 2010 (432 Seiten, 724 Abb.)
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