Wolfgang Platter, zum Tag des Hlg. Florinus von Matsch, 17. November 2011
Am 27. Oktober haben wir im Vinschgauer Parkanteil des Nationalparks Stilfserjoch mit den diesjährigen Abschüssen von Rotwild als selektive Entnahmen begonnen. Der Rotwild-Managementplan sieht für 2011 den Abschuss von 330 Stück Rotwild am mittelvinschgauer Nörderberg einschließlich Martell vor. In der geografischen Untereinheit Gomagoi – Taufers sollen rund um den sogenannten „Brugger-Wald“ 75 Stück Rotwild abgeschossen werden. In diesem Wald stocken die trockenresistenten Weißtannen, welche von starkem Wildverbiss betroffen sind und als wertvolle genetische Ressource im niederschlagsarmen Vinschgau erhalten werden sollen.
Die Rotwild-Abschüsse sind Teil eines Managementplanes zu dieser Wildart. Im Rahmen dieses Fachplanes soll die zu hohe Dichte dieser Tierart herabgesetzt werden, um die Verbiss- und Fegeschäden im Wald und die Frasschäden und Ernteverluste an landwirtschaftlichen Kulturen zu verringern. In meinem heutigen Beitrag möchte ich eine zusammenfasssende Darstellung zum Vorkommen des Rotwildes im Nationalpark und zur Reduktion seiner Dichten in den verschiedenen geografischen Untereinheiten versuchen.
Der Rotwildbestand im Nationalpark
Im Nationalpark Stilfserjoch und in den angrenzenden Tälern steht auf einer Fläche von 3.000 km² ein Rotwildbestand von ca. 10.500 Stück. Innerhalb der Grenzen des Nationalparks selbst schätzen wir den Rotwildbestand aus unseren heurigen Frühjahrszählungen und aus dem Vergleich mit den langjährigen Zählreihen auf 6.500 Stück. Diese Anzahl von Tieren lebt auf einer Fläche von 1.320 km². Damit liegt die rein mathematisch über das gesamte Parkgebiet errechnete mittlere Dichte bei 4,9 Stück je 1 km². Die tatsächlichen Dichten schwanken jedoch stark nach Habitat-Angebot und Mikroregion.
Die Situation in der Lombardei
Nach den Erhebungen unserer Fachwissenschaftler ist das Gebiet des Nationalparks Stilfserjoch in neun geografische Untereinheiten unterteilt worden. Die absolut höchste Rotwild-Dichte wird derzeit mit 13,4 Stück/km² an der Sonnenseite der lombardischen Valfurva erreicht. Entsprechend groß sind die Verbissschäden im Wald und die Futterausfälle durch Äsung in den Mähwiesen.
Aus der Forstwirtschaft stammt die Erkenntnis, dass eine Rotwild-Dichte von bis zu 4 St./km² im Wald noch eine Naturverjüngung zulässt. Bei deutlich höherer Dichte kommt es zu dermaßen starkem Rückbiss der Endtriebe und Besenwuchs an zu vielen Jungbäumen, so dass der Bergwald auf Dauer seine Schutzfunktion gegen Erosion verliert.
Die Umsetzung des 1. Managementplanes in der Lombardei
Wegen der sehr hohen Dichten von Rotwild wurde nach mehrjährigen Zählungen des Bestandes und Felderhebungen zu den Verbissschäden auch für den oben genannten lombardischen Teil des Nationalparks ein Managementplan zur Regulierung des Rotwildbestandes erarbeitet. Dieser Managementplan ist inzwischen mit dem positiven Gutachten des nationalen wildbiologischen Institutes abgedeckt. Und die Umsetzung der im Plan enthaltenen Maßnahmen wurde auch vom Umweltministerium ermächtigt. Die Region Lombardei unterzieht den Plan zusätzlich einer Umweltverträglichkeitsprüfung.
Als Verwaltung des Nationalparks haben wir in der Zwischenzeit auch für die ortsansässigen Jäger des oberen Veltlintales einen Ausbildungskurs angeboten, um die Jäger als Hegespezialisten auszubilden, in die Ziele des Planes einzuführen und an den selektiven Abschüssen zu beteiligen. Für das Ziel der Reduktion des Rotwildbestandes besteht die Maßnahme im Zugriff vor allem auf die weiblichen Tiere und die Kälber, keinesfalls in der Jagd auf Trophäenhirsche. Der Ausbildungskurs für die Jäger im Veltlin hat sich in den Inhalten und in der Abwicklung an den Kursen der letzten Jahre für die Vinschgauer Jäger orientiert.
Den positiven Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung in der Region Lombardei vorausgesetzt, sind nunmehr alle administrativen und technischen Vorarbeiten abgeschlossen, um noch im heurigen Herbst auch in der geografischen Untereinheit Valfurva mit den selektiven Abschüsssen von Rotwild beginnen zu können.
Die Situation im Trentino
Auch in den trentiner Nationalpark-Tälern von Rabbi und Peio ist der Rotwildbestand deutlich höher als die forstwirtschaftlich indizierte Dichte von 4 Stück/km². Für diesen Anteil des Nationalparks gibt es ebenfalls einen von allen Begutachtungsinstanzen genehmigten Managementplan für das Rotwild. Der Plan und die darin vorgesehenen Maßnahmen wurde von den Jägern aus Rabbi vor dem Verwaltungsgericht Trient angefochten. Die Jäger aus Rabbi wollen das alleinige Recht zur Durchführung der Abschüsse als ortsansässige Jäger erwirken. Inzwischen ist das erstrichterliche Urteil des Verwaltungsgerichtes ergangen. Das Urteil gibt den rekurrierenden Jägern Unrecht und bestätigt die alleinige Zuständigkeit der Nationalparkverwaltung bei der Wahl der Methoden und der Mitarbeiter in der Organisation und Durchführung der selektiven Abschüsse. Das Urteil schließt die Ausübung der Jagd zur Bestandsreduktion von Rotwild im Nationalpark neuerlich und dezidiert aus. Die Jäger von Rabbi haben in zweiter Instanz Rekurs beim Staatsrat eingelegt, um eine Revision des erstrichterlichen Urteils zu erwirken. Behandlung des Rekurses und Urteil des Staatsrates stehen noch aus.
Indes hat der extrem schneereiche Winter 2008/09 mit einer Gesamtschneehöhe von 12 Metern in den Südstaulagen des Sulzberges zu einer verschärften natürlichen Auslese von Rotwild in den trentiner Tälern von Rabbi und Peio geführt: Ein Viertel des Rotwildbestandes ist durch Winterfall in dem oben genannten extremen Winter verendet. Die zusätzliche Auslese durch Abschüsse wurde im trentiner Parkanteil noch nicht begonnen.
Die Situation im Vinschgau
Am Vinschgauer Nörderberg entnehmen wir nunmehr im zwölften Jahr mit Hilfe der habilitierten Abschussspezialisten aus den lokalen Jägern seit dem Herbst des Jahres 2000 Rotwild durch selektive Abschüsse nach Geschlecht und Altersstruktur. Vorausgegangen waren in den drei Jahren von 1997-1999 Abschüsse in einer Stichprobenbreite von 120-150 Stück pro Jahr, um durch biometrische Messungen am erlegten Tier die Konstitution und durch Laboruntersuchungen von Organen auf Bakteriosen und Virosen den Gesundheitszustand und schließlich durch Bestimmungen von Hormonspiegeln die Fruchtbarkeit der Rotwildpopulation zu erheben. Zur Erinnerung: Zwei der damaligen Ergebnisse waren z.B., dass die Hirsche klein und untergewichtig waren und ein Drittel der Kälber Träger der Paratuberkulose war. Im Jahre 2000 lag die Dichte des Rotwildes am Vinschger Nörderberg bei 9,7 Stück/km². Der Nationalparkrat hatte beschlossen, die Dichte auf 4 St./km² zu reduzieren. Dieser Beschluss, die Rotwildpopulation im Vinschgauer Anteil des Nationalparks von 1.400 Stück auf 700 Stück zu halbieren, wurde auch vom nationalen wildbiologischen Institut und vom Umweltministerium befürwortet.
Inzwischen haben wir im Vinschgauer Parkanteil in den bisher 11 Jahren von Entnahmen zwischen 2000 und 2010 über 4.000 Stück Rotwild durch Abschuss entnehmen lassen. Die Dichte des Rotwildes ist von 9,7 St./km² im Jahre 2000 auf 5,4 St./km² im Jahre 2010 gesunken, liegt aber noch über dem angepeilten Sollwert von 4,0 St./km². Dies ist der Grund, weshalb die Abschüsse auch im heurigen Herbst 2011 fortgesetzt werden.
In Zusammenarbeit mit dem Bezirksforstinspektorat Schlanders und dem Südtiroler Landesamt für Jagd und Fischerei sollen dann im Sommer 2012 die Verbissschäden am Wald in- und außerhalb der Grenzen des Nationalparks quantitativ erhoben und auf den neuen Stand aktualisiert werden. Diese Aktualisierung der forstwirtschaftlichen Daten ist vom nationalen wildbiologischen Institut als Referenzinstitut für das Umweltministerium als eine der Voraussetzungen für eine Fortschreibung der Rotwildentnahmen im Vinschgauer Parkgebiet gefordert worden. Unser wildbiologischer Ansatz heißt: Den jährlichen Zuwachs beim Rotwild abschöpfen, um zu verhindern dass die Dichte nach dem Erreichen des Sollwertes wieder aus dem Ruder gerät.
Hinweis für alle Naturfotografen:
Der Termin zur Einsendung von Digitalfotos im Rahmen der 7. Auflage des Fotowettbewerbes Swarovski Optik Italien und Natio-nalparke Stilfserjoch, Abruzzen und Gran Paradiso läuft noch bis zum 30. November 2011. Den Gewinnern winken wertvolle Sachpreise. Nähere Informationen finden Sie auch in deutscher Sprache auf der Internet-Seite www.fotografareilparco.it
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