Schlanders
Im riesigen Innenhof der Drusus Kaserne von Schlanders veranstaltete die „transart“ (Festival für zeitgenössische Musik) am 25. September 2011 ein ungewöhnliches Konzert. Gefördert wurde es von der Gemeinde Schlanders und von zahlreichen Sponsoren aus der Wirtschaft; angeregt wurde dieses Event durch den Künstler Erich Kofler Fuchsberg.
Die „Musikanten“ des Konzertes „Voicity“ waren weit über den riesigen Innenhof der Kaserne verstreut. Die Instrumente: knatternde, summende, schnaufende Maschinen.Trotz großer Entfernung setzten zwei Flexgeräte zeitgleich mit ihrem Funkenregen ein. Der Mann mit einer handbetriebenen Sirene schaute konzentriert auf die vor ihm ausgebreitete Partitur und begann sein Heulen wie vorgeschrieben. Alles musste übereinstimmen, wurde genau bemessen und zwar mit Stoppuhren. Jeder Musiker trug eine solche am Arm und befolgte die Anweisungen genauestens.
Eine „Symphonie“ sollte entstehen aus dem Lärm einer Stadt, einer Fabrik, eines Hafens. Kompressoren, Lärmbleche, Trompeten. Konzert für Baumaschinen, geschützte Fahrzeuge, Militärgerätschaften, 1 Sopran, 4 Bläser. Ein gepanzertes Fahrzeug umrundete den Platz. Dort, wo ein Geschützturm vorgesehen ist, saß ein Trompeter und schoss mit akustischer Munition. Laut, schmetternd.
Ist bereits Revolution? Ist Europa am Ende?
Ein anderer Trompeter bläst vom obersten Stock. Wie beim letzten Gericht. Der Höllenlärm wurde mit riesigen Lautsprechern über den ganzen Platz geleitet. Also gab es kein Entrinnen.Wie in der Hölle.
Ich entdeckte den Bürgermeister und einige Gemeinderäte. Ihr Gesichtsausdruck schwankte zwischen Ratlosigkeit und Belustigung. Hanspeter Kainrath, der Organisator dieser „transart“ Veranstaltung, spricht von einer überraschenden Erfahrung: Nirgends habe er so viel Verständnis gefunden, wie hier in Schlanders. Überall Aufgeschlossenheit, auch bei den Vereinen und natürlich auch bei den Sponsoren. Der Besitzer einer großen Baufirma ließ zahlreiche Instrumente mit Facharbeitern auffahren, natürlich gratis. Und alle waren sie begeistert, haben wiederholt geprobt. Die Bauern und die Beamten, die Handwerker und die Facharbeiter der Fabrik. Seit dem April dieses Jahres arbeitet Boris Filanovsky an dieser auf die Drusus Kaserne zugeschnittene Komposition. Für die Kaserne gab es also vor ihrem Verschwinden noch diesen Schwanengesang, ein großes Fest mit über 500 Besuchern.
Am 7. November 1922, zum 5. Jahrestag der Sowjetunion, inszenierte der Komponist Arseny Avraamov in Baku am Schwarzen Meer ein bis dahin unerhörtes Spektakel: Hundertschaften von Chören, Nebelhörner, Artillerie, Fahrzeuge und sämtliche Fabriksirenen wurden zu einer einzigen Klangperformance zusammengespannt. Daran sollte dieses Schlanderser Konzert anknüpfen.
Und wer war da noch beteiligt? Man höre und staune: Die Musikkapelle von Schlanders, auch Musikanten von Kortsch und von Eyrs. Eine ungewohnte Harmonie. Das gelingt nur mit Maschinen, so die Überzeugung der technikgläubigen, bewegungsfanatischen Russen der Zwanzigerjahre. Damals wurden auch Flugzeuge eingesetzt; hier in Schlanders umkreisten nur Motorräder die Umlaufbahn des Riesenhofes und Panzerfahrzeuge der Bozner Firma Iveco. Die Kinder schauten verwundert. Sie fanden es völlig in Ordnung, dass eigentlich jede Maschine auch ein Musikinstrument sein kann.
Hans Wielander
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