Mittwoch, 21 März 2012 00:00

Europa aus der Sicht eines Fisches

Rampach

Wir Fische sind zwar stumm, aber nicht dumm. Wir haben ein gutes Gedächtnis, das in unseren Genen gespeichert wird, auch für Politik. Einst konnten wir den ganzen Rambach als unser Reich betrachten. Dieser Talbach des Münstertales entspringt aus mehreren Quellarmen, in denen wir überall laichen konnten, auch ganz weit oben. Wer größere Wassermengen bevorzugte, schwamm hinunter, in Richtung Taufers und Rifair, bis nach Glurns.
Ohne Rücksicht auf die schweizerisch-tirolische Grenze. Sie wurde erst 1918 zur italienisch-schweizerischen Grenze, womit durch die Errichtung einer hohen Mauer unser Leidensweg beginnt. Auch Drahtgitter wurden bei der so genannten Arch von misstrauischen Grenzverteidigern errichtet, um das zu trennen, was Gott eigentlich als Einheit geschaffen hat. Der Rambach entspringt am Fuße des Ofenpasses und mündet nach 21 Flusskilometern in die Etsch. Ein Flusssystem ist als ökologische Einheit zu behandeln, wofür es nun gute Ansätze gibt. Der Rambach als Symbol für gute Zusammenarbeit, als Motor Europas?
Aber die romanisch sprechenden Münstertaler sagen zu diesem Bach eigentlich Rom. Das ist natürlich vornehmer, die direkte Verwandtschaft mit der ewigen Stadt. Die Geographen und humorlosen Historiker leiten den Namen allerdings vom lateinische Wort „ramus“ ab und zwar mit der Bedeutung von „Flussarm“.
Dazu sagen wir nichts. Wenn wir Fische uns über etwas freuen können, dann auf das schon lange versprochene, saubere Wasser. Tatsächlich haben sich die einstigen Streithähne auf beiden Seiten der Grenze geeinigt. Die 40 Jahre alte Kläranlage soll nicht mehr erneuert werden. Das Schwarzwasser könnte in Zukunft in einer Leitung bis nach Taufers geführt und dort mit der bereits bestehenden Leitung nach Glurns, die noch viel Schmutzwasser aufnehmen kann, vereinigt werden. Große Anlagen haben auch den Vorteil, dass sie technisch besser funktionieren - die eher kleine Anlage von Müstair machte diesbezüglich schon immer Probleme. Die Geruchsentwicklung reichte auch über die Grenze. Jetzt also Frieden durch Schwarzwasser.
Wir Fische haben zudem noch ein anderes Problem. Der natürliche Nachwuchs wird überall gestört und deshalb müssen immer wieder Fische eingesetzt werden; es muss nachgeholfen und vor allem künstlich befruchtet werden. RIMG0092Zu diesem Zweck werden wir Fischweibchen gewaltig vergewaltigt, oder wie soll man das nennen? Uns Weibchen werden nämlich bis zu 4000 Eier „abgestreift“ und anschließend künstlich befruchtet. Das geschieht in Südtirol in der Landesfischzucht Lazagg bei Schenna. Bei dieser Prozedur sterben wir Weibchen keineswegs, wir werden sogar oft nach Erfüllung der Mutterpflicht in das heimische Gewässer zurückgebracht. Für die Fischexperten heißt das Weibchen „Rogner“, das samenspendende Männchen ist der „Milchner“.
Der Rambach ist ein gutes Fischgewässer, das einst dem Grafen Trapp gehörte. Er hat es an die Meraner verkauft. Tageskarten ermöglichen es jedermann, mit tückischen Ködern nach uns zu fischen. Schwarzfischer sind uns lieber, weil sie ursprünglicher sind: Sie haben immer noch etwas von Wilderern, Schmugglern und Grenzüberschreitern. Legal oder illegal, das ist uns Fischen egal.
Nicht egal aber ist uns etwas anderes, nämlich die Musik des Fließens, die dem Bogenstrich eines Cellos gleicht. Der Rambach ist ein musikalisches Meisterwerk mit den klassischen Sätzen Allegro, Adagio, Presto, Furioso, Ritardando ... Wassermusik pur. Dafür gibt es nun eine neue Bedrohung. Durch den geplanten Bau eines Kraftwerkes sollen große Wassermengen in Röhren abgeleitet werden. Eine Katastrophe für unsere schönen Schotterböden. Nur dort können wir laichen, unserer Jungen aufziehen. Wir brauchen unberührte Auen mit sich windenden, sich ständig erneuernden Flussmäandern. Ein Schauspiel bei regelmäßig fließendem Wasser! Zwar wurde versprochen, dass nur ein kleines Werk gebaut werden soll, aber auch das würde einen gewaltigen Eingriff erforderlich machen.
Mustair-grenze-2Es wurde ein Ersatz für die zu erwartenden Störungen vorgeschlagen: Am Ende des Münstertales, bei der Calvenbrücke, wo heute Kies ausgebaggert wird, sollte ein künstlicher See entstehen. Für uns Fische natürlich, damit wir in stillen Wassern Urlaub machen können am Ende des oft wilden Bergbaches. Damit wir nachdenken können über Krieg und Frieden, hier an diesem fatalen Schlachtenort, wo sich vor einem halben Jahrtausend unsere Vorfahren die Köpfe eingeschlagen haben. Ein See am Ende des Rambaches als Trost für schmerzliche Eingriffe. Und als Trost dafür, weil wir nicht mehr gräfliche Fische sind. Wiedergutmachung der Natur und der Politik! Ihr müsst uns zu Hilfe kommen, liebe Schweizer Nachbarn, der Ram oder der Rom - ein europäischer Bach - ist auch die Heimat eurer Fische!
Hans Wielander

Publiziert in Ausgabe 6/2012

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