Vinschgau - AUS DEM GERICHTSSAAL
Seit einiger Zeit wird auch die Fußgängerzone von Schlanders von Bettlern heimgesucht. Kein Mensch kennt sie, sie tauchen auf und verschwinden nach ein paar Stunden „nach getaner Arbeit“ wie vom Erdboden verschluckt. Zu einer eher makabren Episode kam es kürzlich, als ein Insasse des Pflegeheims, der selbst öfters „die Hand aufhält“, die Neuankömmlinge und potentiellen Konkurrenten mit barschen Worten wie: „lavorare, lavorare“!, zu vertreiben versuchte.
Eine bettelnde Zigeunerin kam gar in die Schlagzeilen des Trienter Lokalblattes QUI TRENTO. Die Zeitung druckte einen Artikel ab, in welchem die zunehmende Verwahrlosung des historischen Zentrums, insbesondere der Umgebung des Domplatzes, bedauert wurde. Als arge Plagen beschrieben wurden in diesem Zusammenhang die organisierte Bettelei, der Drogenhandel und die Prostitution. Als Beispiel lieferte die Zeitung auch gleich das Foto einer Zigeunerin mit, wie sie auf den Stufen des Domes gerade ihrem „Handwerk“ nachging.
Das wiederum war der Bettlerin zu viel des Guten. Sie erstattete Strafanzeige gegen den Urheber des Zeitungsartikels und den Herausgeber wegen Ruf-schädigung. Im anschließenden Strafverfahren beriefen sich die Zeitungsleute auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Dies sah auch der Untersuchungsrichter so, welcher die Angeklagten freisprach.
Die Zigeunerin ließ jedoch nicht locker. Sie brachte ihren Fall vor das Kassationsgericht in Rom. Die obersten Gesetzeshüter entschieden Ende Jänner, dass die Journalisten in ihrem „Eifer“ zu weit gegangen waren und das Persönlichkeitsrecht der Bettlerin verletzt hatten. Dadurch, dass im Artikel von organisierter Kriminalität und erwerbsmäßiger Bettelei die Rede war und in diesem Zusammenhang auch noch ein Bild der Zigeunerin „in Aktion“ eingefügt wurde, seien im Leser Assoziationen hervorgerufen worden, welche deren Ehrbarkeit verletzten. Der Fall kommt nun von Rom wieder nach Trient zurück mit dem Fingerzeig für die dortigen Richter, dass auch die Behauptung von erwiesenermaßen wahren Tatsachen ehrenrührig und Auslöser für Schadenersatzansprüche sein kann. Denn Ehre, wem Ehre gebührt, also auch dem Bettler!
Peter Tappeiner, Rechtsanwalt
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