Dienstag, 16 Oktober 2012 00:00

Architekten und Karrner

Schlanders/Bozen

RIMG0269Sie, die Leute von der Architekturstiftung, sind am Samstag, dem 29. September 2012 durch den Vinschgau gezogen und versammelten sich am Abend als Höhepunkt der Tagung in der Markuskirche von Laas, um sich über die „besonders auffällige und wertvolle Bausubstanz des Vinschgaus“ zu unterhalten. Also sie zogen nicht mit dem Karren auf zwei Rädern, sondern mit dem Auto, auch nicht bettelnd oder stehlend, sondern unter der Leitung von Susanne Waiz und anderer Prominenz, die sich um die Baukultur unserer Orte kümmert.
Besucht wurde zuerst das sanierte Pfarrhaus von Tabland, dann ein „weitergebautes“ mittelalterliches Haus in Galsaun, die Erweiterung der Grundschule in Schlanders, die Bahnremise in Mals und der zum Museum ausgebaute Wirtschaftstrakt im Kloster Marienberg.
Diese große Gruppe - Künstler, Historiker, Architekten, Wirtschaftler, Filmautoren, Designer, aber auch Lokalpolitiker, Kaufleute, Handwerker, Landschaftsökologen und Heimatpfleger - bildete für einen Tag eine vollständige architektonische Akademie; eine solche könnten wir hier im Vinschgau als Dauereinrichtung brauchen.
Aber nun zurück nach Laas. Zuerst in die Krone, zur Maridl, die mit Gespür für die Stimmung des Gastlokales einen wichtigen Beitrag zur Dorferneuerung geleistet hat, dann weiter zur „überdachten Mistlege“ , einem Werk von Werner Tscholl nach Vorgaben des Künstlers Jörg Hofer. Um diese „Kapelle“ zu verstehen braucht es (neben gutem Willen) viel ästhetisches Gespür. Vor allem auch juristische Fähigkeiten. Was hier in eine Gassenecke hingebaut wurde und wie mit den Abständen gespielt wurde, das kann nur als „übervinschgerisch“ verstanden werden. Damit meine ich nichts Negatives, sondern eben jenes „Mehr“, das einige Vinschger auszeichnet. Ein Mehr an Ideen, aber auch an Mut.
Die „Mischtleg“ hat eine lange Geschichte, beginnend vor 80 Jahren mit dem faschistischen Bürgermeister, dem „Podestá“, der den Befehl ausgab, alle Misthäufen mit Sacktüchern abzudecken, damit die kostbaren römischen Nasen nicht Tiroler Gestank atmen müssten. Dabei ist zu bedenken, dass früher das ganze Dorf voll Misthäufen war und dass bei uns die Redewendung galt: Wo Mistus, da Christus. Gemeint ist damit die innige Verbindung zwischen ertragreicher Landwirtschaft und christlichem Glauben.
Tatsächlich hängt gegenüber auf der Mauer ein altes Kruzifix; dort befindet sich auch das Atelier des Künstlers. Und da er, der Jörg Hofer, schon lange beste Verbindungen mit Architekten pflegt, war es klar, dass er früher oder später versuchen würde, die zum Abfallhaufen missbrauchte Hausecke zu erneuern und zu beleben.
Und nun kommt das Juristische: Baubestimmungen, der Kampf mit den Abständen vom Nachbarn, von der Straße. Ein sophistisches Meisterwerk! Als ich nämlich nach dem Sinn eines dünn ausgesparten Mauerschlitzes fragte - natürlich mit dem Hinweis, dass ich diese Idee für sehr interessant finde -, bekam ich als Antwort die Erklärung, dass es sich hierbei um eine Blendmauer handle, die nicht mit dem Hauptbau verbunden ist und deshalb näher an das Nachbarhaus heranrücken kann; auch ein Vordach ist nicht an die sonst gebotenen drei Meter Abstand gebunden!
Der bräunlich getönte Betonbau wiederholt die Dachlandschaft der hier sich kreuzenden Gassen, viel zu schade für eine Garage, wie beim Bauvorhaben angegeben. Die Laaser „Kapelle“ ist der anspruchsvolle Ausdruck eines Künstlers, dem die Bedürfnisse der Gegenwart zu eng sind. 
RIMG0339Wir besuchen nun aber ein Objekt in Schluderns. Es weist mehr in Richtung Kargheit, so zum Beispiel mit einem zweistöckigen „Hochbau“ im Ortszentrum. Auch er wurde über einer Mistlege errichtet; die Holztreppe in den oberen Stock wird nur mehr von einer Katze benutzt.
Wahrscheinlich gehört dieses Gebilde mehreren Besitzern. Das ist auch die Ursache für den beklagenswerten Zustand des dahinter liegenden, alten Hofes, zu dem der Stockbau vielleicht gehört. Die Zersplitterung des Besitzes war eine der Ursachen für das Karrnerwesen. Die vielen Kinder, also die weichenden Hoferben, waren gezwungen, sich als Wanderhändler, Pfannenflicker, Handlanger, Rosshändler, Unterhalter, Sänger und Schauspieler das Nötigste zu verdienen.
Der Platz im Heimatort wurde immer knapper und so zogen die Familien auf einem Karren durch das ganze Land und kehrten erst im Winter zurück, hausten dann vielleicht im warmen Stall. Dieses harte Leben und vor allem das Auswandern hat erst vor Jahrzehnten endgültig aufgehört.
Nicht aber die Zerstückelung des Besitzes. Dazu konnte Erwin Wegmann, Bürgermeister von Schluderns, den Teilnehmern des 3. Dorfgespräches in Laas einen auch architektonisch bedeutsamen Erfolg melden. Eine Genossenschaft von sieben Bauwilligen konnten innerhalb des Dorfes ein großes Gelände erwerben, bestehend aus einer Brandstätte, einem denkmalgeschützten Haus und einigen Scheunen. Dem Bürgermeister ist es gelungen, eine viel größere Förderung als üblich zu erreichen. Als Grund für diese Bevorzugung wird der Umstand genannt, dass bei diesem Projekt - im Gegensatz zu Neubauten im Grünen - eine Menge von Erschließungskosten wegfallen. Dieses wohnungspolitische Kunststück, das die Nutzung leerstehender Bausubstanz ermöglicht, ist auch wichtig für andere Gemeinden. Es betrifft den Artikel 87 des Gesetzes für geförderten Wohnbau.
Die Heimatschützer und Freunde der Architektur - und vielleicht auch Nachkommen der Karrner - sind den Vinschger Politikern und dem rührigen Bürgermeister dankbar!

Hans Wielander

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Publiziert in Ausgabe 21/2012

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