Mittwoch, 04 April 2012 00:00

Die tödliche Pappel

Vinschgau - AUS DEM GERICHTSSAAL

Wir wissen mittlerweile, warum die Straßenhalter die Bäume an den Rändern der Straßen einem Radikalschnitt unterziehen. Sie sind nämlich für die Verkehrssicherheit verantwortlich und müssen dafür sorgen, dass alle Verkehrsteilnehmer sie gefahrlos benutzen können.
Wussten Sie schon, dass eine ähnliche Obsorgepflicht auch den Eigentümer von Bäumen trifft, welche sich im Gefährdungsbereich einer Straße befinden? Er muss ebenfalls Vorkehrungen treffen, dass die Benutzer einer öffentlichen Straße nicht zu Schaden kommen.
Gestützt auf diesen Haftungsgrund wurden vor über 15 Jahren die Eigenverwaltung von Latsch und die Latschanderwaalinteressentschaft Kastelbell auf Schadenersatz verklagt. In der Nähe der Tisser Brücke war nämlich eine Pappel auf die Staatsstraße gestürzt. Das Unglück wollte es, dass gerade in diesem Augenblick ein Auto vorbeifuhr, welches vom Stamm getroffen wurde. Der Lenker war auf der Stelle tot.
Im Zuge des anschließenden Rechtsstreites entschädigte die Haftpflichtversicherung der Interessentschaft die Hinterbliebenen. Die Beweisaufnahme hatte nämlich ergeben, dass der Hauptgrund für das Abrutschen des Baumes darin zu suchen war, dass aus dem Waal über längere Zeit Wasser ausgetreten und die Wurzeln der Pappel unterspült hatte. Die Versicherung glaubte, von der Eigenverwaltung als Waldeigentümer zumindest einen Teil der Entschädigungssumme zurückholen zu können. Diese Anträge wurden vom Gericht jedoch abgewiesen. Die Eigenverwaltung machte nämlich geltend, dass sie zwar Eigentümerin des Grundes, nicht jedoch der darauf wachsenden Bäume war. Nun ist dies nach heutigem Rechtsverständnis ein Unding. Im Grundbuch eingetragen war und ist jedoch im Bereich der tödlichen Pappel auf Grund eines „Servitutenregulierungsvertrages“ aus dem Jahre 1886 eine Dienstbarkeit des Stockrechtes. Und das ist in der Tat ein juristisches Kuriosum, welches während der Monarchie in (der damals noch gefürsteten Grafschaft) Tirol verbreitet war und die getrennte Nutzung von Grund und Boden und der darauf wachsenden Bäume erlaubte. Meines Wissens gibt es solche Stockrechte heute noch in der Gegend von Tschars an Kastanienbäumen.

Peter Tappeiner, Rechtsanwalt

Publiziert in Ausgabe 7/2012

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