Dienstag, 05 Juli 2016 00:00

Die Entfremdung des Volkes vom Recht

Aus dem Gerichtssaal - In den westlichen Demokratien wird Recht gesprochen im Namen des Volkes. Die Formel, welche allen Urteilen der Gerichte vorangestellt wird, ist Ausdruck dafür, dass die Rechtsprechung wie alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Nach langjährigem Umgang mit der Justiz frage ich mich oft, ob das Volk überhaupt versteht, was in seinem Namen alles „gesprochen“ wird. Das fängt ja schon bei der Sprache an. Das Juristen- und Behördendeutsch ist häufig nicht nur unverständlich, sondern zuweilen eine Zumutung! Der Fachjargon in Ehren, aber der braucht noch lange nicht in Unverständlichkeit und Vergewaltigung der Sprache auszuarten. Die Kaiserin Maria Theresia soll für Ungarn eine kluge Anordnung erlassen haben: Den einzelnen Behörden soll ein „buta ember“, - auf Deutsch: ein dummer Mann – beigegeben werden. Er war nicht dumm, sondern vielmehr von durchschnittlicher Intelligenz, hatte aber nur Grundschulbildung. Dem „buta ember“ musste jede behördliche Anordnung zunächst im Entwurf vorgelesen werden; er hatte dann den Inhalt einer Kommission wiederzugeben. Wenn ihm das nicht einigermaßen gelang, musste der Entwurf umgeschrieben werden. Aber abgesehen von der unverständlichen Sprache sind manche Entscheidungen auch inhaltlich schwer nachvollziehbar und Ausfluss einer Art Treibhausklima, in welchem der Bezug zur Wirklichkeit und zum wirtschaftlichen Geschehen nicht gedeiht. Als Beispiel fällt mir das Urteil eines in der Nähe gelegenen Oberlandesgerichts ein, in welchem die Richter einem Architekten das Recht auf Honorar mit der Begründung verweigerten, er hätte nicht den Nachweis dafür erbracht, dass er für seine Leistung hätte entlohnt werden wollen! Wen wundert es da, dass die Leute nach Möglichkeiten suchen, an den Gerichten vorbei zu ihrem Recht zu kommen! Ein listiges Beispiel für legitime Selbsthilfe hat mir einmal ein Klient aus Schlinig erzählt. Da war ein Bauer, dessen Hennen sich ständig im Hof des Nachbarn herumtrieben, dort die ganze Erde aufscharrten und auch ihren Dreck hinterließen. Der so „Beschissene“ wandte sich an den Nachbarn und ersuchte ihn, seine Hennen einzuzäunen. Als dieser auf die Bitte nicht reagierte, richtete er in seinem Hofraum eine kuschelige Lagerstätte aus Heu und Stroh ein. Die Hühner schätzten dieses Plätzchen so sehr, dass sie es sich dort nicht nur gemütlich machten, sondern auch gleich ihre Eier legten! Als der Herr der Hennen das Fehlen der Eier bemerkte, war es um die Freiheit des Federvieh‘s geschehen!
Peter Tappeiner, Rechtsanwalt

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Publiziert in Ausgabe 14/2016

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