Dienstag, 15 Mai 2018 00:00

Mit dem Drahtesel gegen Weidedraht

Aus dem Gerichtssaal - Dass die Juristerei mit dem gesunden Menschen- und Hausverstand öfters in Konflikt gerät, darauf haben wir in dieser Rubrik mehrfach hingewiesen. Auch hatten wir öfters Gelegenheit, über bizarre Haftungsfälle zu berichten, so zum Beispiel über den Almwanderer, der erwartete, vor den dort weidenden Kühen geschützt zu werden, oder von dem Mountainbiker, der den Tourismusverein dafür verantwortlich machen wollte, weil er auf einem seiner Meinung nach zu „haarigen“ Trail zu Sturz gekommen war. Gemeinhin nehmen wir an, dass Amerika das Land der unbegrenzten (Haftungs)Möglichkeiten wäre. Als Paradebeispiel dient dabei immer der Fall der Hausfrau, die ihren durchnässten Kater zum Trocknen in die Mikrowelle steckt und als sie ihn verkohlt aus dem Ofen herausholt, den Hersteller des Herdes verklagt, weil in den Gebrauchsanleitungen der Hinweis fehlte, dass der Ofen zum Trocknen von Tieren nicht tauge. Doch wir sind dabei, die Amerikaner ein – wenn nicht zu überholen! Als jüngstes Beispiel dafür dient ein Fall, welcher sich vor ein paar Jahren im Gadertal zugetragen hat und der vor kurzem vom Landesgericht Bozen entschieden wurde. Ein Mountainbiker aus Deutschland fuhr über einen privaten Waldweg, an dem auch noch ein Fahrverbotsschild angebracht war, das er missachtete. Der Bauer, dessen Wiese der Weg überquerte, hatte einen elektrischen Weidezaun über den Weg gespannt. Der Radfahrer übersah das Hindernis, „fädelte“ mit der Lenkstange ein, kam zu Sturz und verletzte sich an der Schulter. Der Biker brachte den Bauern vor den Kadi. Seine Klage begründete er damit, der Landwirt hätte auf das „Hindernis“ in geeigneter Form hinweisen und am Draht zumindest bunte „Fähnchen“ anbringen müssen. Das Gericht in Bozen brachte die verschuldensunabhängige sog. Sachhalterhaftung zur Anwendung und „verdonnerte“ den Bauern zu Schadenersatz in Höhe von ca. 8.000,00 Euro. Die Entscheidung hätte durchaus anders und für den Hausverstand verständlicher ausfallen können. Zum einen wäre die Frage berechtigt gewesen, was der Radfahrer auf dem privaten Grundstück überhaupt verloren hatte. Zum anderen konnte man von ihm verlangen, dass er, wenn er für seine sportliche Betätigung schon privaten Grund glaubte befahren zu sollen, er für seine Sicherheit selbst die Verantwortung übernehmen würde. Und einen über den Weg gespannten Weidezaun als Hindernis nicht zu erkennen läuft auf zumindest überwiegendes Eigenverschulden hinaus. Womit wir wieder beim Thema wären: dass nämlich von Gerichtsurteilen wie diesen begünstigt die bei vielen Zeitgenossen verbreitete Vollkaskomentalität gefördert und der Begriff Eigenverantwortung zum Fremdwort wird!

Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt 

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Publiziert in Ausgabe 10/2018

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