Dienstag, 22 September 2015 00:00

Santiago de Compostela

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Finisterraee Foto HuberFinis terrae, das Kap an der Nordwestspitze von Spanien; der Name bedeutet soviel wie „End der Welt“. Wir stehen also vor dem Ozean, der bis Amerika reicht, am westlichsten Zipfel von Europa, den auch unser Dichter Oswald von Wolkenstein vor einem halben Jahrtausend in einem seiner Lieder erwähnt. „Durch Berberland, Arabien/ durch Armenien und Persien ...von Portugal und Spanien bis zum Finstern Stern.“Oswald verwandelt also das Finis terrae in einen „finsteren Stern“.


Tatsächlich gleicht die sturmgepeitschte Gegend in den kalten Monaten einem finsterer Stern. Mit beginnendem Herbst branden die erregten Gewässer mit wütender Kraft an die Granittürme der Küste. Sie formen, schleifen, brechen Schluchten und Höhlen aus dem Gestein, das über dem aufgewühlten Grund zusammenbricht. Die Atlantikküste wird zernagt wie ein riesiger Knochen; das Meer reißt unersättlich Stücke des felsigen Ufers in die Tiefe.
Aus diesem Granit bestehen auch die meisten alten Bauten: Stadtmauern, Kirchen, Klöster, aber auch die einfachen Landhäuser, so zum Beispiel die in Galizien häufigen Kornspeicher: Alles gefügt aus sorgfältig behauenem Granit.
Die Fassaden der Gebäuden zeigen sich mit düsterem, würdigem Ernst.
Nur in den Kirchen, da prunkt das Gold. Ähnlich den alles umspülenden, wütenden Wassermassen, die sich in den Felswänden der Atlantikküste spielerisch brechen und zurücksinken, umfließt hier das Gold die Säulen, die Heiligen, die Putten, die Früchte, den ganzen Altar. Es hört nicht auf, prunkt wütend, sich wiederholend, sammelt sich im Bereich des Allerheiligsten und steigert sich zum Fortissimo. Und hinter so einem Goldrausch, in einem Altartabernakel, werden die Gebeine des Heiligen Jakob aufbewahrt.
Um dem Pilgerpatron besonders nahe zu sein, erklimmen die Betenden eine Stiege, die sich um den Altar windet. Jetzt wird der Reliquienschrein mit ausgebreiteten Armen berührt und geküsst. Dem so innig Betenden wird alles gelingen, was er auf dem Herzen hat.
santiago de compostelaDie Geschichte dieses Pilgerortes ist mehr als tausend Jahre alt und wird von Zeit zu Zeit immer wieder neu gedeutet. Im Mittelalter galt Santiago neben Rom und Jerusalem als gleichwertiges Wallfahrtsziel. Wer diese Pilgerfahrt - zu Fuß natürlich - erfolgreich durchbetet hat, war von aller Sündenlast befreit und hat sich einen Platz im Himmel gesichert. Heute denkt man darüber anders. Der Erlösungsgedanke aber ist geblieben. Geblieben ist auch der Stolz auf die Leistung. Italienische Pilger haben sich auf dem Rückflug im Flugzeug gegenseitig die abgetragenen Wanderschuhe gezeigt. Triumphierend wurde die dünngetretene Schuhsohle gezeigt, die als schlaffe Zunge vom Schuhwerk baumelte.
Der Pilgerheilige, der vielfach mit Trinkmuschel, mit langem Stab, Reisetasche und Kürbisflasche dargestellt wird, hilft bei allerlei Anliegen, unter anderem auch beim Kinderwunsch der Frauen. Die Muschel gleicht in ihrer Form dem weiblichen Geschlechtsorgan und so kann angenommen werden, dass es sich ursprünglich bei Santiago um ein vorchristliches Frauenheiligtum handelte. Jakobus der Ältere - so der Name des heiligen Apostels -, hat angeblich den heidnischen Spaniern gepredigt. Der heilige Jakob wird Symbol des Kampfes gegen die Mohammedaner und den Islam; seine Gebeine kamen erst im hohen Mittelalter nach Santiago.
Und ich, was habe ich als Flugzeugpilger mit dieser Wallfahrt zu tun? Man weiß sich zu helfen. Alle Wanderungen auf die vielen Bergspitzen und Jöcher, am Meer oder in der Wüste, die auch mit Mühe und Schweiß verbunden waren, zusammen gestückelt... die Summe ergibt vielleicht die Strecke von Schlanders nach Santiago.
Die Hingabe bei einer Bergtour, die aufmerksame Andacht bei einer Dünenwanderung, bei einem Waldspaziergang ist durchaus vergleichbar dem Gebet frommer Pilger. Der Wandernde betet immer.
In der goldschimmernden Kathedrale von Santiago de Compostela hängt aus dem Kirchenschiff, in der Kuppel mitten über der Jakobsmuschel santiagoVierung, ein großes Weihrauchfass, das bei besonderen Anlässen zum Schwingen gebracht wird und den ganzen Kirchenraum mit berauschendem Duft erfüllt. Himmlische Musik, goldene Feste für das Ohr, berauschende Farbenpracht, tröstende und jubelnde Worte des Priesters, der Rausch gemeinsamer Frömmigkeit, das Mysterium der Wandlung... welche Festlichkeit habe ich vergessen?... in diesem Gesamtkunstwerk spielt auch der Geruch, des Weihrauchs eine wichtige Rolle.
Die Hinwendung zum Schönen, das Staunen, das Erkennen, alles ist Befreiung, Läuterung, ist immer auch Gotteslob. Auch der Dialog mit der Natur ist ein Gebet. Man kann eigentlich gar nicht anders, als immerzu zu beten, oder, wie man heute sagt, zu meditieren.
Hans Wielander

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