Die erste Frau für Schüler des Realgymnasiums war eine „Liegende“ aus Sandstein; sie entstand 1973 und lag lange in der Grünanlage eines Schulhofes. Das Bildwerk konnte mit den Händen erfahren, also auch berührt werden. Tiefe Einschnitte, der Kopf wird sichtbar, Räume entstehen, vor allem aber das Becken. Der Körper aus weichen Steinwülsten. Massen verlagern sich. Die Glieder wachsen und schwellen wie gesponnene Wolle. In langsamer Drehung die Umkehr.
Damit beginnt die „Entwicklung“ des Knäuels, den wir Frau nennen. Die „Liegende“ begleitet den Künstler durch sein ganzes Lebenswerk, in unendlich reichen Abwandlungen, gezeichnet, gemeißelt, gegossen. In Tälern und Höhen, im Wasser und im Himmel, überall begegnet der Michael der Frau. Ganz ähnlich darin dem Göttervater Zeus auf dem Olymp.
Der Ulrich erklärt mir die Zeichnungen in Kohle oder Bleistift, die Kaltnadelradierungen auf Aluminium, die in Metall geritzten „Refer“, die sich immer wieder in Frauenakte verwandeln. Abgründe, Geröllflüsse, Felswölbungen und Schichten wachsen und steigen suchend auf. Hin zu seinem Lieblingsberg, zum heiligen Berg Jenn. Michael Höllrigl wurde 1936 in Laas geboren, lebt und arbeitet in Lana und auf Parnetz, in der Nähe seines Geburtsortes am Laaser Nördersberg.
Der Göttervater Zeus liebte viele Frauen. Als Vater der neun Musen ist er zuständig auch für die Künste. Vor allem kennen wir ihn durch die Kunst der Annäherung, der sinnlichen Annäherung. Was wir auch Liebe nennen. Für Zeus wird diese Kunst in den verschiedensten Spielarten und Verwandlungen überliefert. So näherte er sich auf einer kleinen Insel der Jungfrau Europa in der Gestalt eines mächtigen, sanften Stieres; danach entführte er die schöne Königstochter auf festes Land: Damit beginnt Europa.
Einer anderen Frau, der ebenfalls schönen Danae, nähert er sich in Form eines Goldregens. Geld und Gold locken; immer wieder haben Künstler auch diese Verführung dargestellt.
Oft sind die begehrten Frauen verheiratet, wollen treu bleiben und versuchen sich den Nachstellungen des Göttervaters durch Verwandlung zu entziehen. Leda verbirgt sich in der Gestalt einer Gans. Aber Zeus nähert sich ihr in der Gestalt eines Schwanes und verführt sie erfolgreich. Diese Verführungen, so absurd sie auch sind, werden vom griechischen Götterhimmel immer wieder erzählt, dargestellt und überraschend abgewandelt.
Weniger bekannt ist dabei seine Liebe zu der kleinen und zierlichen Nymphe Klitoris. Er nähert sich ihr in der Gestalt einer Ameise. (Wenn das erzählt wird, schauen die Frauen eher unglücklich drein).
Mit dem Namen der Nymphe Klitoris bezeichnen die Mediziner den Kitzler der weiblichen Scham, den einzigen Körperteil, der ausschließlich dem Vergnügen dient. Erotische Erwartungen kreisen immer wieder um diese schöne Unbekannte.
Der Zeichenstrich des Künstlers irrt liebevoll suchend wie der Göttervater Zeus; er ist in vieler Hinsicht Vater auch der Künstler, die in unermüdlicher Weise Verführungen versuchen, finden, uns mitteilen. Und sich oft in die Einsamkeit, auf einen Berg, zurückziehen. Das Volk der Ameisen - so erzählen es griechische Sagen - erneuerte immer wieder die durch Krieg oder Pest menschenleer gewordenen Inseln: Aus der Kraft der Erde, also aus dem Lebensraum der Ameisen, kommt neues Leben.
Michael Höllrigl zeichnet zwölf liegende, zwölf lebensgroße Frauenkörper mit Kohle auf Papier, den „Fries der schwarzen Frauen“. Dazu zwei erklärende Texte eines Freundes: Die Frau ist die Schöpfung des Mannes. Aus Adams Rippe entstanden, gewinnt sie an Gestalt... Endlich teilt sich die Liegende zum Menschenpaar. Der Mann ist die Schöpfung der Frau.
Damit schließt sich der Kreis eines großen Künstlerwerkes, eines Künstlervaters, der Samen in die Welt streut. Diese Samen hat Heinrich Schwazer in einem umfangreichen Buch gesammelt. Bauplastik, kirchliche Kunst, Porträts, darunter auch der Tod der Katze Olga, eine Fuge für Roland Kristanell,.. bei aller Vielseitigkeit des Künstlers immer wieder der zurücksinkende Michael.
Zurücksinkend in den Schoß des Weiblichen, zum Ursprung des Menschen.
Hans Wielander
Zeitunng Vinschgerwind Bezirk Vinschgau
Zwei Zeichnungen aus dem Buch von Heinrich Schwazer „MICHAEL HÖLLRIGL Bildhauer und Zeichner, Skarabaeusverlag, Innsbruck, 34,90 €
ISBN 978-3-7082-3301-7.
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