Mittwoch, 12 Juni 2019 12:40

Die andere Welt

Val Müstair - Wie wird Landwirtschaft in der benachbarten Schweiz betrieben? Unter welchen Bedingungen arbeiten die Bauern im Val Müstair und was wird dort produziert? Diesen Fragen ist der Vinschgerwind nachgegangen und hat den Gemeindepräsident Rico Lamprecht und den für die Land- und Forstwirtschaft zuständigen Gemeindevorstand Daniel Pitsch um Aufklärung gebeten.

von Erwin Bernhart

Wenn ein Bauer aus Taufers im Münstertal und ein Bauer aus Müstair nebeneinander ihre Wiesen mähen, machen sie diesselbe Arbeit. Aber die Voraussetzungen im Hintergrund könnten verschiedener nicht sein. Die Europäische Union ist in Taufers im Münstertal - außerhalb der EU agiert der Bauer aus Müstair. Es sind zwei Welten.
Was sind die Unterschiede? Was produzieren unsere Nachbarn im Val Müstair und vor allem unter welchen Preisbedingungen bzw. unter welchen Förderungen von seiten der Schweizer Bundesregierung arbeiten die Bauern im Val Müstair?
Hamburger habe man bei der Einweihung der neuen Käserei am 25. Mai 2019 gereicht. Einen Hamburger mit Fleisch und einen Cheeseburger mit Käse. Das Beispiel erzählt Rico Lamprecht dem Vinschgerwind. Lamprecht ist Gemeindevorstand des Val Müstair, bei uns würde man sagen der Bürgermeister. Neben Lamprecht steht Daniel Pitsch dem Vinschgerwind Rede und Antwort. Pitsch ist im Gemeindevorstand und unter anderem zuständig für Land- und Forstwirtschaft, bei uns würde man sagen der Gemeindereferent für die Bauern.
Hamburger? „Der Fleisch-Hamburger steht für die Fleischproduktion, der Cheeseburger für die Milchveredelung und das Brot des Hamburgers steht für die Getreideproduktion im Val Müstair“, lacht Rico Lamprecht. Ein Gericht vereint die drei wesentlichen Produktionsschienen.
In der rund 1.500 Einwohner zählenden Gemeinde Val Müstair arbeiten 48 als Bauern, 37 davon im Vollerwerb und 11 im Nebenerwerb, die vor allem Schafe und Ziegen halten. Eine überschaubare Anzahl an Bauern und anteilsmäßig ähnlich jener Situation in Südtiroler Dörfern, in denen Bergbauern wirtschaften.

 

Fleisch
Rico Lamprecht und Daniel Pitsch gehören zu jener Gruppe von 25 Bauern, die auf ihren Höfen Mutterkuhhaltung betreiben und zwar auf biologische Art und Weise nach den strengen Richtlinien von Bio-Swiss. Höchstens 5% Kraftfutter aus biologischem Anbau dürfen zugefüttert werden. Ein Laufstall ist selbstverständlich. Gemolken wird nicht, denn die Kälber werden bis zu 10 Monate lang von den Kühen gesäugt. „Wir produzieren „Natura Beef“, sagen Lamprecht und Pitsch. Das Kalbfleisch-Premiumprodukt wird in der schweizweiten Genossenschaft „Mutterkuh Schweiz“ geregelt. Der Absatzmarkt ist die gesamte Schweiz. Die Schweiz ist imstande, rund 70% des Fleischbedarfes mit Eigenproduktion zu decken und ein Teil davon ist das „Natural Beef“. „Es wird nur soviel „Natural Beef“ produziert, wie der Markt aufnehmen kann“, sagt Lamprecht. Neue Betriebe für Mutterkuhhaltung werden erst dann aufgenommen, wenn der Markt dies zulässt. Diese Form der Kontingentierung garantiert einen guten Preis. Pro Kilo am Haken bekommen die Bauern rund 11 Franken, also rund 10 Euro. Die für das „Natura Beef“ schlachtreifen Tiere sind 10 Monate alt und für ein Tier können schon mal 2.500 bis 3.000 Franken herausschauen.
Rund 10 bis 15% der Fleischproduktion bleiben im Val Müstair. Für die Tierschlachtung wird die Grenze überschritten, denn das Val Müstair hat derzeit keinen eigenen Schlachthof. Die Tiere, rund 100 Rinder und rund 50 Kleintiere im Jahr, werden zum Schlachthof Mals gebracht und das Fleisch wieder zurück ins Tal. Dort wird es über Selbstvermarktung unter die Leute gebracht und auch für die Gastronomie zur Verfügung gestellt.
In der Schweiz besteht für alle Tiere die Pflicht zur Weide. Ab 1. Mai bzw. ab 1. Juni, je nach Berglage, müssen die Tiere auf die Weide. „90 bis 100 Tage“, sagt Daniel Pitsch, „sind die Tiere auf den Alpen und somit weg vom Futtertrog. Das Heu der Wiesen ist reines Winterfutter.“ Auf der Alp Prasüra wird gekäst und rund 3,5 Tonnen Alpkäse hergestellt. Weniger ist es auf der Alp Tabladatsch. Wie auch in Südtirol ist die Alpung auch gegen die Verbuschung am Berg und damit für mehr Biodiversität und all das zusammen für die Erhaltung der Kulturlandschaft. „Trotzdem muss gegen die Verbuschung gemeinsam mit den Förstern eingegriffen werden“, sagt Pitsch.

Milch
12 Milchbauern produzieren im Val Müstair rund 1,3 Millionen Liter Milch im Jahr. In der neuen Käserei, in der „Chascharia Val Müstair“ in Müstair, einer Genossenschaft der Milchbauern, wird Heumilchkäse produziert, also silagefrei. „Münstertaler Käse“, sagt Lamprecht, „weil wir den Begriff Heumilch in Südtirol nicht verwenden dürfen.“ Die Käserei wurde auch mit Hilfe der Coop-Patenschaft finanziert. Rund 1 Million Franken hat die eigenständige Stiftung zu ihrem eigenen 75-jährigen Jubiläum den Münstertaler Bauern zur Verfügung gestellt. „Die Milch aus dem Val Müstair wird zu 100 % veredelt“, sagt Pitsch. Ein kleiner Teil der Milch wird, je nach Bedarf, nach Livigno transportiert, dort zu UHT-Milch verarbeitet und zur Molkereigenossenschaft zurückgeschickt. Von der Käserei aus wird die UHT-Milch an den Detailhandel und an die Hoteliers „ab Rampe“ verteilt. „Man ist da noch am Optimieren“, sagen Lamprecht und Pitsch. Für die Biomilch erhalten die Bauern 68 Rappen pro Kilo, etwa 62 Cent. Die Milch wird von einem Kleinlaster einmal am Tag direkt an den Bauernhöfen abgeholt.
Der Anbau von Roggen, von alten Getreidesorten, ist den Bauern wichtig. Und zwar auch aus Gründen der Tradition. Für Bioware werden derzeit rund 98 Franken pro 100 Kilo bezahlt, etwa 90 Cent pro Kilo. Und für alte Sorten sogar 112 Franken. Das ist ein stolzer Preis. Lamprecht und Pitsch weisen auf zwei ältere Fotos im Gemeindehaus hin. Das Tal ist darauf zu sehen, einmal Richtung Ofenpass, das zweite Richtung Vinschgau. Viele Getreidefelder sind darauf zu erkennen. Das war vor 50 Jahren. Der Malser Haide damals nicht unähnlich.

Getreide
Im Val Müstair gibt es eine Dachorganisation, die „agriculura jaura“, deren Präsident Rico Lamprecht ist. Man wolle damit die Milchprodukte, die Fleischprodukte und die Getreideprodukte aus dem Val Müstair gezielter vermarkten. Cheeseburger eben - mit Fleisch, Käse und Brot.
Eine Seite der Landwirtschaft ist die Produktion und die aus dieser Produktion erzielten Erlöse. Das ist in Südtirol nicht anders als in der Schweiz, als im Val Müstair.
Die zweite Seite der Medaille sind die Förderungen von Seiten des Landes, des Staates, und der EU. Im Val Müstair sind das die Föderungen von der Bundesregierung, vom Bund. Dort trennen die Bauern aus dem Münstertal und die Bauern aus Taufers im Münstertal Welten.
„Die Direktzahlungen vom Bund entscheiden über die Art der Bewirtschaftung“, sagt Rico Lamprecht. Seit vier Jahren hat der Bund auf flächenbezogene Direktzahlungen umgestellt und stellt jährlich 4 Milliarden Schweizer Franken dafür zur Verfügung.
Die Direktzahlungen sind gestaffelt. Ein Bauer in der Ebene erhält weniger Franken pro Hektar als ein Bauer im Berggebiet. Ab 1600 Metern Meereshöhe, auf der viele Bergbauern im Val Müstair wirtschaften, ist es in der Schweiz die Bergzone 4. Werden die Bergwiesen ökologisch bewirtschaftet, zahlt der Bund pro Hektar rund 3.800 Franken in der Bergzone 4. Für 20 Hektar lukrieren die Bauern demnach um die 80.000 Franken pro Jahr.

Im Val Müstair bzw. in der Schweiz gibt es seit längerem keine Realteilung mehr. Höfe müssen an die Erben als Ganzes übergeben werden. Ähnlich bei uns den geschlossenen Höfen. Aus diesem Grund besitzen die Bauern im Münstertal im Schnitt 17-18 Hektar Wiesen. Der größte Bauer hat rund 60 Hektar. Kleinbauern, wie im Vinschgau mit 6 Hektar Wiesen, gibt es im Val Müstair de facto nicht. Zudem dürfen in der Schweiz einzelne Parzellen nur an Bauern verkauft werden. Für das Val Müstair, für die Biosfera Val Müstair, für eine künftige bessere Vermarktung bildet die Landwirtschaft die Basis. „Das Val Müstair ist so, weil wir das so geschaffen haben“, sagen Lamprecht und Pitsch über die Kulturlandschaft. Als Motor der Wirtschaft hat die Landwirtschaft in den vergangenen 40 Jahren rund 150 Millionen Franken investiert. Das Bau- und Kleingewerbe haben davon profitiert - und der Tourismus.

Masterplam
Aber auch das Val Müstair leidet unter der demografischen Entwicklung. Unter der Abwanderung gleich wie unter der Überalterung.
Lamprecht hat vor zwei Jahren einen „Masterplan Val Müstair 2025“ lanciert. Die Unternehmensberater von Quant AG haben eine „Positionierung und strategische Ausrichtung der Gemeinde Val Müstair“ erarbeitet. Darin sollen alle Wirtschaftszweige, alle Kulturträger gebündelt für ein gezieltes Auftreten des Val Müstair zusammenfinden.
Zielsetzungen und Projekte sind definiert - die Umsetzungsphase hat begonnen. Die Landwirtschaft spielt darin ebenfalls eine Rolle.

Publiziert in Ausgabe 12/2019

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