Der Schulbeginn steht vor der Tür. Der Vinschgerwind hat Stimmungen dazu eingeholt. Ältere Vinschgerinnen und Vinschger haben uns Anekdoten aus ihrer Schulzeit unter oft schwierigen Bedingungen erzählt. Junge Mütter sprechen von ihren Erfahrungen und den daran geknüpften Wünschen.
„…nit z`tian kemman“
Elfriede Patscheider wuchs zusammen mit ihrer Schwester bei der Tante in Kapron auf, nachdem ihre Mutter in der „Schmiede“ am Eingang des Langtauferer Tales Zwillinge bekommen hatte. Am ersten Schultag im Jahr 1936 in Pedross setzte sich Elfriede in eine hintere Schulbank und nahm aufgeregt ihre Schiefertafel und einen Griffel aus der Schultasche. Mit 35 Kindern mehrerer Jahrgänge saß sie in einem Raum und die Verständigung mit der Lehrerin war schwierig. Diese sprach nur italienisch und Elfriede nur den Langtauferer Dialekt. Dass Elfriede zu wenig sah, konnte sie der Lehrerin nicht verständlich machen. Immer wieder schrieb sie etwas falsch von der Tafel ab, was die Lehrerin zur Weißglut brachte. „Dia isch mit miar beas gweesn“, erinnert sich Frau Elfriede. Es dauerte Monate bis die Lehrerin die Kurzsichtigkeit erkannte und die Kleine in die erste Bank setzte. Zwischenmenschliche Schwierigkeiten gab es nicht nur mit der Lehrerin. Auch untereinander trugen die Kinder Grabenkämpfe aus. Jene aus Kapron und Pedross hatten etwas gegen jene aus Malsau. Nach Schulschluss gab es regelmäßig Raufereien oder bitterböse Schneeballschlachten, bei denen Letztere meistens das Nachsehen hatten, weil sie in der Minderheit waren. „Mir sain oanfoch nit ztian kemman unt oft sein miar mit se a Stuck gfohrn “, sagt Elfriede. Ein Heimweg von der Schule endete für Elfriede mit einem gebrochenen Knie. Schuld daran trugen allerdings nicht die raufenden Mitschüler, sondern ein Ordnungshüter, der sie auf der Schneestraße mit seinem Jeep streifte, obwohl sie sich ganz an den Straßenrand gestellt hatte. Eine schmerzhafte und abenteuerliche Fahrt begann. Sie führte zuerst mit dem Schlitten zum Arzt nach Graun, der das Bein schiente, dann in Begleitung der Mutter und einer Freundin mit dem Bus nach Mals und mit dem Zug nach Lana-Burgstall, wo ihr dann ein Gipsverband angelegt wurde. Dieser machte daraufhin den Schulweg beschwerlicher und sie war eine Zeit lang auf die Hilfe ihrer Schwester angewiesen. (mds)
Beim zweiten Kind ist es definitiv weniger aufregend als beim ersten. Trotz allem unterscheidet sich jedes Kind charakterlich vom anderen. Daher bin ich wiederum sehr gespannt, wie sich unser David, der im Herbst einschult, in die Schulgemeinschaft einfinden wird. Ich wünsche mit ganzem Herzen, dass ihm das Lernen Freude bereiten und David sich in der Klasse wohlfühlen wird.
„… a Gaudi kopp“
Als das Schönste an der Schulzeit beschreibt Margherita Rufinatscha Dietl die Begegnungen mit ihren Freundinnen und den gemeinsamen Schulweg mit ihnen. „Miar hoobm olm a Gaudi kopp“, sagt sie. Vor allem heimwärts schlug sie selten den direkten Weg zum Elternhaus ein, sondern machte einen Umweg. In ihrer Leinentasche, die ihre Mutter genäht und mit „Kreuzlstich“ bestickt hatte, trug sie die Hefte und Bücher mit sich. Immer wenn sie den Vater darum bat, ein neues Heft kaufen zu dürfen, kontrollierte dieser zuerst, ob auch jede Zeile des alten Heftes vollgeschrieben war. Erst dann bekam sie das Geld. Neben der Unterrichtssprache Deutsch wurde Italienisch gelehrt. Der Zweitsprachenunterricht hatte nach den Repressalien in der Faschistenzeit allerdings einen schweren Stand. Erwachsene forderten zum Ungehorsam auf. „Oanmol sein miar olle durch, wenn di Italienisch-Lehrerin in di Klass innikemman isch“, erzählt Margherita. Daraufhin musste der Bürgermeister vermitteln, der Margheritas Vater war und sie heftig zurechtwies. In Erinnerung geblieben ist ihr der letzte Schultag. Lachend zogen die vierzehnjährigen Freundinnen über die Dorfstraße. Ein Mann, der vor seinem Haus Holz hackte, scherzte mit ihnen. Übermütig packte eine Freundin Margheritas Schultasche, schwang sie und schleuderte sie durch das offene Fenster im oberen Stock in den Hausgang. Die Schwester des Mannes auf der Straße gab den Mädchen die Tasche dann zurück. Dieses damalige Abenteuer deutet Margherita heute wie einen Wink des Schicksals. Am 25.Jänner 1962 zog sie zusammen mit ihrem Ehemann Meinrad in diesem Haus ein, nachdem es ihnen die Geschwister verkauft hatten. „I hatt mir selm nia denkt, dass i onmol do wohnen wear“, sagt sie. (mds)
„…mein Nochnomen nimmr gwisst“
Der pensionierte Forstbeamte in Graun, Alois Röd, erinnert sich mit einem Schmunzeln an seinen ersten Schultag in seinem Heimatort Sand in Taufers im Tauferer Ahrntal. Schüchtern und mit einer gebrauchten Schultasche bepackt betrat er zusammen mit seinen Schulkollegen die Klasse. Angespannt setzte er sich in die Schulbank und richtete seine Augen wie gebannt auf die Lehrerin, die sich freundlich vorstellte. Dann fragte sie die Schülerinnen und Schüler nach den Namen. Plötzlich stand sie vor Alois, der über alle Maßen aufgeregt aufschaute und wie verschwommen die Worte hörte: „Wie heißt denn du?“. Erschrocken stotterte er: „Alois“. Als die Lehrerin auch seinen Nachnamen in Erfahrung bringen wollte, blieb er ihr die Antwort schuldig. „I hon mein Nochnomen nimmer gwisst“, lacht er. „Di Aufregung isch z groaß gweesn. Mehr woaß i fad r Schual nit, lei dass i norr a recht guatr Schüler gweesn bin.“ (mds)
Zum Schulanfang meiner ältesten Tochter Carolin war ich sehr aufgeregt, da wir etwas abseits von Stilfs wohnen und der soziale Kontakt mit den restlichen Dorfkindern daher noch nicht richtig geknüpft war. Trotzdem hat sich Carolin bestens in die Klassengemeinschaft eingefunden und auch unser Simon hat seinen ersten Schultag gut gemeistert. An meinen eigenen kann ich mich nicht mehr erinnern.
„… di gonz Zeit greart“
Der erste Schultag ist Frau Anna Thöni in trauriger Erinnerung. „I honn di gonz Zeit greart“, sagt sie. Der Eintritt in den neuen unbekannten Lebensabschnitt und vor allem der Abschied von ihrer Mutter machten ihr so zu schaffen. Sie war die älteste von sechs Kindern und das erste Schulkind der Familie. An der Hand ihrer Mutter und mit einem Heft unter dem Arm verließ sie weinend den heimatlichen „Patscheidhof“ und erreichte nach zwanzig Minuten Hinterkirch, wo das Schuljahr mit einer hl. Messe begann. In der Kirche beruhigte sich Anna etwas. Doch später in der Schulklasse flossen erneut Tränen. Die Lehrerin versuchte sie zu beruhigen. Doch da sie nur italienisch sprach, erreichten die tröstenden Worte Anna nicht, obwohl die älteren Mitschüler in der mehrklassigen Schule zu übersetzen versuchten. Anna beruhigte sich erst wieder, nachdem sie daheim war. Die Mutter redete erneut auf sie ein und nähte ihr eine neue Schultasche aus einem „rupfenen“ Sack. Diese heiterte sie auf und der Schulalltag nahm seinen Lauf. Anna bemühte sich, die Lehrerin zu verstehen und führte ihr Heft mit großer Sorgfalt. Auf dem Heimweg sprach sie eines Tages ein italienischer Straßenarbeiter an und deutete auf das Heft, das sie in den Händen hielt. Sie erschrak und nahm seinen freundlichen Ton nicht wahr. „Sei una brava ragazza, fa mi vedere il quaderno“ (Du bist ein braves Mädchen, zeig mir dein Heft), sagte er. Anna, die kein Wort verstand, drückte das Heft krampfhaft an sich und lief davon. Sie hatte Angst, der Arbeiter wolle ihr das Heft nehmen. Dass das nicht seine Absicht war, erklärte ihr später eine ältere Mitschülerin, die das Ganze mitbekommen und auch verstanden hatte. (mds)
Natascha ist bereits mein 4. Kind, das einschult und nachdem ich mit meinen anderen Kindern nur positive Erfahrungen beim Einschulen gemacht habe, ist der Schulanfang für mich persönlich keine aufregende Sache mehr. Man denkt schon ab und zu daran, wie es wohl gehen wird und ob sie es schaffen wird, aber wichtig ist mir vor allem, dass Natascha Bereitschaft zum Lernen zeigt und sich auf die Schule freut. Ein wenig aufgeregt ist sie jedenfalls jetzt schon…
„..wia Hunt unt Kotz“
Die Kinder aus Rifair besuchten die ersten zwei Volksschulklassen im Weiler Rifair. Erst dann mussten sie täglich den Fußmarsch in den Hauptort Taufers in Angriff nehmen. Anna fühlte sich am ersten Schultag recht sicher, denn ihr älterer Bruder Sepp saß als Zweitklässler im selben Klassenraum und behütete sie. Hie und da musste sie auch seine Schelte erdulden, vor allem dann, wenn sie nicht wusste, welche Aufgabe sie daheim zu machen hatte, weil sie nicht aufgepasst hatte. Schlecht in Erinnerung ist ihr der Lehrer aus Prad. Dieser konnte sich ihren Nachnamen „Spechtenhauser“ nicht merken, was ihr noch heute unverständlich ist. Er rief sie „Kirschbaum“. Als er nicht damit aufhörte, blieb sie aus Protest sitzen. Es dauerte einige Zeit bis der Lehrer sie mit richtigem Namen ansprach. Den Namen „Kirschbaum“ hatte sich ein Mitschüler eingeprägt, und er verwendete ihn, um Anna zu necken. Da nutzte auch der Schutz des Bruders nichts. Diesen benötigte Anna dann, als sie in Taufers die Schule besuchte. Die Tauferer und Rifairer Schülerinnen und Schüler waren „wie Hund und Katz“. Raufereien und blaue Flecken waren an der Tagesordnung. Im Hintergrund wirkten auch Feindschaften zwischen Familien eine Rolle. „Oft sein di Tauferer noch dr Schual mit inz gfohrn bis zur Kapell“, erinnert sich Anna und fügt hinzu: „Früher sein viele Schualbuabm groub unt knoschpat gweesn, sell isch heint bessr.“ (mds)
Rosa: Als ich 5 Jahre alt war, ist meine Familie von Prad nach Stilfs umgezogen. Somit gestaltete sich der Schuleintritt für mich als sehr schwierig, da ich die meisten Kinder in der Klasse noch nicht kannte. Froh war ich nur, dass meine Cousinen auch da waren, sonst hätte ich mich noch verlorener gefühlt.
Emil: Zur Schule bin ich nur von November bis Anfang April gegangen. Als Ältester musste ich schon von klein auf fest mithelfen, denn mein Vater hat mit seinem Ross für das ganze Dorf die Felder bestellt. In meiner ersten Schulzeit grüßte man die Lehrer noch mit dem Hitlergruß und der Religionsunterricht musste im Widum stattfinden. Einmal, so kann ich mich noch gut erinnern, habe ich der Italienischlehrerin die Schurzbänder aufgeschnürt, worauf sie mich zur Strafe ins Klassenzimmer eingesperrt hat. Mein einziger Ausweg war ein 3m Sprung aus dem Fenster in einen abschüssigen Acker. Noch vor der Lehrerin kam ich eiligst Richtung Pinggara herauf, sodass sie sich selbst das Lachen nicht mehr verkneifen konnte. (re)
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