Wolfgang Platter, am Josefitag, 19. März 2011
Das Jahr 2011 ist von den Vereinten Nationen zum internationalen Jahr des Waldes ausgerufen worden. Der Wald ist viel mehr als eine Menge von Bäumen. Er erfüllt viele und verschiedenste Funktionen: er bietet Lebensraum und Schutz, er ist uns von Nutzen und er dient unserer Erholung. Und in Zeiten des erhöhten Kohlendioxidausstosses, der Erderwärmung und des Klimawandels kommt den Waldflächen der Erde und der Photosynthese der Waldvegetation auch eine wichtige Rolle als Kolhendioxid-Binder und Klimaregulator zu.
Die Waldflächen im Nationalpark Stilfserjoch
Ca. ein Drittel der Gesamtfläche des Nationalparks Stilfserjoch von 132.000 ha ist von Wald bedeckt. Dabei handelt es sich vorwiegend um Nadelwälder der Bergwaldstufe, liegen die Waldflächen doch in der montanen bis subalpinen Höhenstufe. Von der Holzartenzusammensetzung her sind diese Bergwälder im unteren Bereich aus Fichten und Lärchen aufgebaut. Zur oberen Waldgrenze hin wird die Fichte durch die Zirbe ersetzt. Auf Trockenstandorten oder mageren und wasserdurchlässigen Dolomitböden stocken Rotföhren. Die Legföhre oder Latsche ist kalkstet und besiedelt die Schuttkare unter leicht erodierenden Kalkfelsen.
Aus der Infrarot-Luftbildfotografie haben wir eine gute und relativ detaillierte Kenntnis der Waldflächen und Waldtypen im Nationalparkgebiet. Dieses wissenschaftliche Forschungsprojekt mit dem Namen „Habitalp“ wurde in Zusammenarbeit mit anderen Nationalparken im Alpenbogen realisiert und aus Mitteln der Europäischen Union finanziert. Eine Wiederholung der Luftbildaufnahmen in einigen Jahren wird es ermöglichen, die Veränderungen der Waldflächen in ihrer Ausdehnung aber auch in ihrem Zustand zu erheben.
Der Wald in Südtirol
Betrachtet man die Landesfläche ganz Südtirols nach Hauptnutzungsarten, so stellt man fest dass 39,5 % der Landesfläche von 7.400 km² von Wald bedeckt sind. In der Waldkartierung hat die Abteilung Forstwirtschaft in der Südtiroler Landesverwaltung die große Zahl von 111 verschiedenen Waldtypen festgestellt. Rund 300 Millionen Bäume zählen die Wälder Südtirols. Der Holzvorrat beträgt 105 Millionen Vorratsfestmeter. Der jährliche Zuwachs beträgt 1,8 Millionen Vorratsfestmeter. Genutzt werden pro Jahr etwa 525.000 Vorratsfestmeter, das ist etwa ein Drittel des jährlichen Holzzuwachses. Die Bäume Südtirols produzieren etwa 100 Mal mehr Sauerstoff als die Bürger täglich verbrauchen.
Der Wald im Museum
Das Nationalparkhaus „Lahnersäge“ in St. Gertraud in Ulten ist eines von fünf gebauten Strukturen für die interessierten Besucher des Nationalparks Stilfserjoch im Südtiroler Länderanteil des Schutzgebietes. An die restaurierte , wasserbetriebene und wieder funktionstüchtige Venezianersäge haben wir mit der Gemeinde Ulten einen Zubau mit Ausstellungsbereichen angefügt. In den Ausstellungsräumen zeigen wir unter anderem im „Nachtwaldraum“ Ausschnitte aus dem Bergwald mit seiner Lebensgemeinschaft aus Pflanzen, Mikroorganismen und Tieren. Im Haus werden weiters die vielen Nutz-, Schutz- und Wohlfahrtsfunktionen des Waldes vorgestellt, ebenso die vielfältige Nutzung des Holzes in den verschiedenen holzverarbeitenden Berufen. Die Zuordnung des Themas „Wald und Holz“ zum Ultental ist dabei nicht zufällig, sondern bewusst erfolgt. Schon die Fassaden von Wohnhäusern und Wirtschaftsgebäuden an den Ultner Höfen verraten, was die Bodennutzungskarte bestätigt: Ulten ist ein Waldtal. Und die gekonnte Verarbeitung von Holz hat Jahrhunderte lange Tradition und belegt das Geschick der Menschen im Umgang mit diesem einheimischen Baustoff.
Darf ich Ihnen einen Ausflug in das Hinterulten als Reise- und Wandertipp für das heranrückende Frühjahr oder den Sommer empfehlen? Die bergbäuerliche Kulturlandschaft, das Nationalparkhaus Lahnersäge, die Urlärchen in St. Gertraud, das Wandergebiet am Weißbrunnsee, die bewirtschafteten Almen, das Kirchbergtal und weitere landschaftlich reizvolle Seitentäler an der jungen Falschauer sind nur einige der Wanderziele, die sich Ihnen bieten.
Wild und Wald
Wild und Wald sind ein an sich zusammengehörendes Begriffspaar. Der angestammte Lebensraum des Rotwildes ist der Wald. Für die Gesundheit von Wald und Wild kommt es aber auf ein ausgewogenes Gleichgewicht an: Eine zu hohe Dichte von Rotwild führt zu Verbiss- und Schälschäden im Wald und zu einer veränderten Wuchsform des Einzelbaumes oder im Extremfall zu dessen Absterben. Breitbasige, kegelförmige Krüppelfichten mit nur 1-2 Metern Höhe und Mehrfachgipfeln verraten den hohen Wilddruck auf jenen Waldflächen, auf denen das ausgewogene Verhältnis zwischen dem verfügbaren Lebensraum und der Dichte des Rotwildes verloren gegangen ist. Hier wachsen nur mehr wenige Bäume zu Schafthöhe aus und mit einem verminderten Holzertrag geht auch die abnehmende Schutzfunktion des Waldes vor Erosionen einher. Dem Wald fehlen dann die Verjüngung und die verschiedene Altersstadien der Holzarten, die ihn aufbauen.
Der erhöhte Wilddruck mit Verbiss und dessen Langzeitfolgen sind auch der Grund, weshalb wir als Nationalparkbehörde im Vinschgauer Anteil der Parkfläche in den Rotwildbestand regulierend eingreifen. Seit dem Jahr 2000 haben wir in nunmehr 11 Jahren in Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Jägern in herbstlichen Entnahmen insgesamt über 4.000 Stück Rotwild entnommen. Das Ziel ist die Halbierung des Bestandes von einer Dichte von 9,7 Stück je 100 Hektar (im Jahre 2000) auf 4 St./100 ha. Die Beob-achtungen der Förster zeigen zweierlei Folgen: Der Wald erholt sich vom Verbiss und der Bestand der Rehe steigt wieder an.
Eine Grundregel der Ökologie als Lehre des Naturhaushaltes besagt ja: Ein Ökosystem ist umso stabiler, je artenreicher es ist. Oder im Umkehrschluss: Ein Lebensraum ist umso instabiler, je artenärmer er ist und wenn sich die Individuen ein und derselben Art unkontrolliert vermehren. Ein augenfälliges Beispiel zur Rotwilddichte dazu ist etwa die Schädlingsanfälligkeit gegen den Prozessionsspinner der Schwarzföhrenbestände als forstliche Monokulturen am Vinschgauer Sonnenberg. Nicht umsonst ist auch hier reagiert worden, indem der Wald mit sogenannten „Ökozellen“ angereichert wird: Durch Artenvielfalt zur Waldstabilität und -gesundheit.
Zirbe und Tannenhäher
Bis vor wenigen Jahrzehnten glaubte man, der Tannenhäher (dialektal: „Zirbengratsch“) sei ein Feind des Zirbenwaldes, weil er den Großteil der Zirbelkiefernsamen vertilge. Dies hatte auch zum verstärkten Abschuss dieses Charaktervogels im Bergwald geführt. Seit einiger Zeit wissen wir, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Der Tannenhäher ist der Gärtner des Zirbenwaldes. Oder anders ausgedrückt: Zirbe und Tannenhäher bilden eine enge Symbiose zum gegenseitigen Nutzen. Der Tannenhäher ernährt sich in der Zeit der Samenreife der Zirbelnüsse und darüber hinaus fast ausschließlich von Zirbelnüssen. Für die winterliche Vorratshaltung vergräbt jeder Vogel als Standvogel bis zu 30 kg Zirbelnüsse in vielen verschiedenen Bodenverstecken. 80 % dieser Verstecke findet er wieder: Als Rabenvogel hat er ein exzellentes Gedächtnis und er kann sich auch Veränderungen der Landschaft mit und ohne Schneebedeckung einprägen. Aber 20 % der Verstecke findet er nicht mehr. Und aus diesen nicht wieder gefundenen Vorräten von Zirbelnüssen keimen Tausende von Jungzirben aus. Teilweise sind diese Keimbeete dann auch oberhalb der aktuellen Waldgrenze gelegen und so trägt der Tannenhäher auch zur Anhebung der Baumgrenze nach oben bei. Wir haben gelernt: Der Tannenhäher ist der beste Pfleger des Zirbenwaldes, nicht sein Feind.
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