„Gestalten Figuren Körper“, ein Dreiklang aus gezeichneten Schlossgeistern, rekonstruierten Landschaften und Evas Anatomie. Der Künstler Reiner Schiestl führt uns durch das Schloss und vieles, was auch wir denken, erinnern, fürchten, vielleicht auch lieben, gewinnt hier Gestalt.
Kastelbell wurde auf einem mächtigen Felsstock erbaut, der im Burghof noch deutlich die hobelnde Kraft der letzten Eiszeit erkennen lässt. Von dieser Trutzburg aus wurden einst alle Wege überwacht, auch die wichtige Etschbrücke. Hier befand sich ein Gericht, dessen Einfluss weit über die heutige Grenze hinaus bis ins Ötztal reichte. Reiner Schiestls Einfluss ist ebenfalls weitreichend, unter anderem über die Kunsterziehung. Er wacht über die Moral, über das künstlerische Gewissen. Er beherrscht alle Techniken, ist Brücke zu früheren Zeiten, verbindet Philosophisches mit praktischem Können.
Warum Schlossgeister? Auf einem Bild aus dem Jahre 2008 lesen wir „Tarantella“. So stellen wir uns das bunte Leben auf einem Schloss vor, in einem früheren Leben oder in einem fremden Land. Es ist, als hätten sich alle Dämonen hier versammelt, um nicht vergessen zu werden. Die mit Farbstiften gezeichneten Figuren ringen mit dem Geborenwerden, dürsten nach Auferstehung. Drei Grazien, Frauen auf dem Laufsteg, Tiermasken, Karneval, gefallene Mädchen, die drei Lebensalter. Manchmal wirken die Gestalten gequält, geschunden, hochnotpeinlich befragt vom Inquisitionsgericht. Oder ist es subtiler Humor, Galgenhumor? „Mit spitzer Feder“ heißen die Kapitel des Kataloges, und „Geschnittene Welten“. Vieles erinnert an Gewalt.
Ist es die Nähe zum spanischen Kastilien, wo Schiestl ein Haus besitzt und Monate lang arbeitet. „Ya no cantan los gallos en Medinaceli“ heißt eines der „rekonstruirten“ Landschaften aus dem Jahre 2010. Der Künstler klagt, es krähen keine Hähne mehr in Medinaceli, in seiner kleinen, auf einem Hügel gelegene Stadt. Einst ein blühender Ort mit iberisch-römisch-arabischer Geschichte, bis die katholischen Spanier dann alles vereinnahmten. Die schönen Gärten verschwanden, das perfekte Bewässerungssystem wurde verwahrlost. Hinterlassen wurden Wüsten. Dort wird Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen und seine erträumte Dulcinea anhimmeln.
Und wie hält es der Reiner mit den Frauen? Auf das Bild „Der Tod Evas“ (Acryl auf Leinwand 2008) folgt im gleichen Jahr die „Zusammensetzung der Frau“, alles Programmtitel, nachzulesen auch im Katalog mit der Einleitung von Elisabeth Maireth.
Meisterhaft gehängt sind die Bilder, manchmal drängend, dann wieder Raum lassend, rhythmisch wie ein Musikstück. “Synthetische“ Kunst fällt mir ein, weil hier so viel zusammenfassend anklingt. Anatomie der Schöpfung.
Manchmal schweben die Bilder leicht und luftig durch die verschieden großen Räume der Burg, erzählen verwirrend und spielerisch vom Versuch, sich im Chaos unserer Gesellschaft zurecht zu finden.
„Herr und Frau“, ein Diptychon aus dem Jahr 2005, ein sehr unüblicher Titel für zwei Bilder, die ein menschliches Paar darstellen. Also Adam und Eva, in alten Darstellungen ein häufiges Thema mit einem augenscheinlichen Unterschied: Nie wurden so viel dunkle Farben und so viel Schwarz verwendet. Nie wurde diese Gemeinschaft so ernsthaft und feierlich in Frage gestellt. Der Mann wird „Herr“, nicht weil er es wirklich ist, sondern weil er irgendwie abgeschoben wird. Vielleicht in ein Konfektionsgeschäft oder in einen Kosmetikladen.
„Ya no cantan los gallos en Medinaceli – kein Hahn kräht mehr danach!
Hans Wielander
Ausstellung im Schloss Kastelbell
Reiner Schiestl
GESTALTEN FIGUREN KÖRPER
täglich geöffnet bis Sonntag, 19. Juni 2011, werktags 11-18 Uhr, an Sonn- und Feiertagen 11-18 Uhr.
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