Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Laurentius, 10. August 2011
Im Periodensystem der chemischen Elemente steht das Kürzel Pb für das lateinische Palumbum, deutsch Blei. Mit „saturnismo“ bezeichnet man im Italienischen eine Bleivergiftung. Im Zwölfjahreszeitraum 1996-2007 wurden in den Alpen und in den Pyrenäen 8 Exemplare von Bartgeiern mit Bleivergiftungen tot aufgefunden! Im gleichen Zeitraum wurden in den Alpenländern Deutschland, Schweiz und Österreich 7 Steinadler mit den gleichen Vergiftungen durch das Schwermetall Blei aufgelesen. Das Thema verdient Aufmerksamkeit und ist auch im Nationalpark Stilfserjoch zum Forschungsgegenstand geworden. Im heutigen Beitrag möchte ich erste Ergebnisse vorstellen.
Blei in Vogelkörpern
Wie kommt Blei in die Vogelkörper, ohne dass die Vögel geschossen worden sind? Wie breit ist das Phänomen? Gibt es besonders gefährdete Vogelarten? Dies sind nur einige Fragen.
Enrico Bassi, Ornithologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter im lombardischen Anteil des Nationalparks Stilfserjoch, hat die derzeit verfügbare wissenschaftliche Literatur für uns durchgesehen und ist dabei auch auf den folgenden Fall gestoßen: In der Provinz Rovigo wurden im Jahre 2007 60 Exemplare von Rosa-Flamingos tot aufgefunden. Die Nekroskopie der Tiere hat ergeben, dass sie beim Schlabbern zur Nahrungssuche Bleikügelchen aus Schrott-Jagdmunition aus dem Schlamm des Po-Deltas in ihre Körper aufgenommen hatten und an den Vergiftungen durch Blei zugrunde gegangen waren. Im Mündungsdelta des Flusses wird die Jagd auf Wasservögel wie Enten und Limikolen betrieben und Bleikügelchen, die nicht ihr Ziel erreichen, fallen in das Wasser und in dessen schlammigen Grund. Von dort wurden sie von den Flamingos aufgenommen und die Anreicherung von Blei in den Vogelkörpern (die sogenannte „Bioakkumulation“) hat bei Erreichen der letalen Dosis zum Tod der Tiere geführt.
Aus weiteren Literaturangaben ist auch zu erkennen, dass andere Vogelarten wie der Aasfresser Rabenkrähe oder der Schlammstocherer Bekassine, aber auch Fischfresser wie der Kormoran oder andere Beutegreifer wie der Seeadler und der Steinadler durch Bleianreicherung gefährdet sind, ja zu Tode kommen können.
Das Schicksal von Ikarus
Über die kurze Lebensgeschichte des besenderten Bartgeiers „Ikarus“ hatte ich in dieser Zeitung in Vergangenheit schon einmal berichtet. Hier noch einmal eine geraffte Zusammenfassung seines kurzen Lebenslaufes: Geboren am 5. März 2008 im Zoo von Hannover, 1. Freilassung am 19. Juni 2008 als noch nicht flügger Jungvogel in die künstliche Horstnische im Schludertal von Martell. Auffinden und Wiederfang nach starkem Neuschneefall auf einem Hausdach im trentiner Rabbital am 19. Dezember 2008, anschließend Transport an die Zuchtstation Haringsee bei Wien und Pflege durch das Team von Univ.Prof. Dr. Hans Frey von der Veterinärmedizinischen Hochschule Wien, Diagnose nach Blutabnahme: Bleianreicherung im Körper. Nach Erholung bis zur Flugfähigkeit 2. Freilassung am Kleinboden oberhalb von Trafoi am 20. Juni 2009. 2. Bergung am 10. November 2009 in der Innerschweiz. Trotz fachmännischer Pflege Verenden am 19. Dezember 2009 nach Nieren- und Leberinfektion als Folgeerkrankung der Bleivergiftung.
Wie ist aber das Blei in den Vogelkörper gekommen? Der Bartgeier ist geröntgt worden und er wies keine Schussver-letzung auf. Das Blei kann nur durch die Aufnahme von Nahrung in den Vogelkörper gelangt sein. Vermutlich hat der Bartgeier Eingeweide eines mit Bleimunition geschossenen Tieres zu sich genommen.
Wissenschaftliche Untersuchungen
Das Schicksal der zwei bleivergifteten Bartgeier aus den Alpen „Moische“ und „Ikarus“ hat uns veranlasst, neue Forschungen zum Bleigehalt in Wildtieren nach deren Abschuss anzustellen. Diese Forschungen erfolgen in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Jagd und Fischerei der Provinz Sondrio. Die Jäger des Veltlintales stellen uns Eingeweide von den Huftieren Reh, Rotwild und Gämse nach deren Abschuss mit bleihaltiger Munition zur Verfügung. In Laboruntersuchungen post mortem werden die Eingeweide am Zooprophylaktischen Institut und an der Universität Mailand auf Blei untersucht. Und die ersten Ergebnisse der Untersuchungen sind verblüffend: Bei einer Stichprobenbreite von 147 untersuchten Huftieren enthielten 57% von deren Eingeweiden Bleireste, 43% der Proben waren bleifrei. Dabei gibt es bei den drei Huftierarten signifikante Unterschiede: Beim Reh lag der Prozentsatz der Eingeweide mit Bleigehalt sogar bei 74%.
Konsequenzen?
Es gehört zur langjährigen Jagdpraxis, die ausgenommenen Eingeweide erlegter Tiere am Ort des Abschusses zu belassen. Und für die Nahrungsversorgung der Fleischfresser unter den Wildtieren war dies auch vertretbar an Orten, wo keine Verunreinigung von Trinkwasserquellen erfolgt, kein Ekel erregt wird und keine Geruchsbelästigung eintritt. Angesichts des hohen Prozentsatzes von bleibelasteten Eingeweiden von Wildtieren muss aber das Liegenlassen im Freien kritischer hinterfragt werden. Ebenso muss die Verwendung alternativer, bleifreier Jagdmunition noch ernsthafter als bisher in Betracht gezogen werden, auch weil der Mensch selbst der Endverbraucher von Wildbret ist.
Im Nationalparkhaus „Baita del Parco“ in Sant´Antonio Valfurva haben wir mit dem Ausstellungsmodul „Bartgeier“ samt Dioramen einen interessanten Themenschwerpunkt geschaffen. Der Terminal der Webcam im Horst des Zebrú-Tales gibt zudem direkten Einblick in die Wohn- und Kinderstube des Bartgeiers. Und im Zebrú-Tal selbst haben wir einen Themenlehrweg zur Rückkehr des Bartgeiers mit erfolgreichen Bruten in diesem Tal angelegt. Der Themenweg umfasst 8 Schautafeln. Das Zebrú-Tal ist von St. Nicoló Valfurva aus erreichbar. Bis zum Parkplatz in Niblogo darf man mit Privatautos fahren. Ab Niblogo muss man zu Fuß gehen. San Nicoló und Niblogo erreicht man im Sommer über das Stilfserjoch oder den Umbrail-Pass ab Laas nach 66 bzw. 71 km Fahrstrecke und 1 Stunden und 30 Minuten Fahrzeit ab Laas gerechnet.
Geschenktipp: Vogelkalender 2012
Aus den besten Vogelbildern des 6. Fotowettbewerbes Swarovski Optik Italien und Nationalpark Stilfserjoch 2010 haben wir einen Vogelkalender „Aves 2012“ gemacht. Der Kalender enthält Bilder von großer ästhetischer Schönheit und technischer Brillanz und ist in zwei Formaten als Tischkalender und als Wandkalender gedruckt worden. Zum Vorzugspreis von 5 bzw. 8 € ist er in den Nationalparkhäusern erhältlich.
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