Vinschgr Gschicht
Noch vor fünfzig Jahren stellte ein Landpfarrer fest, dass er die Almsommerzeit und die Zeit der Bergmahd im Beichtstuhl immer merkte. Wenn der Almsommer zu Ende ging, gab es für Burschen und Mädchen wohl eine Gelegenheit weniger, um sich ungestört zu treffen. Es blieben aber immer noch der gemeinsame Kirchweg, das „Huangortn“, der Tanz beim Kirchweihfest und Gemeinschaftsarbeiten. In den Spinnstuben und beim „Tirgtschilln“ hatte man sich bis Mitternacht gruselige Sagen und Geschichten erzählt, damit sich die Mädchen nicht mehr allein heimgetrauten, und sich einen Begleiter wünschten.
Und dann war das „Gasslgehen“ eine nächtliche Hetz, zu der sich mehrere Burschen zusammengeschlossen hatten. Sie zogen durch die Nacht und begannen vor dem Fenster einer Mädchenkammer ihre „Gasslreime“ aufzusagen. Irgendwann wurde ein Fenster geöffnet, das Mädchen schaute heraus, und musste den „Gassl-buben“ den obligaten Schnaps reichen. Die Unterhaltung vor dem Fenster diente auch dazu, um sich näher kennenzulernen und festzustellen, wer wem nun sympathisch war. Wenn auch intime Kontakte ausgeschlossen waren, musste das „Gasslgehen“ doch als erotische Angelegenheit betrachtet werden.
Wenn ein Bursche glaubte, eine besondere Zuneigung erhascht zu haben, plante er den nächtlichen Besuch im Alleingang. Die einzelgängerische Form des nächtlichen Werbens war dann das „Fensterlen“. Lautlos pirschte sich der Bursche an das Fenster der Angebeteten heran, stellte eine Leiter auf und begann mit der Zunge zu schnalzen, zu flüstern und zu balzen. Am offenen Fenster wurde geherzt und geküsst. Manchmal öffnete sich sogar ein Hintertürl zur Kammer der Angeschmachteten.
So gelang dies auch einem schmucken Jüngling aus Naturns. Es wurde aber bekannt, dass er eine Mädchenkammer in der Nachbarfraktion Staben aufsuchte. Die Burschenschaft aus Staben folgte ihm und warf Steinchen gegen das Schlafzimmerfenster der Eltern. Gleich klopfte die Mutter unter lautem Geschimpfe an die Kammertür der Angebeteten. Der in seiner lustvollen Begegnung Überraschte, versuchte durch das Fenster zu entkommen und landete in einem Misthaufen, denn die Aufstiegsleiter war verschwunden. Er versuchte verzweifelt, sich aus dem feuchten und stinkenden Umfeld herauszustrampeln, aber schon prasselten von allen Seiten faule Äpfel auf ihn ein. Wie ein Geisterspuk tanzten die Burschen vor Freude über den gelungenen Plan um den Misthaufen herum und verschwanden dann irgendwo im Dunkel. Dieses nächtliche Abenteuer hat dem Burschen derart zugesetzt, dass er sein Leben lang ledig blieb. (ria)
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