Sehr geehrte Damen und Herren!
Bei uns zu Hause hängt ein Bild von Erich Stecher, ein Ölbild, an nicht vorteilhafter Stelle, an der Wand im Stiegenabgang in den Keller. Meist gehe ich alleine in den Keller und alleine wieder herauf, aber manchmal nehme ich auch jemand mit und der muss dann notgedrungen das Bild von Erich Stecher anschauen, denn daran kommt er nicht vorbei. Bei mir zu Hause kann man nicht KEINE Notiz von Erich Stecher nehmen. Das Bild zeigt ein Porträt, und die Frömmeren unter meinen Kellergängern sagen „A schau, Jesus Christus!“ und ich antworte „Jaaaa“, die etwas Weltgewandteren, die sich im Vinschgau auskennen, stellen fest, „Na schau, da hängt der Albrecht Ebensperger!“ und ich antworte wiederum „Jaaaa, beim Versuch den Vinschgern das Whiskytrinken beizubringen“ und jene, die sich überhaupt auskennen, die Weltbürger mit Urlaub auf Mallorca, behaupten „Eindeutig Brad Pitt mit Bart“ und ich bestätige „jaja“ und bemerke dazu „oder Bert Brecht“, den kennen sie dann nicht. Ich sage dann ERICH STECHER, und die Leute zucken mit den Schultern und geben den Rat: „Das Bild würde es verdienen, an einem besseren Ort aufgehängt zu werden“. Dabei bleibt es.
Am Ende dieser kellertiefen Kunstauseinandersetzungen bleibt mir immer etwas zu denken. Ich denke mir, ja, so ist es mit Erich Stecher und seiner Kunst. Er hängt (noch) nicht in den großen Wandelhallen der Landhäuser, nicht in den Empfangsräumen der geldschweren Banken, nicht in den Sitzungssälen der Obstgenossenschaften und noch nicht in den neuen dorfentlegenen Steinbauten der großen Architekten und Kunstbürger. Er hängt aber im Versammlungssaal von Schlinig.
Aber wer Erich Stecher sieht, bleibt stehen, beim Künstler und seiner Kunst. Erich ist nämlich der letzte Faun; ein Halbgott der freien Natur und des unbeschwerten Lebens. Seine Kunst ist aber nicht so unbeschwert, auch wenn alles mit links gemacht ist. Seine Kunst ist seriös, das Produkt seines Ateliers, in dem er sich beim Malen gedanklich verlieren kann oder das Ergebnis seines Naturerlebens, bei dem er sich in Ausschnitten und Details festgebissen hat. Seine Kunst mag zwar programmlos sein, sie ist aber nicht konzeptlos, sie ist öfters zufällig, aber nicht planlos, sie ist manchmal skizzenhaft, aber nicht oberflächlich.
Erich Stecher, Jg. 1960, aus Mals, heute wohnhaft in Bozen, malt seit er Stift und Pinsel halten kann. Er besuchte die Kunstschule in Gröden und dann die Kunstakademie in Florenz. Seit 25 Jahren ist er Kunsterzieher an verschiedenen Mittelschulen.
Stechers letzte größere Ausstellung liegt 7 Jahre zurück. Diese Feststellung braucht es nicht, um hinweisen zu können, dass er die Säle dieses Schlosses nicht einmal, sondern leicht zweimal füllen könnte, mit dem, was in seinem Atelier steht. Das ist auch kein Loblied auf des Künstlers Fleiß, aber ein Hinweis auf seine kurvenreiche Beharrlichkeit. Er schafft, wenn ihm der künstlerische Prozess zum Drang wird, in kurzer Zeit eine Unzahl von Werken, manche erscheinen „non finito“ oder „mai finito“, andere bessert er experimentell auf oder übermalt sie öfters. Ganz unbelastet und mit Leichtigkeit geht er an unterschiedliche Techniken heran, kleinere Tuschezeichnungen und Lavierungen, Aquarelle, Temperamalerei und Acryl, großes Öl und variantenreiche Druckgraphik. Stecher ist dann auch immer ein Experimentierer mit einem Hang zum Expressiven. Und seine Frau Ute malt mit; nicht dass sie den Pinsel führen würde oder im Atelier stünde, aber sie organisiert und orientiert, regt an und belebt die Kreativität.
Die großen Themen von Erich Stecher sind die großen Themen unserer irdischen Existenz: die Natur, die Farben, der Mensch.
Die Natur erfährt bei Stecher einen facettenreichen Ausdruck, nicht selten die Obervinschgauer Landschaft als Paradigma oder emotionalen Modellfall betrachtend. Stecher ertrinkt in dieser Landschaft, er vergisst sich in bleichen Farbstudien, oder seine Malerei empört sich in wuchtigen Bergen oder in dramatischen Landschaftsfenstern.
Erich Stecher hat keine Scheu vor kräftigen Farben, er geht großzügig mit ihnen um. Der Grünphase scheint er nun entstiegen zu sein, die ihn jahrelang begleitet hat. Jetzt mutet er den Betrachtern feine Weißschattierungen und kräftig helle Farben zu; es sind Gemütsstimmungen der Natur, die von sanfter Ruhe bis stürmischen Bewegungen reichen, und es sind Extremklänge der menschlichen Entwicklungen.
Die Figuren reduzieren sich bei den Aktzeichnungen auf wenige Linien oder Pinselstriche oder führen in den großen Formaten in eine Farbenpracht, die in das Grelle und Farbschreiende münden. Zwischen die Porträts setzt Erich Stecher einen Truthahn, der in seiner allesfressenden
Flugunfähigkeit gut in die existenzielle Nähe der gierigen Menschen passt. Das ist der schalkhafte, hintergründige Faun, der über alles eine heitere und unbeschwerte Ernsthaftigkeit legt, die in die mahnenden und drohenden Blicke seines Selbstporträts mündet.
Das muss nach der Eröffnung angeschaut und überprüft werden, denn nicht alles, was aus der widersprüchlichen Natur- und Kunstform Erich Stecher herausbricht und was sich darüber sagen lässt, ist auch wahr.
Wahr hingegen bleibt, dass es längst Zeit ist, dass Erich Stecher in das Ausstellungsprogramm von Schloss
Kastelbell aufgenommen worden ist. Denn Erich Stecher ist ein Großer, der sich noch nie vorgedrängt hat. Beides freut uns! Vielen Dank, dass Sie Erich Stecher und seinem Werk Aufmerksamkeit schenken!
Herbert Raffeiner
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