Kultur: „Bleib stian, nor woasch wia weitergean“

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Links: Das letzte Abendmahl (1966); rechts: Die apokalyptischen Reiter (1972) Links: Das letzte Abendmahl (1966); rechts: Die apokalyptischen Reiter (1972)

Luis Stefan Stecher, geboren am 7. Juni 1937 in Laas, zählt zu den Protagonisten des Aufbruchs in der Künstlerszene nach dem Zweiten Weltkrieg. Vom 2. Dezember 2023 bis 28. April 2024 gibt es eine umfangreiche Bilderausstellung und mehrere Gedichte unter dem Titel UT PICTURA POESIS (Wie die Malerei so die Poesie) in der Hofburg in Brixen. Stecher ist bekannt und wurde vielfach geehrt als Maler von Porträts, Landschaften, Kreuzigungsdarstellungen, surrealer Bilder und Traumwelten. Vielleicht noch bekannter ist er als Schöpfer der Korrnrliadr, erstmals herausgegeben 1978. Im Plauser Totentanz, fertiggestellt 2001, kommt es zur genialen Verbindung zwischen dem Maler und Poeten, der auf 18 Bildtafeln an der Außenmauer des Friedhofs von Plaus in den Bildern und Texten in Vinschger Mundart auch seine Lebensphilosophie darlegt. Sein Gesamtwerk, die Bilder und Texte enthalten Lebensweisheiten und sind seine Antworten auf die letzten Fragen nach s26 kultur2dem Sinn des Lebens, vom Leiden und Tod, der Armut und der Not, aber auch von der Hoffnung, der Auferstehung und den Freuden des Lebens.

Stecher ist ein Suchender und Fragender und ein Genussmensch, der das Leben liebt.

Sein Großvater war ein großer Bauunternehmer in Prad, der um die Jahrhundertwende vor dem Ersten Weltkrieg u.a. drei Kirchen gebaut hat (die Pfarrkirchen in Sulden und Trafoi und die Lourdeskirche in Laas). Sein Vater hat alles verloren und zieht nach Innsbruck. 1939 zieht auch die Mutter mit den 9 Kindern nach Innsbruck. 1941 stirbt der Vater. 1944 kehrt die Mutter nach Laas zurück, aber 1948 erfolgt die neuerliche Übersiedelung nach Innsbruck. 1953 zieht Luis, der Jüngste der großen Kinderschar, nach Wien, um an der Hochschule für angewandte Kunst und später an der Akademie für Bildende Künste zu studieren. 1957 schließt der sein Studium ab und kehrt 1959 nach Südtirol zurück und unterrichtet zunächst an mehreren Schulen, u.a. auch an der Mittelschule in Schlanders. Mit 24 Jahren heiratet er 1961 Ulrike Rüdegger und ab 1967 arbeitet Luis Stefan Stecher als freischaffender Künstler, zuerst in Meran und seit 1983 im umgebauten Ansitz Manhard in Marling. Die ersten 30 Jahre seines Lebens haben ihn sicher tief geprägt, er hat Umzüge, Umbrüche, den Tod des Vaters und viele Neuanfänge erlebt und erlitten, aber auch seine Frau und seine Heimstätte gefunden. Vielleicht wird so auch verständlich, warum Stecher in einem Korrnrliad fragt: „Woos hat lei deer Haschr af deer Sauwelt frlourn“ (Seite 106 in der Ausgabe von 2009) Es geht um die Grundfragen: Was ist das Leben, was ist der Mensch, was ist die Welt? Auf die letzte Frage liefert Stecher in den Korrnrliadrn gleich zwei bildhafte Antworten. „Die Welt isch a Haischtokk, wer rupft, deer hot mäa“ bzw. „Die Welt isch a Suurgruab“. Bei seinen Reisen lernt er andere Völker und Lebensweisen kennen, er beschäftigt sich mit der griechischen Mythologie und den modernen Naturwissenschaften. Bei einer Reise nach Südostasien begegnet er mehreren Minderheitenvölkern u.a. das Volk der Karen. Das war der Anlass sich mit dem Leben der Korrnr zu beschäftigen. Sie waren arme Außenseiter, zogen herum und hatten keine feste Bleibe, so wie Stecher6Stecher in einer Jugend. Stecher erzählt nicht nur von der Not und der Armut, sondern auch von der Freiheit und dem Stolz der Korrnr. „Sui hoobn kochlti Eifn und du lai di Sunn, untassa Korrnr dain Stolz“ (Seite 91).

Olm er, zwoa Schrittlan hintern Haus – deer Vourschprung mocht dess Lebm aus.

In seinen Bildern beschäftigt er sich mit Odysseus, der auf dem Meer herumirrt und allerlei Gefahren bestehen muss und mit Sisyphus. Er muss zur Strafe einen Felsblock auf ewig einen Berg hinaufwälzen, der, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Es ist die ewige Wiederkehr des Gleichen, ein Thema, mit dem sich Philosophen und Literaten seit der Antike beschäftigen. Stecher beschäftigt sich auch mit Don Quixotte, dem Romanhelden, der gegen Windmühlen kämpft. Das Bild „Drei Männer in der Wüste“ trifft vielleicht genauso den Zeitgeist wie „Sisyphus. Hinausgeworfen in die Welt, orientierungslos, suchen sie nach dem Weg, philosophieren sie über den Sternenhimmel und den Sinn ihrer Existenz. Das Bild „Die apokalyptischen Reiter“ aus dem Jahre 1972 ist in Anlehnung an die Darstellung von Albrecht Dürer eine moderne Interpretation, wobei wir uns vor den ABC-Waffen fürchten müssen, die alles Leben auslöschen können. Seine Kreuzigungsdarstellungen haben immer eine doppelte Botschaft: das Leid und die Schmerzen, aber auch die Erlösung und Auferstehung. Dieser Dualismus prägt auch seine Lebensphilosophie. Man sieht es in den Bildern, aber vor allem in den Texten. Und ganz besonders beim Plauser Totentanz. Gleich beim ersten Bild fordert er dazu auf, inne zu halten und stehen zu bleiben. „Nor woasch vielleicht wia weitr gean“. Auf der Welt sind wir verschieden („Unta Toal Lait hotan Haufn, Unta Toal Lait hotan Träkk“ (Korrnrlieadr Seite 82), aber beim Heimgehen sind wir alle gleich. (Laich isch Laich, isch olm lai Laich – Pann Huamgian saimr olle glaich- 5. Bild beim Plauser Totentanz). Zwei Kräfte bestimmen das Leben: der Tod und die Liebe. „Groass isch dess Lebm liacht und triab – schtark wia dr Toat isch lai di Liab“. Groß ist das Leben, licht und trüb – stark wie der Tod ist nur die Liebe. (15 Bild vom Totentanz). Ein Granatapfel (Sinnbild für Leidenschaft und Lebenslust) und eine Passionsblume (Sinnbild für das Leid) halten sich in der Bildtafel die Waage in der Hand des Todes. Und in der Bildtafel 16 kommt es zum Kern seiner Lebensphilosophie. „Olm er, zwoa Schrittlan hintern Haus – deer Vourschprung mocht dess Lebm aus“. - Immer er, zwei Schritte hinterm Haus – der Vorsprung macht das Leben aus. Und bei der letzten Bildtafel sieht man einen Regenbogen als Zeichen der Versöhnung und als Verbindungsbrücke zwischen Himmel und Erde mit dem tröstenden Spruch: „Enterprugg entn wearn miar verschtian – do wearn inz wia Kindr di Augn aufgian“. Drüben, jenseits der Brücke, werden wir verstehen – da werden uns gleich Kindern die Augen aufgehen. Und dann werden vielleicht alle Fragen beantwortet sein und alles Suchen ein Ende haben.

Heinrich Zoderer

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