Europa ist für uns oft weit weg. Europa ist aber auch präsent in unserem Alltag.
Die Abschaffung der Grenzen und die Einführung des Euro sind nur zwei Beispiele. Um sichtbar zu machen, wo und wie Europa auch in unserer Region wirkt, gab es am 22. und 23. September eine EU-Projektmesse und ein vielfältiges Rahmenprogramm in der Basis Vinschgau in Schlanders.
von Heinrich Zoderer
Europa ist ein großes Friedensprojekt, aber auch eine Vision der Zusammenarbeit auf unserem Kontinent mit den rund 50 Staaten, den über 300 Regionen, den vielen Sprachen, Traditionen, Kulturen und Religionen. Aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit (EWG) der sechs Gründerstaaten entstand im Laufe der Jahre eine große Staatengemeinschaft (EU) mit 27 Staaten. Die 450 Millionen Einwohner der EU sind nur 5,6% der Weltbevölkerung, die EU ist aber die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und repräsentiert 22,8 % der globalen Wirtschaftsleistung. Ob aus der EU ein loser Staatenbund mit starken Nationalstaaten oder ein Bundesstaat bzw. die Vereinigten Staaten Europas werden, das ist noch offen. Offen bleibt auch, wie stark Europa nicht nur als Wirtschaftskraft, sondern auch in kultureller und sozialer Hinsicht zusammenwächst. Das Motto „In Vielfalt geeint“ drückt die Stärke und zugleich auch die Schwäche Europas aus. Die kulturelle, sprachliche und politische Vielfalt soll bewahrt werden, gleichzeitig soll Europa mit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik, Außenpolitik, Sozialpolitik und Umweltpolitik zusammenwachsen. Viele Herausforderungen wie die Klimapolitik und die Migrationspolitik sind nur in einem europäischen Kontext zu bewältigen. Andererseits spricht Europa sehr oft nicht mit einer Stimme, große Nationalstaaten sind mächtiger als die EU Kommission bzw. die Präsidentin der EU Kommission. Trotzdem hat die EU vieles auf den Weg gebracht im Bereich der Forschung, der Zusammenarbeit, der Förderung und des Erfahrungsaustausches. Mit dem Green Deal bzw. dem Aufbau- und Investitionsplan NextGenerationEU und dem nationalen Plan für Aufbau und Resilienz (PNRR) soll die große Umgestaltung der Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einem klimaneutralen Kontinent erfolgen. Die EU unterstützt viele Projekte und betreibt Förderprogrammen für die Landwirtschaft (ELER), strukturschwache Gebiete (LEADER), regionale Entwicklungen (EFRE), europäische Sozialfonds zur Integration und Schaffung neuer Arbeitsplätze (EFS+) für Forschung und Innovation (Horizont Europa), für nachhaltiges Bauen und Zusammenleben (NEB), für Bildung (Erasmus+) und grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Interreg), um nur einige Investitionslinien zu nennen. Im Vinschgau wird die EU vor allem mit LEADER und INTERREG verbunden. Weniger bekannt ist die Terra Raetica, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Dreiländereck zwischen dem Vinschgau, Graubünden und Nordtirol. Die Terra Raetica gehört zu einem der vier CLLD-Gebiete des Programms Interreg Italien-Österreich. CLLD ist die Abkürzung für Community Led Local Development. Hierbei handelt es sich um ein Instrument zur Förderung der von der örtlichen Bevölkerung betriebenen lokalen Entwicklung, das die Bürger:innen mit seinem partizipativen Konzept auf lokaler Ebene in die Entwicklung notwendiger Maßnahmen zur Bewältigung der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen einbindet.
1 Milliarde an Fördermitteln erhielt Südtirol im Zeitraum 2014 – 2020 von der EU. Rund 7 Millionen Euro bekam der Vinschgau in dieser Zeit über Leader- und Interreg-Projekte.
Die EU macht vieles möglich, meinte LH Arno Kompatscher bei der Projektmesse. Auch der ländliche Raum ist der große Nutznießer. Um zu zeigen, dass die Gelder gut verwaltet werden, wird von der Landesabteilung Europa und Landwirtschaft diese Projektmesse organisiert. Martha Gärber, die Abteilungsdirektorin der Landesverwaltung Europa erinnerte an die zwei Projektmessen in Bozen. Die dritte Messe wird ganz bewusst in Schlanders in der Basis Vinschgau abgehalten, weil dieses Projekt ebenfalls mit EU Mitteln (EFRE) finanziert wurde, so die Direktorin. Viele Projektträger präsentierten einige ihre Arbeiten: Forstinspektorat Schlanders (Schutzwaldsanierung, Lawinenverbauung und Aufforstung an verschiedenen Orten, Psurengasse Tanas, Marmor Rundweg, Kuahtrei Matsch, Trockenmauer Allitz), Amt für Geologie und Baustoffprüfung (Steinschlagschutzdamm), STA-Südtiroler Transportstrukturen AG (Digitalisierung der öffentlichen Mobilität), Bezirksgemeinschaft Vinschgau und Terra Raetica (PNRR, Leader, CLLD und Interreg Projekte), Kräuterschlössl (Ankauf einer Maschine zur Herstellung von Nudeln), Sozialgenossenschaft Promos (Projekte zur Vorbeugung von Schulabbrüchen), Sozialgenossenschaft Independent L. (GroWin - Selbstbestimmte Lebenswege und SMART - virtueller Rundgang im Schreibmaschinenmuseum Partschins).
Leader- und Interreg-Projekte und CLLD Terra Raetica
Verena Gufler, die Koordinatorin der Leader Projekte in der Bezirksgemeinschaft Vinschgau präsentierte verschiedene Projekte, die im Vinschgau in der Periode 2014 – 2020 eingereicht und teilweise bereits durchgeführt wurden. Bewertet und begleitet werden die eingereichten Leader Projekte von der Lokalen Aktionsgruppe (LAG), bestehend aus 7 Personen (3 Bürgermeister und 4 Vertreter von Verbänden). Insgesamt wurden 34 Projekte bis zu 80% gefördert und 3,5 Millionen Euro an öffentlichen Geldern vergeben. Projektträger sind die Gemeinden, Eigenverwaltungen, Tourismusvereine, die Bürgergenossenschaft Obervinschgau, das Forstinspektorat oder einzelne Betriebe. Einige vorgestellte Projekte: Almenweg Martell, Umbau Schliniger Alm, Bruggeralm, Schlanderseralm und Furglesalm, Sanierung der Stadtmühle Glurns und der alten Mühle Vallatsches in Stilfs, Hängebrücke über den Fallerbach bei Vetzan, Themenweg Soyalm, Informationssäulen in Trattla, Archaikweg Agums-Stilfs, Hängebrücke am Ganglegg, Wiederherstellung Badhaus Zufall, Restaurierung Kalkofen Schmelz, Studien zum Göflaner Alp Bruch und über eine Modellregion Obervinschgau. Peter Luis Thaler von der Genossenschaft für Weiterbildung und Regionalentwicklung (GWR Spondinig) berichtete über die verschiedenen Interreg Projekte Italien-Österreich und Italien-Schweiz, sowie über CLLD Terra Raetica Projekte zur Regionalentwicklung durch lokale Akteure im Dreiländereck. Die Projekte werden vom Interreg Rat Terra Raetica, sowie von verschiedenen Arbeitskreisen begutachtet und begleitet. Im Interreg Rat sind Vertreter:innen aus dem Vinschgau, der Region Imst, Landeck und dem Unterengadin bzw. Val Müstair. Der GWR betreut die Projekte im Vinschgau. Im Dreiländereck wurden im Zeitraum 2014 – 2020 insgesamt 89 Kleinprojekte, 18 Mittelprojekte und 5 Großprojekte eingereicht und teilweise auch bereits durchgeführt. Das gesamte Projektvolumen beträgt 6,2 Millionen Euro. Insgesamt geht es bei den Projekten um ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum in den Bereichen Wirtschaft, Tourismus, Freizeit, Bildung, Gesundheit, Mobilität und Energie. Es geht u.a. um die Aufwertung der Ortskerne, die Erhaltung der Trockenrasen und Schmetterlingsvielfalt, ein nachhaltiges Steinwildmanagement, die Zusammenarbeit der Bergbaugebiete, die Verbesserung der öffentlichen Mobilität, Psychische Gesundheit, Stärkung der Familien, Sternbeobachtung, Klimawandel, die Bodengesundheit, die niederschwellige Betreuung von alten und pflegebedürftigen Menschen durch das Projekt Sonnenstrahl. Als Rahmenprogramm gab es neben der Präsentation von Leader- und Interreg-Projekten auch Vorträge und Workshops über Demokratie und Partizipation, Schutzbauten und eine Präsentation des Workshops „Demilitarise Gently“, außerdem lokale Köstlichkeiten, ein DJ Set am Freitagabend, Musik mit „Kraut und Ruabm“ von der Behindertenwerkstatt Prad und viele weitere Angebote für die ganze Familie. So wurde die EU-Projektmesse im Vinschgau zu einem Spiegel des kleinen Europa mit vielen lokalen Projekten im großen Europa der Völker und Staaten.
Infos: Europa direct/Südtirol Abteilung Europa
https://europa.provinz.bz.it/de/unsere-partner
Infos: Terra Raetica – das Rätische Dreieck
https://www.terraraetica.eu/de/terra-raetica/willkommen.html