Vinschgau - Außer Streit dürfte sein, dass Wege gesucht und gefunden werden müssen, von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Es gibt mehrere Wege, dieses Ziel zu erreichen: Ein Verzicht auf allen Ebenen, was einem Rückschritt gleichkäme. Oder: Eine Substitution der fossilen Brennstoffe mit erneuerbarer Energie. Die „Initiative Energie Vinschgau“ plädiert für Letzteres und bringt konkrete Vorschläge.
von Erwin Bernhart
Erdöl, der fossile Brennstoff, hat mit der Industrialisierung, mit der Mobilität, mit Verpackung, Kleidung und Gebrauchsgegenständen den Wohlstand, in dem wir leben, maßgeblich mitverantwortet. Erdöl war und ist Schmierstoff für Reichtum - und für viele Übel. Erdöl, Kohle, Erdgas - die fossilen Brennstoffe sind in Verruf. Durch die Verbrennung entsteht neben vielem anderen Kohlendioxid CO2. Wenn wir viel verbrennen, entsteht viel CO2. Viel CO2 in der Athmosphäre erzeugt auf der Erde einen Treibhauseffekt. Der Treibhauseffekt bewirkt den Klimawandel. Dieser Klimawandel soll gestoppt oder eingebremst werden. Das geht nur, wenn wir weniger oder bestenfalls kein CO2 mehr durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern erzeugen. Es ist Alarmstimmung in Politik und Gesellschaft. Zumindest in Europa.
Zuletzt wurde mit dem Pariser Klimaschutzabkommen eine rechtsverbindliche Grundlage geschaffen, auf der sich die Länder zur Einhaltung des 1,5° Zieles verpflichten. Nahezu alle Länder haben Klima- und Energiepläne zur Erreichung der Ziele ausgearbeitet und ratifiziert. Diese Anstrengungen reichen hinunter bis nach Südtirol, in die autonome Provinz.
Südtirol, als Musterschüler immer wieder ambitioniert, hat sich im neuen Klima- und Energieplan unter anderem verpflichtet, die Klimaneutralität bis 2040 erreichen zu wollen. Das Ziel ist formuliert und bleibt bis zur Umsetzung Papiertiger, auch weil keine konkreten Pläne darin formuliert sind.
Den Landes-Papiertiger in konkretes Handeln - zumindest im Vinschgau - umzusetzen, das hat sich die „Initiative Energie Vinschgau“ gesetzt. Der Vinschgau, so der Tenor, hat das Potenzial, das Know-How und den Willen, anteilsmäßig an der Umsetzung zum „Klimaneutralen Südtirol bis 2040“ beitragen zu wollen.
Die „Initiative Energie Vinschgau“ mit Vertretern der E-Werke im Vinschgau, der Energiegenossenschaften und politischen Vertretern unterstützt den beschlossenen Klimaplan Südtirol 2040. Aber nicht als Lippenbekenntnis sondern mit konkreten Vorschlägen. In einem Positionspapier, von welchem LH Arno Kompatscher in Kenntnis gesetzt ist, werden „unterstützende Maßnahmen zum Klimaplan 2040“ formuliert.
„Die Initiativgruppe beschäftigt sich mit den Herausforderungen mit besonderem Blick auf die Potenziale im Vinschgau in Bezug auf den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien Anlage, der Effizienzverbesserung (z. B. Digitalisierung) und der Energieeinsparungen“, heißt es im Positionspapier. „Im Bereich der Erneuerbaren Energien Anlagen sollen sämtliche Technologien (Wasserkraft, Wind, Photovoltaik, Biomasse) auf mögliche Ausbaupotenziale im Gebiet untersucht werden.“
Um zu verstehen, was die Vinschger um Masterminds Michael Wunderer und Walter Gostner, um die Repräsentanten des Vinschgauer Energiekonsortiums Andreas Tappeiner und Alexander Telser, den BM Dieter Pinggera, Mauro Dalla Barba, Georg Alstätter und dem ehemaligen Parlamentarier Albrecht Plangger austüfteln, muss der derzeitige Verbrauch an fossilen Brennstoffen vorausgeschickt werden. Michael Wunderer, der Verfasser des Positionspapiers, schätzt vorsichtig. „Der Energiebedarf wird zu mehr als 40 % in Südtirol nach wie vor mittels fossiler Energieträger hergestellt.“ Also Mobilität, Heizanlagen, Prozessenergie usw. werden mit Öl und Gas bedient. Und 40 % (oder mehr) wieviel ist das? „Damit diese 40 % des Gesamtenergiebedarfs in Südtirol durch saubere Energieformen ersetzt werden können, müssten bis 2040 mindestens weitere 4.000 bis 5.000 Gigawattstunden durch Erneuerbare Energien Anlagen erzeugt werden“, sagt Wunderer.
Die Wasserkraft in Südtirol könnte durch Modernisierung und Ausschöpfung von Ausbaupotenzialen rund 1.000 Gigawattstunden zusätzlich liefern.
Weitere 2.000 Gigawattstunden wären über Photovoltaik möglich, wenn diese massiv und auch in Form von Agri-Photovoltaik (Bild links) ausgebaut würde.
Einige Gigawattstunden wären auch über die Windkraft und über Biogasanlagen möglich.
Die Initiative Energie Vinschgau hat die staatlichen Berechnungen und den landesweiten Bedarf - will man denn tatsächlich bis 2040 die Klimaneutralität erreichen - auf den Vinschgau anteilsmäßig heruntergebrochen.
400 Megawatt neue Photovoltaikanlagen würde allein der Vinschgau benötigen, um anteilsmäßig an der Klimaneutralität 2040 in diesem Bereich beitragen zu können. Dazu fordert die Initiative die Landesregierung auf „das vorhandene Photovoltaik-Potenzial an Dachflächen, Industriegebäuden und Parkplätzen prioritär zu nutzen. Trotzdem wird es notwendig sein, bereits jetzt entgegen den aktuellen landesgesetzlichen Bestimmungen in begrenztem Umfang und in definierten Zonen auch Agri-Photovoltaik-Anlagen zuzulassen“, sagen die Initiatoren.
Wildwuchs könne man natürlich keinen wollen. Deshalb empfehlen die Initiatoren von der Initiative Energie Vinschgau, dass die Agri-Photovoltaik-Anlagen anhand rechtlicher Regularien und mit Bürgerbeteiligung genehmigt werden. 58 Megawatt neue Agri-Photovoltaik-Anlagen könnte man sich vorstellen, das wären 100 Hektar im Vinschgau und, wenn man so will, 8 Hektar pro Gemeinde.
Den Vorschlägen stehen die aktuellen Landesgesetze gegenüber. Und diese erlauben derzeit keine Agri-Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Die Aufforderung aus dem Vinschgau: Die landesgesetzlichn Bestimmungen sollen dringend überdacht werden.
Die aktuellen Landesgesetze in den Bereichen des Gewässerschutzplanes und des Wassernutzungsplanes lassen auch im Bereich von Neu-Nutzungen der Wasserkraft kaum Spielraum. Trotzdem hat die Initiativgruppe vom Ingenieurbüro Patscheider&Partner eine Potenzialerhebung für den oberen Vinschgau durchführen lassen. Das Potenzial von 19 neuen Kraftwerken hat Ingenieur Walter Gostner dort ausgemacht und schätzt eine zusätzliche Jahresproduktion von 85 Gigawattstunden. Zur Erinnerung: 1.000 neu erzeugte Gigawattstunden bräuchte es südtirolweit. Das Potenziel von fast einem Zehntel davon würde also im oberen Vinschgau stecken. Gostner wird auch das restliche Gebiet im Vinschgau untersuchen.
Demzufolge schlägt die Initiative Energie Vinschgau vor, dass ein technischer Arbeitstisch den Gewässerschutzplan und den Wassernutzungsplan unter Berücksichtigung des Klima- und Energieplanes Südtirol 2030 überarbeiten solle.
Die Diskussion über Windräder an genau definierten Standorten soll südtirolweit wieder aufgenommen werden. Das fordern die Initiatoren. Eine der Vorstellungen: Je zwei Windräder im oberen Vinschgau wären mit der neuesten Technologie durchaus imstande, insgesamt mit 12 Gigawattstunden pro Jahr am Klimaplan beitragen zu können.
Mit der Förderung von Biogasanlagen, mit den Überlegungen zu Pumpspeicherwerken, mit dem verbindlichen Einbinden von neuen Anlagen in Energiegemeinschaften breitet die Initiative der Landesregierung und auch der Gesellschaft einen breiten Teppich an Möglichkeiten aus, die Ziele des Klimaplanes 2040 konkret erreichen zu können.
Mit welchem Maß die Vorschläge aus dem Vinschgau ernst genommen werden, wird auch Maß dafür sein, wie ernst es sowohl der Politik als auch der Gesellschaft mit dem Erreichen der Klimaneutralität ist.