Schlanders/KVW - Der österreichische Bundesminister a.D. Rudolf Anschober sprach in Schlanders über die Pandemie, die Gesundheitsversorgung in der Peripherie und das Vertrauen in Politik und Wissenschaft, um zukünftige Krisen zu meistern.
Der ehemalige Gesundheitsminister Rudi Anschober war Lehrer und Journalist, er ist Autor und zählt zu den erfahrensten Politikern der Grünen in Österreich. Von 1990 bis 2021 war er politisch aktiv als Parlamentsabgeordneter, Abgeordneter im oberösterreichischen Landtag und von 2003 bis 2020 als Landesrat und vom Jänner 2020 bis April 2021 als Gesundheits- und Sozialminister der türkis-grünen Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz. Am 13. April 2021 erklärte er nach 462 Tagen im Ministeramt seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen. Anschober erhielt auch Morddrohungen. Nachher schrieb er das Buch „Pandemia Einblicke und Aussichten“, die erste Innenansicht eines europäischen Gesundheitsministers in der Pandemie. Geschildert werden die Herausforderungen des Ausnahmezustandes unter Corona. Auch in Schlanders erzählte Anschober in einem Gespräch mit dem Moderator Josef Bernhart über diese schwierige Zeit. Wir waren unvorbereitet, meinte der ehemalige Minister. Es gab keinen Pandemieplan, keine Leitung des Krisenstabes, keine Masken und keine Schutzkleidung und die Grenzen waren geschlossen. Man wusste nicht wie gefährlich das Virus war und was auf uns zukam. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Er musste sich mit einem Expertenrat, dem Koalitionspartner, den Fraktionen im Parlament und den Landeshauptleuten absprechen und schnell Entscheidungen treffen. Die erste Welle hat Österreich gut überstanden, weil es eine breite Zusammenarbeit gab. Anschober meinte, dass auch er sich eine zeitweilige Ausgangsbeschränkung ursprünglich nicht vorstellen konnte, sich dann aber gezwungen sah einen Lockdown durchzuführen. Später wurde es schwieriger, weil viele die parteipolitische Sicht und die Haltung einzelner Lobbys in den Vordergrund stellten. Gesundheits- und Klimapolitik sind nach Anschober für die Zukunft enorm wichtig. Die Produktion von Medikamenten und Masken muss wieder nach Europa verlagert werden. Es muss finanzielle Anreize für das Fach- und Pflegepersonal geben und die Zusammenarbeit in Europa muss besonders in Krisenzeiten verbessert werden. Ein großes Problem ist der Verlust des Vertrauens in Politik und Wissenschaft. Auch das Vertrauen in die Zukunft hat in Österreich von 70 % auf 13 % in den letzten fünf Jahren abgenommen.
Vor der Pandemie gab es auch in Österreich Tendenzen, die Zahl der Krankenhausbetten abzubauen und regionale Gesundheitsstrukturen zu zentralisieren. Heute weiß man wie wichtig die medizinische Versorgung vor Ort ist. In Oberösterreich hat man Schwerpunkte der Gesundheitsversorgung zentralisiert, aber die Basistätigkeit vor Ort gelassen und jedes Krankenhaus mit 2-3 Schwerpunkten betraut. Es braucht eine Pflegereform, damit der Zugang erleichtert und der Pflegeberuf aufgewertet wird. Auch die Bezahlung muss erhöht werden. Ein Spital in der Region schärft das Bewusstsein für die Gesundheit. Wichtig sind Arztpraxen als Anlaufstellen vor Ort mit Ärzten, Pflegern und Psychologen. Insgesamt muss mehr Gewicht auf die medizinische Vorsorge und die bewusste Ernährung gelegt werden. Mit Sorge schaut Anschober auf die Klimaerwärmung und die zunehmende Skepsis gegenüber Politik und Wissenschaft. Wir dürfen nicht aufhören kritisch zu denken, müssen aber evidenzbasiert handeln und dabei auf die Wissenschaft hören. Anschober appellierte dazu sich einzumischen und politisch aktiv zu werden. Wir entscheiden über die Klimakrise, meinte Anschober und wenn wir zusammenhalten, werden wir diese Krise auch schaffen. Florian Zerzer, der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes, stellte klar, dass es seit der Pandemie keine Diskussionen über eine mögliche Schließung der kleinen Krankenhäuser gibt. Es fehlen Ärzte, Pflege- und Verwaltungspersonal, aber es gibt Ausbildungsplätze in Südtirol und Studienplätze werden eingekauft. Wir schauen nach Norden und nach Süden, meinte Zerzer, müssen aber den Vorgaben der nationalen Regierung nachkommen. Große Herausforderungen sind neben der Personallücke auch die Digitalisierung. Zerzer dankte dem Krankenhauspersonal und bat um Vertrauen für das öffentliche Gesundheitssystem, um der zunehmenden Privatisierung entgegenzuwirken. Die Gesundheitsverwaltung ist bemüht die Wartezeiten abzubauen und die Politik muss sich dafür einsetzen, dass die Löhne der Angestellten erhöht werden, so Zerzer abschließend. (hzg)