Gelassen und vertrauensvoll ins neue Jahr blickt Maria Fliri nach vorne. Sie wünscht keinen guten Rutsch, sondern einen sicheren Gang, denn: „Rutschen ist zuallerletzt, immer negativ besetzt.“ Dies brachte sie in einem ihrer Texte bei einem Poetry-Slam zum Ausdruck. In ihrem ereignisreichen Leben als Bergbauernkind, Lehrerin, Sennerin, Seniorenclubleiterin, Dorfchronistin, Mundartdichterin und Slammerin hat sie sich immer wieder neuen Anforderungen gestellt.
von Maria Gerstgrasser
Maria Fliri wurde 1940 als erstes von dreizehn Kindern auf einem Bergbauernhof am Naturnser Sonnenberg geboren. Sie erlebte eine Zeitspanne, die auf den Höfen in Arbeitswelt und Lebensweise mehr Veränderungen gebracht hatte, als die Jahrhunderte zuvor. Im Heranwachsen wurde sie automatisch in den familiären Arbeitsprozess in Haus und Hof eingeführt und mit Freuden und Leiden vertraut. Die frühe, tatkräftige Mithilfe bei allen anfallenden Arbeiten, sieht sie heute als eine der wenigen Möglichkeiten, ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln und Aufmerksamkeit seitens der Erwachsenen zu erhaschen. An körperliche Zärtlichkeit und sichtbare emotionale Zuwendung kann sie sich nicht erinnern: „Mit Entbehrungen lernte man umzugehen, man hatte ja kaum Vergleiche.“ Heute wirft sie gerne Rückblick auf diese beinahe vergessene Welt.
Die Vergangenheit holte sie wieder ein, als sie fünfundzwanzig Almsommer als Sennerin und Wirtin mit ihrer Familie auf dem Nörderberg verbrachte. Die Erinnerungen lebten wieder auf, und es gereichte ihr zum Vorteil, bestimmte Arbeiten und Kenntnisse von ihrem Heimathof dort wieder umsetzen zu können.
Als Kind besuchte Maria Fliri acht Jahre die einklassige Volksschule auf Unterstell,. Die Freude am Dichten geht auf das dortige letzte Grundschuljahr zurück. Da versuchte sie mit der jungen Lehrerin für jeden Hof auf dem Patleideregg Verse zu schreiben, die dann beim „maschgera gian“ mit größeren Schülern in Szene gesetzt werden sollten. Aber dazu kam es nie, da dies vom Religionslehrer untersagt wurde. Es sei unverantwortlich, die Jugend so früh an solch lustvolle und profane Vergnügungen heranzuführen. Kirche galt als strenge Instanz. „Über Jahrzehnte dachte ich nicht mehr daran, Verse zu schmieden.“, erinnert sich die beinahe Achtzigjährige.
Nach einem Jahr Schulpause kam sie ihrem Herzenswunsch, Lehrerin zu werden, etwas näher. Und es ist der Weitsichtigkeit und Opferbereitschaft ihrer Eltern zu verdanken, dass ihr das Studium ermöglicht werden konnte. In den Fünfzigerjahren war dies für ein Bergbauernmädchen eine, nicht allen verständliche, Ausnahme. Allen Unkenrufen zum Trotze, auch wegen des vermeintlichen Mangels an Schulkenntnissen, hielt sie zielstrebig durch und erlebte auch im Institut in Meran eine bisher ihr unbekannte Welt. Heute erzählt sie lächelnd davon, wie sie ratlos vor Wasserhähnen und Badewannen stand, wie sie geschickt die Angst vor Bällen und vor der Betätigung des Lichtschalters überspielte. Sie war froh über strenge Verhaltensregeln und über die schwarze Kleiderschürze mit weißem Kragen als Einheitskleidung. Durch diese konnte ihre vergleichsweise eher dürftige, ärmliche Garderobe unentdeckt bleiben.
Später, als Lehrerin, legte sie besonderes Augenmerk auf lernschwache und verhaltensauffällige Schüler und setze sich, nach entsprechender Zusatzausbildung, in der damaligen Sonderschule in Naturns, gezielt für sie ein.
Im Mittelpunkt oder in der Öffentlichkeit zu stehen war lange nicht ihre Wesensart. Aber durch die Übernahme verschiedener Aufgaben im Dorf änderte sich dies. 1989 übernahm sie die Tätigkeit als Dorfchronistin und erfüllte diese Aufgabe beinahe über dreißig Jahre hindurch. Davon auch einige Zeit als Bezirkschronistin im Vinschgau. In den letzten sechs Jahren stand ihr ein Team hilfreich zur Seite. Den Schritt von der analogen hin zur digitalen Bearbeitung wollte sie nicht mehr machen und so legte sie im Vorjahr die Chronistenarbeit in jüngere Hände. Im Sinne der Chronik verfasste sie neben Artikeln für Lokalzeitungen, auch verschiedene Publikationen. Auch leitete sie über zwanzig Jahre den Seniorenclub Naturns, war einige Jahre Mitglied des Pfarrgemeinderates und im Ausschuss des Heimatpflegevereines.
Mittlerweile hat sich ihr Ruf als Mundartdichterin gefestigt und verbreitet. Nachdem sie lange Zeit Auftragsgedichte verfasst hatte, wagte sie es schließlich eigene Gedanken in Gedichtform zu setzen zu veröffentlichen.
Als sie vor vier Jahren eher zufällig in die Poetry-Slam-Szene hinein schnuppern konnte, fand sie dort ein neues Tätigkeitsfeld, in dem sie sich versuchen wollte. Ihre erste Teilnahme an einem Poetry-Slam im Ost-West-Club in Meran im Oktober 2016 überzeugte sie vollends von dieser, für sie neuen, Form des Dichtens. Seither trat sie dort öfters auf und brachte das Publikum durch ihre poetischen, witzigen und kritischen Texte, teils auch in Mundart, zum Lachen und Nachdenken. Die Poetin holt sich die Inhalte aus der Geschichte, aus Beobachtungen und Anekdoten, sie fühlt sich wohl unter den jungen Mitbewerbern und dem zahlreichen Publikum, welches beim Poetry-Slam als Jury fungiert.
Im vergangenen Herbst konnte sie, als älteste Teilnehmerin, den dritten Platz bei der alljährlich stattfindenden Südtiroler Landesmeisterschaft belegen.