Rommlt und schelch, obr it zwidr - Überelegungen zum Vinschger Dialekt

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Eine Vinschgerin bleibt nicht lange unerkannt. Wer hinhört, bemerkt die eigentümliche, leicht klappernde Redeweise der Sprechenden. Neben vielen originellen Dialektwörtern dürften die harte, kehlig-markante Aussprache von K- und P-Lauten, die Häufigkeit von zischenden Sch-Lauten, die i-Dominanz (Pōlli, Kini, inni, außi, sui, onni, siiri, hetzi), das rrollende R und die eine oder andere Vinschger Sprachspezialität dafür sorgen, dass der Vinschger Dialekt im Land und in angrenzenden Regionen gern gehört und lustvoll imitiert wird. Was freilich schwer gelingt. Doch plagen mich beim Schreiben über die mündliche, alltägliche Sprachvariante des Vinschgaus manche Zweifel, i hon Schpundus, weil es nicht eine Vinschger Dialektwelt gibt, sondern mehrere. Das Langtauferertal empfängt mit ureigenen Ausdrücken, da steht so mancher Vinschger mit fragendem Gesichtsausdruck und einem vorsichtigen Ha? Wos hosch gsogg? da.

Die Dorfbewohner rund um Haider- und Reschensee benutzen ein Lautsystem, das dem Dialekt des Oberen Gerichts (Nordtirol)
ähnelt, ein Ja wird zum Jou, das beliebte Beispiel ich habe mal eine Mütze gehabt wird als i hon amoll a Kopp kett gesprochen, während im übrigen Talbereich i hon amoll a Kopp kopp bleibt. Erzählt ein Stilfser eine Anekdote, schwingt die Sprache in einer singenden Melodik, die Latscher haben wiederum einen besonders klangvollen Umgang mit zusammengezogenen Vokalen wie ou. Innerhalb der Gemeinde Laas teilt sich der Vinschgau in zwei Großräume. Ab Eyrs aufwärts werden im Obervinschgau die Zwielaute ea verwendet, aus grün wird grean, aus schön wird schean, eine Blume ist eine Bloam, während von Laas abwärts im Mittel- und Untervinschgau die Bliamln schian und grian wachsen. Was einem Laaser natürlich über die Lippen kommt, ist für die Bewohner der Nachbardörfer schon fremd. Klingt beinahe nach babylonischer Sprachverwirrung, und das auf einer Länge von 70 Kilometern? Asou a Furm. Besonders konserviert hat sich der Vinschger Dialekt in den etwas abgeschlosseneren Seitentälern wie Schlinig, Matsch, Martell oder Schnals. Die späte Berührung mit s69 dialekt2dem Tourismus könnte auch eine Theorie dafür sein, dass sich der Vinschger Dialekt lange erhalten hat. Obwohl es zahlreiche Hinweise gibt, dass er langsam ausgeschliffen wird und sich ein Sprachbild ergibt, das dem seichten, fleasn Bachbett des Suldenbaches in Prad ähnelt, weil einige typische Phänomene seltener werden, gibt es ihn doch noch und mit ihm viele stolze Sprecher und Sprecherinnen, die sich nicht darum scheren, dass er etwas borstig klingt. Es ist den Vinschgern vorbehalten, die Fallsetzung umzuwerfen und mit dem 3. Fall zu kokettieren. Geschtern honni dir gsechn, i honn dir gearn. Bei aller Robustheit der Aussprache lässt sich im Vinschger Dialekt doch auch ganz gut schean tean, wie zahlreiche Ausdrücke und die Möglichkeiten der Verniedlichung belegen. Luis Stefan Stecher, Dichter und Maler aus Laas, hat mit seinem literarischen Werk der Korrnrliadr enthüllt, wie samtig und woach es klingen kann: Mai Maadele, mai Tschuurale, mai rutschlz Paalapirl …

In einem Punkt ist er Meister, der Vinschger Dialekt: im mehrdeutigen oder unklaren Reden. Wer zusammenkommt, der spricht, auch wenn er nichts zu sagen hat. Im Sommer heißt es Hosch worm?, morgens Bisch auf?, nach dem Wohlbefinden erkunden wir uns mit Geahts? oder Nochr?, das Tagwerk wird mit Wos geaht? geprüft und mit Jojo, loss geahn! lässt sich das Gespräch elegant beenden. Aiwoll, herrlich unscharf, aber doch gesellig, sellaweign will i itt long stirggn. Die exakte und verlässliche Seite zeigt sich in unzähligen Benennungen von landwirtschaftlichen Gegenständen und traditionellen Speisen, die nach und nach in Vergessenheit geraten, weil die Technisierung neue Möglichkeiten und Begriffe bringt, die alten weniger gebraucht werden und auch im Vinschgau modern, digital und mehrsprachig gelebt wird. Mit dem bäuerlichen Leben und Wirtschaften als ursprüngliche Lebensform ist der Dialekt am engsten verbunden. In diesem Feld steckt auch die größte Originalität, da die Wörter nicht wie heute der Standardsprache oder anderen Sprachen entnommen und lautlich angepasst wurden (Trog – Troug, Kern – Kearn, spielen – schpieln, Computer, Handy, Quarantäne), sondern phantasievolle Erfindungen sind oder sich häufig aus dem Mittelhochdeutschen entwickelt haben. Lautmalerische Dialektwörter wie s‘ Tatl, die Blootr, die Hoorleig, dr Biiz, dr Riffl, tschattrn, die Tschaltschn, eppas vrlappln, es glantschtrt, eppas drtean, maitrn, moul, murflan, prusman, groaglan, grounln, gschtrogglt, hintrschi, klumprn, Laggl, leechn, rottln, schelch, schtotzn, Schupf verwenden sui oder mir, äh wir, die Vinschger, wohl noch immer, ansonsten sind sie in den Dialektgedichten von Wilhelmine Habicher nachzulesen. Sie spielt auch mit dem Hang des Vinschgers zum Konjunktiv, zur Möglichkeitsform, der wie in anderen Dialekten absonderlich klingt: hatti, tatti, wari sind noch harmlos, wenn über andere gesprochen wird, klingt es er/sie hai gsogg/toun und möchte jemand seine Herangehensweise kundtun, lautet es i gangat, i tat, i lupfat, i sachat. Knapp und im modernen Sinn effizient ist der Dialekt mit dem vielseitig verwendbaren Wörtchen sė, es bedeutet das würde ich dir gerne schenken, bitte nimm mir das ab, da hast du - und genau so gebe ich diese Überlegungen jetzt in eure und Ihre, in enkre Hänt – sė, sie sind dazu gedacht, die Sprache weiterhin zu beobachten, zu lousn und zu reïdn, also zu pflegen, als verbindendes Element, als andauernd sich veränderndes System, das nicht ausschließt, weil es verstanden wird, und nicht einschließt, weil es großzügig vieles mit sich machen lässt.

 

Der Vinschger Dialekt gehört zur südbairischen Sprachfamilie, zusammen mit den Tiroler Dialekten und der Steirischen und Kärntner Mundart. Lange Zeit dominierte im Vinschgau aber die rätoromanische Sprache, wegen des rätischen Ursprungs und der jahrhundertelangen Zugehörigkeit zum Fürstbistum Chur. In Familien- und Flurnamen klingt das Rätoromanische noch nach. Im Spätmittelalter wurde dann das Deutsche modern, geistliche und weltliche Machthaber etablierten Mittel- und Neuhochdeutsch auch im Vinschgau. 1363 kam die Grafschaft Tirol zum großen Habsburgerreich und nach und nach wurden rätoromanische Schriftstücke weniger und die feudale Gesellschaft deutschsprachig. Dazu beigetragen hat die Calvenschlacht von 1499 und die folgenden Überfälle der Bündner Sieger auf die Vinschger Dörfer.

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