„Wir sitzen alle im selben Boot“

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Sibille Tschenett, Direktorin  der Seniorenheime in Schluderns und Laas. Sibille Tschenett, Direktorin der Seniorenheime in Schluderns und Laas.

Das Corona Virus hat nun auch die Vinschger Altenheime erreicht. Die Lage spitzt sich zu. Die Zahl der infizierten Heimbewohner steigt und auch jene der infizierten MitarbeiterInnen. Ein Hilferuf kam anfangs der Woche vom Verband der Seniorenwohnheime Südtirols. Es werden Kräfte gesucht, die in der Pflege und in der Betreuung helfen. Der Vinschgerwind hat mit der Direktorin Sibille Tschenett über die Situation in Schluderns und Laas gesprochen.

Interview: Magdalena Dietl Sapelza

 

Vinschgerwind: Helfende Kräfte werden gesucht. Welche Voraussetzungen müssen diese mitbringen?
Sibille Tschenett: Hier ist zu unterscheiden, in welchen Bereichen sie eingesetzt werden können. Für die Pflege und für die Betreuung in der Isolierstation brauchen wir ausgebildete Personen und/oder StudentenInnen aus den Krankenpflege- und Altenpflegeschulen. Bei der Anstellung gibt es zwei Möglichkeiten: entweder eine direkte Anstellung oder ein Praktikum. Die reine freiwillige Mitarbeit ist momentan schwierig, weil eine Absicherung im Falle einer Infektion fehlt.

Vinschgerwind: In den Heimen in Schluderns und Laas wurden strikte Sicherheitsbestimmungen eingehalten und man ist gut durch die erste Welle gekommen. Nun hat sich Lage zugespitzt?
Tschenett: Alle Heime Südtirols haben sich von Beginn an die vorgeschriebenen Sicherheitsbestimmungen gehalten. Die erste Welle hat den Vinschgau zum Glück verschont und damit auch die Altersheime. Nun ist das Virus wie ein Sturm durch den Vinschgau gefegt. Seit Ende Oktober sind die Infektionszahlen im Vinschgau geradezu explodiert.

Vinschgerwind: Haben Sie eine Erklärung?
Tschenett: Viele Menschen hatten keine Symptome, fühlten sich gesund und trugen vermutlich das Virus bereits in sich. So war es unvermeidlich, dass das Virus irgendwann auch über asymptomatische MitarbeiterInnen den Weg in die Altersheime gefunden hat.

Vinschgerwind: Wie haben Sie darauf reagiert?
Tschenett: Weil überall ein Ansteigen der Neuinfektionen festzustellen war, haben wir in der letzten Oktoberwoche mit dem gezielten Einsatz der Antigen-Schnelltests bei MitarbeiterInnen und Bewohnerinnen und Bewohner begonnen. Damit wollten wir die Ansteckungskette in den Häusern sofort unterbrechen. Das heißt: Betroffene MitarbeiterInnen mussten sofort zu Hause bleiben. Betroffene HeimbewohnerInnen wurden sofort isoliert. Anfangs sind noch vereinzelt Infektionen aufgetreten. Dann kamen jeden Tag neue dazu - nicht, weil wir unvorsichtig waren oder die Maßnahmen nicht eingehalten haben, sondern weil, wie gesagt, einge schon Träger waren, ohne dass das Virus ausgebrochen ist. Das ist eine mögliche Erklärung.

Vinschgerwind: Wie viele Heimbewohner sind betroffen?
Tschenett: Im Heim Schluderns haben wir (Stand: Dienstag 17. November 2020) 33 positiv getestete BewohnerInnen. Die meisten befinden sich bei uns im Haus und werden in einer eingerichteten Isolierstation unter unermüdlichm Einsatz fürsorglich von unseren Mitarbeiterinnen und von unserem Heimarzt Dr. Christian Hofer betreut. Das Mitarbeiterteam erbringt in dieser Zeit unglaubliche Leistungen. Alle, die unser Haus in Schluderns kennen (Altbau, Neubau, Gänge, Mehrbettzimmer, Stockwerke) können sich vorstellen, dass die Errichtung der Isolierstation in diesem Gebäude eine logistische Herausforderung ist. Diese konnten wir gemeinsam mit der Gemeinde Schluderns gut lösen.

Vinschgerwind: Wie schaut es in Laas aus?
Tschenett: In Laas ist die Lage noch ruhig. Aber wir sind dort sehr achtsam, weil uns die Erfahrungen aus Schluderns gezeigt haben, dass sich die Situation täglich und plötzlich zuspitzen kann. In Laas ist aktuell eine Heimbewohnerin positiv getestet.

Vinschgerwind: Wie geht es den Bewohnerinnen und Bewohnern?
Tschenett: Die meisten BewohnerInnen zeigen momentan noch wenig besorgniserregende Symptome. Aber wir sind auf der Hut, weil sich das jeden Tag ändern kann. Denn die Personengruppe der betagten Menschen ist naturgemäß aufgrund ihres hohen Alters besonders gefährdet. Eine Bewohnerin ist vergangene Woche im Krankenhaus verstorben. Zwei Bewohnerinnen befinden sich derzeit in der Covid-Station im Krankenhaus.

Vinschgerwind: Wie viele Mitarbeiterinnen sind derzeit in Quarantäne?
Tschenett: In Schluderns sind es 20 MitarbeiterInnen von 53, in Laas sind es fünf von 50. Diese melden zum Glück mehr oder weniger schwache Krankheitsverläufe. Das stimmt zuversichtlich, und es scheint, als ob die Virus-Erkrankung von relativ gesunden Menschen ohne größere Komplikationen überstanden werden kann. Jede Mitarbeiterin die positiv getestet ist, fällt für zirka drei Wochen aus. Nach dem ersten positiven Test folgen zehn Tage Quarantäne. Wenn der zweite Test auch noch positiv ist, dann folgen wieder sieben Tage Quarantäne. Jeder kann sich vorstellen, was das für ein Heim bedeutet.

Vinschgerwind: Wie und wie oft wird in den Heimen getestet?
Tschenett: Wir testen Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen momentan nahezu täglich mit Antigen-Schnelltests sofort, wenn Symptome auftreten. Wir testen aber auch, wenn Mitarbeiterinnen das wünschen, damit sie sich sicherer fühlen. In Einzelfällen testen wir auch Familienmitglieder, damit unsere Mitarbeiterinnen sich auch innerhalb der Familie sicher fühlen. Bei einem positiven Ergebnis beim Schnelltest wird sofort der PCR-Abstrich gemacht und ins Labor nach Schlanders gebracht. Durch dieses selbstorganisierte Testverfahren können wir die Bearbeitungszeiten und auch die Quarantänedauer verkürzen.

Vinschgerwind: Wie wird die Pflege/Betreuung derzeit organisiert?
Tschenett: Wie bereits während der ersten Welle haben wir die Turnusse wieder so gestaltet, dass ein Team von drei bis vier Mitarbeiterinnen pro Wohnbereich immer den ganzen Tag im Haus ist, von 6.45 Uhr bis 19.45 Uhr. Dann beginnt der Nachtdienst. Auf diese Weise kann die Kontinuität in der Pflege besser gewährleistet werden. Das Team, das die SeniorenInnen den ganzen Tag über begleitet, kann eventuelle krankheitsbedingte Veränderungen besser beobachten und schneller reagieren.

Vinschgerwind: Reicht der Personalstand noch aus?
Tschenett: Zum Glück haben wir einen relativ hohen Personalstand in unseren beiden Häusern, sodass wir zu Beginn der Krise mit den verbleibenden Mitarbeiterinnen auskommen konnten. Als es dann in Schluderns mit der Personaldecke eng wurde, zeigte sich der Vorteil des Zusammenschlusses von Laas und Schluderns. Drei Mitarbeiterinnen aus Laas haben sich sofort bereit erklärt in Schluderns auszuhelfen.

Vinschgerwind: Sie informieren laufend über soziale Netzwerke. Wie reagieren Angehörige und Leser?
Tschenett: Weil die Gerüchteküche im Zusammenhang mit Corona im Altersheim immer brodelte und viele Unwahrheiten im Umlauf sind, habe ich begonnen, über die sozialen Medien zu kommunizieren. Ich berichte offen und transparent über unseren aktuellen Stand in Laas und Schluderns – mit Daten und Geschichten dazu. Die Menschen können so die Situation in den Heimen mitverfolgen und besser verstehen. Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen dazu erhalten.

Vinschgerwind: Entspannung ist noch keine in Sicht, eine Abschottung wird wohl noch lange erforderlich sein.
Tschenett: Ja, wir werden unsere Seniorinnen und Senioren wohl noch über den Winter im geschützten Rahmen betreuen dürfen, solange die Virenlast außerhalb der Heime weiterhin hoch ist. Erst wenn draußen Entspannung herrscht, können auch wir im Heim wieder aufatmen. Für die Angehörigen und für die Heimbewohner/innen ist das eine lange, belastende Zeit. Dass Isollation den Menschen in den Heimen zusetzt, ist mir voll bewusst. Aber wir hatten keine andere Wahl und mussten so handeln und uns den Sicherheitsbestimmungen fügen. Wir haben immer unser Bestes gegeben, um unsere Heimbewohner zu schützen. Von Seiten der Angehörigen erfahren wir sehr viel Vertrauen und Verständnis. Das tut uns gut und bestärkt uns in unserem Tun.

Vinschgerwind: Sind die Verantwortlichen der Seniorenheime untereinander im Austausch?
Tschenett: Die Vinschger Heime sind mit dem Territorium und mit dem Krankenhaus Schlanders gut vernetzt. Alle Heime Südtirols sind über die Krisenstäbe im Verband der Seniorenwohnheime und im Amt für Senioren miteinander verbunden. Von dort erhalten wir laufend Informationen und Hilfestellungen. Mir tut es gut zu wissen, dass alles, was wir momentan in Schluderns erleben, eigentlich nichts Ungewöhnliches ist, sondern in vielen Heimen ähnliches bereits erlebt wurde beziehungsweise gerade erlebt wird. Wir sitzen alle im selben Boot.

Vinschgerwind: Wie läuft die Abstimmung mit dem Sanitätsbetrieb?
Tschenett: Was den Sanitätsbetrieb anbelangt, möchte ich sagen: der Betrieb ist sehr groß und hat viele Entscheidungsebenen, deshalb sind Entscheidungen oft schwerfällig und langwierig. Ich bin gerade deshalb eine große Verfechterin von schlanken Verwaltungen und kurzen Entscheidungswegen. Was ich aber berichten kann: Immer wenn wir Schutzkleidung oder Testmaterial angefordert haben, wurde dieses innerhalb von 24 Stunden bereit gestellt.

Vinschgerwind: Frau Tschenett, wie schaffen Sie die Herausforderung ganz persönlich?
Tschenett: Das frage ich mich auch manchmal. Seit Anfang März bin ich nahezu täglich abwechselnd in beiden Heimen unterwegs. Organisieren und koordinieren sind meine Stärken. Und diese Fähigkeiten sind gerade jetzt hilfreich. Man kann in dieser schwierigen Situation nicht immer nach Schema F handeln. Es gilt oft zu improvisieren und schnelle Entscheidungen zu treffen. So haben wir zum Beispiel in Schluderns innerhalb von wenigen Stunden die Isolierstation aufgebaut – mit einfachen Mitteln, aber effektiv.

Vinschgerwind: Können Sie noch schlafen?
Tschenett: Ich habe zum Glück eine sogenannte „starke Natur“ und kann mich in wenigen Stunden Tiefschlaf recht gut erholen. Letztendlich schöpfe ich auch Kraft und Mut aus dem Vertrauen auf unseren Herrgott – in der Hoffnung, dass wir diese schwierige Zeit im Miteinander überstehen.

Vinschgerwind: Wie lange tragen Sie schon Verantwortung in den Heimen?
Tschenett: Vor 17 Jahren habe ich die Verantwortung übernommen. Seitdem sind die MitarbeiterInnen und BewohnerInnen ein Teil meiner Familie - in guten und in schlechten Zeiten. Die Last der rechtlichen Verantwortung ist in dieser ungewöhnlichen Zeit für mich und für den ärztlichen Leiter Dr. Christian Hofer schon recht schwer. Ich wünsche mir sehr, dass diese Zeit bald vorbei ist und wir unsere Heime wieder für Angehörige und BesucherInnen öffnen können. Besonders wünsche ich mir, dass die BewohnerInnen und die MitarbeiterInnen bald wieder unbeschwerte fröhliche Momente erleben können.

Vinschgerwind: Wie sehen Sie Massentests?
Tschenett: Die für das Wochenende geplanten Massentests in ganz Südtirol verfolgen das Ziel, Virus-Träger zu finden und diese sofort zu isolieren, damit die Infektionsketten unterbrochen werden können.
Ich hoffe sehr, dass diese Maßnahmen greifen - besonders auch zum Schutz unserer alten Menschen.

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