„Mit nix hobmer ongfongen“

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Martha Pohl, Jg. 1938, aus Tarsch: „I geah jeden Tog zu Fuaß“ Martha Pohl, Jg. 1938, aus Tarsch: „I geah jeden Tog zu Fuaß“

Optiert, zurückgekehrt, mit nichts wieder angefangen – harte Zeiten und Schicksalsschläge prägten das Leben von Martha Pohl, die mit 86 Jahren „eigentlich nia zun Doktor geaht.“

von Eliah Fliri und Angelika Ploner

Martha wird nie vergessen, wie man sie damals, mit kaum fünf Jahren, angespuckt hat, in der Tschechei, als sie mit ihrer Mutter, dem Großvater und ihren zwei Geschwistern, dorthin gezogen war. Einen Hof haben die Nationalsozialisten dem Großvater versprochen gehabt. Die Familie Pohl hatte optiert. „Des isch koane schiane Zeit gweesn“, erzählt Martha rückblickend.
Am 13. April 1938 wurde Martha Pohl in Tarsch geboren. Mit zwei Jahren, 1940, kam Martina mit ihren zwei Geschwistern nach Hallein ins Salzburger Land. Die Eltern hatten optiert und bezogen dort eine Wohnung. Der Vater begann die Holzfachschule zu besuchen, wurde aber bereits nach kurzer Zeit in den Krieg eingezogen. Die Kinder und die Mutter blieben allein zurück. Dem Großvater versprach man alsbald ebenjenen Hof in der Tschechei. Die Mutter, der Großvater und die Kinder übersiedelten in die Tschechei. Nur langsam gewöhnte man sich ein. Den Großvater plagte Heimweh, soweit, dass er nach kurzer Zeit wieder nach Südtirol zurückkehrte. Ein weiteres Mal blieben Mutter und Kinder allein zurück. Bis 1945. Es sprach sich herum, dass der Krieg bald zu Ende sein würde. Viele Südtiroler versuchten vor diesem Hintergrund nach Südtirol zurück zu kehren, auch Martha und ihre Familie. Mit Mühe erreichte man einen Zug, „mit ollerhond Hindernissen sein mir nor holt zrug noch Südtirol.“ Die Reise war eine Tortur. Der Bahnhof wurde unterwegs bombardiert, in Wien mussten sie tagelang im Zug warten, dann ist man irgendwo in einem Warenhaus unter- und nach drei Monaten endlich Zuhause angekommen. Zuhause, in Südtirol, wusste die Mutter nicht wohin sie mit den Kindern gehen sollte. Das Haus, das man verlassen gehabt hatte, war vermietet gewesen und niemand wollte die Familie aufnehmen. Eine Tante nahm Martha und ihre Familie schließlich auf, bis das Haus wieder frei wurde. „Mit nix hobmer ongfongen.“ Mit gar nichts. Ein Nachbar hat ihnen zwei Stühle geliehen, ein anderer Nachbar eine Geiß, sodass zumindest ein bisschen Milch da war. Jeden Tag mussten die Kinder mit dem Korb auf den Berg gehen, um Holz zu holen.
Ob der Vater vom Krieg zurückkehren würde, wusste man nicht. Erst nach drei Jahren zwischen bangem Warten und Hoffen, 1948, kehrte er aus der Gefangenschaft zurück. Danach arbeitete er Tag und Nacht: Nachts stellte er Möbel her, um das Haus wieder einzurichten, tagsüber arbeitete er als Zimmermann. Langsam rappelte man sich wieder auf und bekam auch die Äcker, die verpachtet worden waren, zurück. Die Kinder und die Mutter arbeiteten dann hauptsächlich in der Landwirtschaft. Getreide und Marillen wurden angebaut und brachten Ertrag ein. Obst war damals noch rar. Mit einem Korb wurde geerntet, Fahrwege gab es keine, mühsam aber lohnend war die Arbeit. Der Vater wurde Fraktionsvorsteher und war selten Zuhause. Er bemühte sich Wege zu machen und sorgte dafür, dass die Buben aus dem Dorf arbeiten konnten, um auch ein paar Lire zu verdienen. Nach und nach ging es aufwärts. Die Mutter teilte die Lebensmittel genau ein, sodass alle Kinder jeden Tag etwas zu essen hatten, was nicht selbstverständlich war.
Nach der Volksschule ist Martha in Meran bei den Englischen Fräulein zur Mittelschule gegangen. Früher konnten nicht viele Mittelschule gehen. Martha kam bei Verwandten unter. Geld für ein Heim gab es nicht. Nach der Mittelschule machte sie einen Handelskurs, anschließend in Florenz einen Kurs für die Ausbildung von Landfrauen. „I hat schun Meglichkeiten kop“, aber die Mutter hatte vier kleine Kinder und deswegen fiel es ihr schwer zu gehen. Bis zur Heirat blieb Martha Zuhause und half dort mit, schaute bei allen vieren, machte den Haushalt, schaute bei den Hausaufgaben und half überall mit. Nach vielen Jahren der Freundschaft mit Luis Kofler und unzähligen Bergtouren zusammen, heiratete das Paar. Martha war damals 27 Jahre alt. „De Bergtouren sein für mir olm es Schianschte gweesn.“ Dann zog sie in das Haus ihres Mannes. Nicht einfach war es in eine fremde Familie zu kommen, schwierig es jedem Recht zu machen. Martha ordnete sich viel unter und schaute Tag für Tag, dass es weitergeht. Eigene Wünsche hatten damals keinen Platz. Für andere da sein, immer und überall, war oberstes Gebot. „Suscht hats net funktioniert.“ Drei Kinder kamen nach und nach auf die Welt: Claudia, Andrea und Werner. Das Schicksal traf die Familie hart, als man Werner verlor. Den Verlust verkraftete man kaum, und trotzdem ging alles weiter. Als die Kinder ein bisschen größer waren, baute man sich ein zweites Standbein auf und baute Ferienwohnungen. Dass man selbst viel Hand anlegte, war damals selbstverständlich. Vormittag hat man am Bau gearbeitet, am Nachmittag arbeitete man auf dem Acker. Die Ferienwohnungen liefen von Anfang an gut. „I hon erscht lernen miasst mit die Gescht umzugian“, erzählt Martha rückblickend. Heute, mit 86 Jahren, arbeitet sie immer noch auf dem Feld mit. Die Natur und der Kontakt mit der Natur sind ihr wichtig. Jeden Tag geht sie zu Fuß, „damit i beweglich und fit bleib.“ Mäßig leben, gesund leben und bewusst leben, ist ihre Philosophie. Auch die Kräuter sind sehr wichtig für sie. „I geah eigentlich nia zun Doktor, wenn nor moch i eppes mit die Kräuter, ober kronk bin i eigentlich nia wirklich.“

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