Wolfgang Platter, am Neujahrstag 2025
Die spontane Rückkehr des Wolfes in die Alpen spaltet die Meinungen und füllt seit Jahren auch die Zeitungsseiten. Der Wolf polarisiert sehr stark. Fundamentalistische Positionen von Tierrechtlern haben vor Verwaltungsgerichten Bestand und setzen Abschussverfügungen der Landeshauptleute im Trentino, in Südtirol und in Tirol zu Problemwölfen außer Kraft. Viehhaltende Bauern, Kleintierzüchter und Almbewirtschafter resignieren ob der Wolfrisse an alpgesömmerten Nutztieren. Behirtung mit Herdenschutzhunden wird mancherorts von weitsichtigen Almbewirtschaftern als notwendig, machbar und vom Gesetz gefordert, angegangen. Die Schutzzäune um Tausende Hektar große Almen im steilen und unwegsamen Bergebiet als geforderte Vorbeugemaßnahmen sind nicht nur meines Erachtens aber illusorisch, nicht machbar und auch nicht effizient.
Schutzstatus herabgestuft
Der Europarat hat den Schutzstatus des Wolfes von der höchsten Schutzkategorie „streng geschützt“ auf „geschützt“ zurückgestuft und damit einen Weg zur juridischen Lösung des Wolfsproblems aufgetan. Hintergrund für die Einstufung des Wolfes in der niedrigeren Schutzkategorie ist die Tatsache, dass sich die Zahl der Wölfe in Europa in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt hat. Der Europarat ist von der Europäischen Union unabhängig. Mitglieder des Europarates sind 50 Staaten, darunter die 27 EU-Länder, aber auch Länder wie Großbritannien oder die Türkei. Der Europarat kümmert sich um die Wahrung der Menschenrechte, ist aber auch für die Einhaltung der Berner Konvention zuständig. Die Berner Konvention ist ein 1979 verabschiedeter völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz wildlebender Pflanzen und Tiere.
Gegen die Senkung des Schutzstatus´ von Wölfen haben Tierschützer ihrerseits Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Die Aufhebung des Schutzstatus´ist in den Augen der einsprechenden Artenschützer ein „wissenschaftlich nicht fundierter Beschluss.“
Die Zahl der in den Ländern der EU vom Wolf gerissenen Nutztiere (vor allem Schafe und Ziegen) wird auf mindestens 65.000 pro Jahr geschätzt.
Das EuGH-Urteil zum Wolf
Nicht unerwähnt darf das Wolf-Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Sommer 2024 bleiben. Dieses Urteil hat für die Entnahme von Wölfen Verschärfungen gebracht. Univ. Professor Walter Obexer, Experte für Europarecht an der Universität Innsbruck, nennt für den erschwerten Abschuss von Wölfen aus dem Urteil des EuGH drei Hauptgründe:
• Voraussetzung für eine Entnahme ist, dass die Wolf-Population bei Entnahmen in einem günstigen Erhaltungszustand bleiben muss. Und dieser günstige Erhaltungszustand muss nicht nur auf der Ebene des Mitgliedstaates bewiesen werden, sondern auch auf der Ebene der Region. Hieße nicht nur für ganz Italien, sondern auch für das Land Südtirol.
• Bei den Schäden dürfen nur die direkten Schäden und nicht auch die indirekten Schäden herangezogen werden. Ein direkter Schaden ist jener, der durch Risse eines Problemwolfes entsteht. Der indirekte Schaden für die Almwirtschaft, die Landwirtschaft, die Nutztierhaltung und den Tourismus darf bei der Quantifizierung der Schäden durch Wölfe nicht herangezogen werden.
• Die dritte Verschärfung durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes betrifft die Alternativmaßnahmen zum Herdenschutz. Das Land Tirol und auch Südtirol argumentiert, dass Herdenschutzmaßnahmen nur dann gesetzt werden, wenn sie nicht unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen. Mit Alternativmaßnahmen sind gemeint: das Einzäunen von Almen, das Anstellen von Hirten, der Kauf und die Abrichtung von Herdenschutzhunden, das nächtliche Einpferchen der Weidetiere. Der EuGH hat entschieden, dass die wirtschaftlichen Kosten der Alternativmaßnahmen zwar berücksichtigt, aber nicht ausschlaggebend sein dürfen, um diese Alternativmaßnahmen zu unterlassen. Diese Erkenntnis des EuGH gefährdet auch die Definition von Weideschutzgebieten gemäß Südtiroler Landesgesetz, das seit dem 15. Juni 2023 in Kraft ist. Am 8. August 2024 hat die Südtiroler Landesregierung die Durchführungsverordnung zu diesem Landesgesetz genehmigt. Diese Durchführungsverordnung beinhaltet die vom Direktor der Abteilung Forstwirtschaft festgelegten Kriterien für die Ausweisung von Weideschutzgebieten, die Modalitäten der Vergrämung und Entnahme von Wölfen und die Modalitäten des Wolfsmonitorings.
Wolfsmanagement im Kanton Graubünden
In Konfliktsituationen tut ein Blick über den Gartenzaun immer gut. Dieser Blick geht in die Schweiz und im Engeren in den Kanton Graubünden als unseren Nachbarn, in dem der viehhaltenden Berglandwirtschaft ebenfalls noch eine bedeutende Rolle zukommt.
Dem Quartalbericht November 2024 des Amtes für Jagd und Fischerei (rätoromanisch: Uffizi da chatscha e pestga) des Kantons Graubünden habe ich die nachfolgenden Angaben zum Wolfsbestand und zum Wolfsmanagement im Schweizer Nachbarkanton entnommen.
Aktuell leben im Kantonsgebiet Graubünden 13 Wolfsrudel (siehe Karte). Die anfangs November 2024 durchgeführte gutachterliche Schätzung der Wildhut ergab einen Mindestbestand von 91 Wölfen für den ganzen Kanton Graubünden. Ein neues Rudel (Forcola) wurde in der Gemeinde Soazza in der italienischsprachigen Val Mesolcina zwischen Bellinzona und San Bernardino Pass mittels Fotofallen-Aufnahme vom 2. Oktober 2024 bestätigt. Das Foto hat drei Wölfe erfasst.
Für 10 Rudel wurden für das Jahr 2024 Reproduktionen mit einer Mindestanzahl von 57 Welpen bestätigt. Von den drei neueren Rudeln (Alpetli, Calanda 2 und Forcola) wurden mindestens 13 Junge erfasst. Dies ergibt für 2024 die Geburt von insgesamt 70 Wolfswelpen im Kanton Graubünden.
Für die Wolfsregulation wurden in der Regulierungsperiode 2024/25 insgesamt 37 Wölfe zum Abschuss freigegeben und alle 37 wurden erlegt. 37 Abschüsse bei 91 Wölfen Bestand ergibt eine Regulierungsquote von 40,4% (!). Dies in jenem Land, in welchem die „Berner Konvention“ zum Schutz bedrohter Wildtiere unterzeichnet wurde. Vernunft ist eine wertvolle Gabe: Wenn man die Koexistenz von Wolf, Menschen, Berglandwirtschaft und Almsömmerung von Nutztieren in den Alpen haben und absichern will, muss man meines Erachtens den Wolf regulieren.
Zusätzlich wurde in Graubünden ein Wolf am 13.1.2024 wegen Krankheit oder Verletzung abgeschossen. Am 23.10.2024 ist ein weiterer Wolf durch einen Verkehrsunfall zu Tode gekommen.
Die Erhebung der Nutztierrisse durch Wölfe ergab für den Kanton Graubünden im Jahr 2024 insgesamt 206 tote Ziegen und Schafe und 4 Rinder.
In Graubünden können Bauern, Tierhalter und Imker den Aufenthaltsort der Großraubtiere Braunbär, Luchs, Wolf und Gold-schakal mittels App vom kantonalen Amt für Jagd und Fischerei in Echtzeit an ihrem Mobiltelefon abrufen.
Der besenderte Jungwolf M237 aus dem Rudel Stagias hat die längste bekannte Wolfswanderung Mitteleuropas zurückgelegt. Er wanderte im Sommer 2022 ab und legte rund 1.900 km über Österreich, Ungarn bis beinahe zur Slowakischen Landesgrenze zurück, wo er Anfang April 2023 tot aufgefunden wurde. Die ungarische Polizei konnte Wilderei bestätigen und die Verantwortlichen überführen.
Der Wolfbestand in Österreich und in Europa
In der Nachrichten-Sendung „Zeit im Bild“ vom österreichischen Fernsehen ORF II vom Dienstag, 3.12.2024 wurde der derzeitige Wolfbestand in Europa mit 23.000 Tieren angegeben, davon 800 in Skandinavien und 104 in Österreich.
Aufgrund der Wanderungs- und Ausbreitungstendenz der Wölfe könnten die Zentralalpen der Begegnungspunkt der dinarischen Wölfe aus dem Balkan und der Apenninen-Wölfe aus Italien werden.