Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Leonhard, 6. November 2024
Vom 21. Oktober bis zum 1. November 2024 fand in Cali in Kolumbien die 16. Biodiversitätskonferenz COP 16 statt. COP steht für „Conference of the Parties“. Das Treffen stand unter dem Motto „Frieden mit der Natur“ (Paz con la Naturaleza). Kolumbien gilt als Hotspot der Bio-diversität. Es ist eine Region Lateinamerikas, in der eine große Zahl an endemischen Pflanzen- und Tierarten vorkommt, die zugleich in besonderer Weise bedroht sind. An der Konferenz nahmen die 196 Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) teil. Zudem waren Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft anwesend. Zu letzteren Vertretern zählen Nichtregierungsorganisationen sowie indigene Völker und lokale Gemeinschaften. Die CBD ist das wichtigste multilaterale Vertragswerk für den Erhalt der Biodiversität auf der Erde.
Was sind die Ziele der CBD COP 16?
Die letzte Biodiversitätskonferenz COP 15 hatte 2022 in Montreal stattgefunden. Dieses Treffen galt seinerzeit als bahnbrechend, unter anderem, weil dort 23 konkrete Ziele zum Erhalt der Biodiversität verabschiedet worden waren. Für die Konferenz von Cali waren alle Staaten aufgefordert worden, das Rahmenabkommen von Montreal 2022 und die darin enthaltenen Ziele in nationale Strategien zum Erhalt der Biodiversität und Aktionspläne zu überführen und beim Sekretariat der Konvention zur Biodiversität zu hinterlegen. Das ist bisher nur zum Teil geschehen.
Wie sah die Agenda der COP 16 in Cali aus?
In Cali verhandelte die Staatengemeinschaft über zahlreiche Themen, die für den Erhalt der Biodiversität relevant sind. So ging es z.B. um den effektiven und gerechten Schutz, um den Erhalt der Biodiversität in produktiven Sektoren wie der Land- und Forstwirtschaft oder der Fischerei. Zentral war dann auch die Bewertung der Fortschritte in den Vertragsstaaten zum Erhalt der Biodiversität. Oder die Beantwortung von Fragen zum Monitoring der Biodiversität. Bedeutsam war auch die Schätzung des Investitionsbedarfes für den Schutz und die Erhaltung der Natur: Der Bedarf an Finanzmitteln hierzu liegt bei 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Von dieser Summe sind derzeit nur rund 120 Milliarden abgedeckt.
Warum ist die UN-Biodiversitätskonferenz wichtig?
In unserer Jetztzeit, die schon als Anthropozän – als Menschenzeitalter – bezeichnet wird, erleben wir eine tiefgreifende Umgestaltung der Natur. Jede achte Art an Pflanzen und Tieren ist vom Aussterben bedroht. Die Aussterbensrate liegt heute mindestens 10-100mal höher als in den letzten 100 Millionen Jahren. Wissenschaftler sprechen deswegen vom sechsten Massensterben. Der Weltbiodiversitätsbericht von 2019 ist ernüchternd: Rund eine Million Arten weltweit sind vom Aussterben bedroht. So sind z. B. mehr als 40 % der Amphibien, fast 33 % der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller Säugetiere vom Aussterben bedroht. Mindestens 680 Arten von Wirbeltieren sind seit 1500 bereits für immer verloren gegangen. Drei Viertel der Landfläche und 66 % der Ozeane sind laut dem Weltbiodiversitätsrat IPBES „signifikant verändert“ und 85 % der Feuchtgebiete „bereits verloren“.
Ohne Gegenmaßnahmen geht unsere natürliche Lebensgrundlage in rasender Geschwindigkeit verloren. Die Natur selbst wird auch mit weniger Vielfalt auskommen, wir Menschen aber nicht. Die Natur versorgt uns mit fast allem, was wir für unsere Existenz brauchen, vom Trinkwasser über die Nahrung bis zur Kleidung und zu Medikamenten.
Welche Folgen hat der Verlust an Biodiversität für den Menschen?
Was die Natur in verschiedenster Weise für uns Menschen bereithält, nennt man Ökosystemleistungen. Solche Ökosystemleistungen gibt es als Ressourcen in materieller Form oder als regulierende Beiträge, zum Beispiel durch Blütenbestäubung und Samenverbreitung, als Speicherung des klimaschädlichen Kohlendioxids oder der Filterung von Luft. Immaterielle Leistungen der Natur sind dann auch unsere körperliche und seelische Erholung. Alle diese Leistungen kann die Natur umso besser erbringen, je größer der Genpool, je vielfältiger die Arten und je gesünder die Lebensräume sind. Schrumpft die Artenvielfalt, gerät unsere Lebensgrundlage in Gefahr.
Welche Rolle spielen Naturschutzgebiete für die Artenvielfalt?
Naturschutzgebiete helfen, Ökosysteme zu schützen und Arten zu erhalten. Bestände können sich nur erholen, wenn sie in Ruhe gelassen werden. Die alte Vorstellung vom Naturschutz als Festung (sogenannte „fortress conservation“) gilt als überholt. Bei diesem Ansatz waren Naturschutzgebiete gegen die Außenwelt abgeschottet. Im Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man Naturschutz nur mit den Menschen vor Ort, insbesondere mit den indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften umsetzen kann. Sonst kommt es zu Konflikten und Wilderei. Indigene Völker haben im globalen Biodiversitätsrahmen ihre Recht und ihren Bedarf stärker durchsetzen können und waren in Cali eine wichtige, anerkannte Interessensgruppe.
Wie steht es um die Biodiversität in Südtirol?
Von den naturräumlichen Gegebenheiten her ist die Biodiversität in Südtirol vergleichsweise hoch, weil wegen der unterschiedlichen Höhenlagen, des Geländerelief, der Standortfaktoren und der Klimaverhältnisse auf kleinem Raum eine große Vielfalt an Arten und Lebensräumen vorkommt. Dies darf aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch bei uns die Artenvielfalt gefährdet ist. Die Hauptursachen für den Verlust an Biodiversität in Südtirol sind wie andernorts auch der Klimawandel und die Art der Landnutzung. Der wachsende Flächenbedarf für Siedlungen und Infrastrukturen sorgt für einen Verlust an ökologisch wertvollen Lebensräumen. Für den Erhalt der Artenvielfalt besonders schädlich sind flächen- und ressourcenintensive Eingriffe für touristische Infrastrukturen im subalpinen Raum als der Übergangszone zwischen der oberen Waldgrenze und der baumfreien alpinen Höhenstufe darüber. Diese Eingriffe beeinträchtigen vor allem auch die Vogelfauna der Raufußhühner wie Auerhuhn, Birkhuhn und Schneehuhn. Zur Schutzfunktion des Bergwaldes hat der Forstinspektor Dr. Georg Pircher in seinem informativen Vortrag über den Dauerstress für unseren Wald in Prad am 25. Oktober dargelegt, dass der Waldboden das Wasser nach einem Versuch mit Starkberegnung zu 100 % zurückhält, während bei gleichen Versuchsbedingungen von einer Skipiste 65 % Wasser oberflächlich abfließen. Solche wissenschaftlich untermauerten Tatsachen sind in Zeiten, in denen sich Extremwetterereignisse infolge des Klimawandels häufen und sich die Gefahrenzonen flächenmäßig ausdehnen, immer relevanter.
Für Südtirol werden insgesamt ca. 30.000 Tierarten geschätzt. Bei den Pflanzen gibt es in Südtirol fast 2.600 Arten, Davon werden knapp 500 Arten als Neophyten (gebietsfremde Arten und Einwanderer) bezeichnet. Die meisten Arten dieser Neophyten sind harmlos, aber einige können erhebliche Schwierigkeiten verursachen. Als Beispiel sei hier nur das Südafrikanische Greiskraut (Senecio inaequidens) am Vinschgauer Sonnenberg genannt. Für die gebietsfremden Tierarten (Neozoon) in Südtirol gibt es derzeit keine Zahlenangaben.
In den landwirtschaftlichen Kulturflächen Südtirols ist die biologische Vielfalt infolge der intensiven Nutzung stark geschrumpft. Von vielen Lebensräumen gibt es nur noch kleine Restflächen. Sie sind zudem oft verinselt und es findet zwischen diesen Lebensrauminseln nur wenig Austausch zwischen den Pflanzen- und Tierpopulationen statt.