Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Thomas von Aquin, 28. Jänner 2023
Skepsis ist besonders in Zeiten der Nachrichtenflut an sich eine gute Sache. Ein Mehr an Skepsis hätte in der Geschichte etwa des 20. Jahrhunderts vielleicht Hitler und den Holocaust verhindert. Im Skeptizismus geht es nicht darum, etwas strikt abzulehnen, sondern Aussagen so lange zu hinterfragen, bis sie widerlegt oder allerletzte Zweifel ausgeräumt sind. So ist Skepsis das wichtigste Werkzeug seriöser Forschung. Jede Erkenntnis ist durch persönliche und subjektive Wahrnehmung begrenzt. Selbst Naturgesetze sind streng genommen nur darum Gesetze, weil sämtliche Beobachtungen ihre Gültigkeit bestätigen. Von Albert Einstein stammt der Satz „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Mittlerweile gilt ein unendliches Universum als wissenschaftlich konsolidierte Erkenntnis. Im Gegensatz zum Glauben gründet Wissenschaft darauf, Sachverhalte durch fortlaufende Beobachtungen, Experimente, Hochrechnungen und Neubewertungen so zu untermauern, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit als geklärt gelten. Insbesondere die Klimaforschung, die wie kaum eine andere Wissenschaft diskreditiert wird, nimmt diese Aufgabe des Hinterfragens überaus ernst. Der menschlich bedingte Klimawandel gilt als faktisch belegt, dennoch ist es gut, kritisch zu bleiben. Allerdings entscheiden viele selbsternannte Klimaskeptiker, die Idee eines menschengemachten Klimawandels trotz aller Beweis doch eher abzulehnen. „Damit werden sie (allzuleicht) zu Klimaleugnern. Und sind Argumenten nicht länger zugänglich. Klimaleugner sind zu einer regelrechten Branche zusammengewachsen, einer Lügner-Industrie, in der Blogger, erzkonservative Thinktanks (Denkfabriken), Wirtschaftslobbyisten und bezahlte Gegenexperten bienenfleißig am Mythos der Klimalüge basteln“. Diese scharfe Formulierung wählt Frank Schätzing in seinem Bestseller-Sachbuch „Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handel in der Klimakrise“ (Verlag Kiepenheuer und Witsch 2022).
Klimaleugner
„Das Nicht-wahrhaben-Wollen der faktenstrotzenden Wirklichkeit hindert Generäle, ihre Chancen realistisch einzuschätzen, Politiker, Niederlagen zu akzeptieren, Kreationisten, der Vorstellung Raum zu geben, Menschen und Saurier seien nicht Seite an Seite übers Erdenrund geschritten, hindert Kirchenobere daran, Männer und Frauen, Heteros, Transgender, Lesben und Schwule als Gleiche unter Gleichen zu akzeptieren und sexuellen Missbrauch aufzuarbeiten. Es gibt Menschen, die leugnen um des Leugnens willen: den Holocaust, den Klimawandel, Corona, die Mondlandung…“ (Frank Schätzing, S. 183). Klimaleugner nennen sich gerne Skeptiker. Tatsächlich sind sie das genaue Gegenteil. Der Skeptiker sucht Wahrheit. Der Klimaleugner arbeitet der Wahrheitsfindung entgegen. Und das macht ihn gefährlich. Denn dabei richtet er beträchtlichen Schaden an. Nicht nur leugnet er den anthropogenen Klimawandel, er verbreitet zudem Fake News, verzerrt Forschungsergebnisse und hintertreibt Bemühungen, künftige Generationen zu schützen.
Das Reptilienhirn
Obwohl viele Erkenntnisse zum Klimawandel durch wissenschaftliche Daten längst abgesichert sind, zögern wir als Einzelindividuen der Säuger Homo sapiens, als menschliche Gemeinschaft im Großen der Weltgemeinschaft und die Politiker als Entscheidungsträger noch in viel zu vielen Ländern mit der Umsetzung von Maßnahmen, Taten und Verhaltensänderungen, um entschieden genug gegen die Klimakatastrophe vorzugehen. Von den 198 Unterzeichnerstaaten des Klimaabkommens von Paris 2015 hat bisher kein einziges Land das Ziel erreicht, die Erderwärmung auf +1,5° C einzugrenzen. Eine nicht uninteressante Erklärung unseres zögerlichen Verhaltens liegt in der evolutionären Entwicklung unseres menschlichen Gehirns begründet. Der evolutionär älteste Teil unseres Gehirns ist 500 Millionen Jahre alt und kennzeichnet sämtliche Wirbeltiere von den Kriechtieren bis zu den Säugern: das Reptiliengehirn. Dieses Reptiliengehirn, besser bekannt unter dem Namen Stammhirn, verhilft uns nicht zum Lesen und Schreiben. Dafür aber regelt es verlässlich vitale Grundfundfunktionen wie Herzschlag, Atmung, Nahrungsaufnahme, Verdauung. Das Stammhirn kann unfassbar vieles gleichzeitig. Es ist die perfekte Steuerungsanlage für Tausende automatisierter Prozesse und verfügt über drei Notfallknöpfe: Erstarren, Flucht und Kampf. Das Stammhirn reagiert auf Sinneseindrücke. Wittert oder sieht es Nahrung, lautet sein Kommando: Jagen, Fressen. Ganz oben auf seiner Prioritätenliste steht, sich unmittelbare Vorteile zu verschaffen. Nicht durch Verhandeln, sondern durch Zuschlagen. Im evolutionären Überlebenskampf haben wir als Spezies Homo sapiens von diesen Instinktreaktionen profitiert. Andererseits drängt sich das Reptil in uns oft in den Vordergrund, wenn wir es am wenigsten gebrauchen können. Etwa, wenn es darum geht, unser persönliches Handeln weitsichtig auf die Bedürfnisse der Allgemeinheit abzustimmen, Ressourcen zu schonen und kurzfristige Vorteile gegen langfristig negative Folgen abzuwägen. Darum haben wir eine Klimakrise, hatten wir den Kolonialismus oder führten und führen Kriege. „Wir können nicht ändern wer wir sind. Aber wir können unser Verhalten zum Besseren wenden, wenn wir verstehen, warum wir sind, wer wir sind.“ (Frank Schätzing)