„I honn olm lei mea greart…“

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Lisl Thöni Gostner, geb. 1948 in Prämajur, wohnhaft in Schluderns: „Es isch schun interessant, dass i noch 60 Johr in Pustertol oane find, dia mit miar in der Kolonie „12 Stelle“ in Cesanatico gwesn isch.“ Lisl Thöni Gostner, geb. 1948 in Prämajur, wohnhaft in Schluderns: „Es isch schun interessant, dass i noch 60 Johr in Pustertol oane find, dia mit miar in der Kolonie „12 Stelle“ in Cesanatico gwesn isch.“

Im Herbst 2020 stieß Lisl Thöni während ihres Aufenthalts als Häuserin bei Pfarrer Paul Schwienbacher in Welsberg auf eine Publikation mit Lebensgeschichten von dortigen Seniorinnen und Senioren. Dabei erwachten eigene Erinnerungen an ihr Schuljahr 1959/60 in der Kolonie „12 Stelle“ in Cesenatico. Es sind Erinnerungen an ihr großes Heimweh.

von Magdalena Dietl Sapelza

Es war Ende September 1959. Weinend winkte die 11-jährige Lisl ihrer Mutter nach, als sich der Zug in Bozen in Bewegung setzte. Neben saßen ihr 12-jähriger Bruder und andere Kinder. Das Ziel war die Kolonie „12 Stelle“ in Cesenatico, wo der Beginn eines neuen Schuljahres anstand. Die Organisation „Pontifica Opera di Assistenza“ bot Kindern aus schwächer bemittelten Familien den Schulaufenthalt am Meer an. Jene aus Südtirol wurden von Südtiroler Lehrerinnen in Deutsch unterrichtet. „Di Muatr hot gmoant, miar learnen a Italienisch, obr mit sel isch lai nicht gweesn“, betont Lisl. Denn mit italienischen Kindern kamen sie kaum in Kontakt. Das Kolonie-Gebäude bot Platz für 400 Kinder. Lisl teilte sich den Schlafsaal mit 20 Mädchen. Ihre Wäschestücke trugen die Nummer 133. Das Heimweh zerfraß sie. Ihren Bruder sah sie kaum, da Mädchen und Buben getrennt waren. „I hon olm lei mea greart, weils miar asou verdrossn hot“ erinnert sie sich. Acht Monate lang gab‘s keinen Besuch, kein Telefonat. Nur einmal im Monat durfte sie einen Brief schreiben, der eine Zensur passieren musste. „Ma hot jo nit jammern terft“, sagt sie. Es herrschte eine strenge Hausordnung mit minuziös geplanten Abläufen, von der täglichen Schulmesse, dem Unterricht, dem Studium bis hin zur Nachtruhe. Strandspaziergänge liefen nach militärischem Drill. Es war verboten, ins Wasser zu steigen. „Bodeounzug hoobm miar nia koan braucht“,so Lisl. Nur wenige Kinder durften der großen Madonna-Statue, die ein Stück draußen im seichten Wasser stand, barfuß ein Brieflein zustecken. Im Mai 1960 linderte sich das Heimweh, weil die Heimfahrt bevorstand. Glücklich war Lisl, als sie im Juni den Heimathof auf Prämajur erreichte.
Dort war sie als Jüngste mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Dort hatte sie die Bergschule besucht und war froh, dass sie die Pflichtschulzeit dort nun abschließen konnte. Ihre Welt war wieder in Ordnung. Dann starb im November der Vater, und alle waren gefordert anzupacken. Sie unterstützte ihre Mutter und ihren ältesten Bruder, der nun die Geschicke lenken musste. Erst als 19-Jährige konnte sie sich ihr erstes Geld als Serviererin in der Schweiz verdienen, zuerst in Samedan und dann in Thusis im „Hotel Adler“. Dort kehrten oft Vinschger ein. Einer davon war Oskar Gostner aus Lichtenberg. Er war in der Nähe als Waldarbeiter beschäftigt. Kennengelernt hatte sie ihn bereits früher auf der Alm bei Prämajur, wo er als Senner tätig gewesen war. Lisl und Oskar kamen sich näher. Am 14. November 1969 heirateten sie und bezogen eine Wohnung in Prad. Oskar fand dort eine Anstellung als Lastwagenfahrer und Lisl umsorgte schon bald ihr erstes Kind. Trotz aller Fürsorge erkrankte das Mädchen. Es litt an Atembeschwerden und starb schließlich im Alter von sieben Monaten im Krankenhaus von Schlanders. „Es isch inser erster Hoazattog gwesn“, sagt Lisl. „Miar hoobm dein Tog drnoch nia mea gfeiert“.
Das Glück kehrte zurück als ein Jahr darauf ein Bub in der Wiege lag und später noch eine Tochter und ein weiterer Sohn. Ihr Mann arbeitete mittlerweile als SAD-Fahrer, Lisl war Mutter und Hausfrau. Die Jahre vergingen. Die Kinder wurden flügge und Lisl umsorgte schon bald ihre ersten Enkelkinder. Um ihnen nahe zu sein, bezog sie mit ihrem Mann ein Haus neben dem ihrer Tochter in Schluderns. Oskar freute sich darauf, dort seinen Ruhestand genießen zu können. Doch er erkrankte schwer und starb 2008. Daraufhin zog ihr jüngster Sohn mit seiner Familie zu Lisl ins Haus.
Lisl ist humorvoll, kontaktfreudig und gesellig. Sie genießt Spaziergänge, Bergwanderungen und besonders das Kartenspiel. Bei den wöchentlichen Watt-Partien traf sie sich immer auch mit dem Ortspfarrer Paul. Als dieser im Herbst 2020 nach Welsberg zog, half sie ihm spontan beim Übersiedeln. Sie putzte, räumte ein und führte ihm den Haushalt mehrere Wochen lang, bis eine Zugehfrau ihren Dienst antreten konnte. „Deis isch a wunderscheane Zeit gwesn, dia i nia missn möcht“, schwärmt Lisl. Zu Weihnachten 2020 half sie erneut aus. Denn wenn der Pfarrer Paul sie braucht, ist sie jederzeit bereit ihm zu helfen. Auch Welsberg gefällt ihr gut. „Di Leit sain so nett, und olz isch schean“, betont sie. Fest vorgenommen hat sie sich, ihre ehemalige Mitschülerin in der Kolonie „12 Stelle“ zu besuchen, um mit ihr die Erinnerungen an die Schulzeit am Meer auszutauschen.

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