Wenn am Pfingstmontag, den 29. Mai 2023 die Gläubigen beim Vorbeiziehen am ehemaligen Bierkeller in der Prater Schmelz den Klang der kleinen Glocke vernommen haben, so sollte in Ihnen die Erinnerung an einen bedeutenden Tag vor 200 Jahren wach werden.
von Arthur Gfrei
Am Pfingstmontag, den 19. Mai 1823, begann man hier mit dem Bau des Tiroler Abschnittes des großartigsten architektonischen Bauwerkes der Alpen. Die kleine Glocke wurde 1834 von dem damaligen Besitzer der „Karnerschen Buschenschenke“, Anton Karner, an Giorgio Pruneri aus Grosio in Auftrag gegeben, er machte auch die Sturmglocken für die Straßenwärterhäuser entlang der Route. Etwas über 2000 Arbeiter aus der Lombardei, dem Piemont und anderen Provinzen waren für diese Arbeit in den Vinschgau gekommen und hatten ein Tal mit verarmter Bevölkerung überschwemmt. Der Bau des Veltliner Abschnittes von Bormio bis zum Joch war zu diesem Zeitpunkt bereits mit jedem Fuhrwerk befahrbar. Den Auftrag zum Straßenbau aus strategisch militärischen Gründen hatte der österreichische Kaiser Franz I. im Herbst 1817 erteilt. Er übertrug seinem Bruder, Vizekönig Erzherzog Rainer und dessen Technikern in Mailand die volle Handlungsfreiheit.
Die Geschichte dies Straßenbaues begann schon früher. Nachdem für die Franzosen und Bayern am Stilfserjoch die gemeinsame Grenze anfing, schlossen sie unter Napoleons Führung einen Handelsvertrag ab, welcher neue Handelsstraßen vorsah. Dies geschah im Tiroler Schicksalsjahr 1809. Der fähige und ortskundige Ingenieur Filippo Ferranti wurde mit der Planung auf lombardischer Seite beauftragt. Im September 1812 konnte er, nach monatelangen Untersuchungen und bei schlechtester Witterung, ausgestattet mit einer kleinen Zeltplane die Vermessungen von Bormio bis zum Joch, welches die Italiener „Giogo dello Stelvio“ und die Tiroler Trafuier Joch nannten, abschließen. Er legte einen detaillierten Plan mit Kostenberechnung für einen Karrenweg mit maximal vier Meter Breite und Steigungen bis zu 14 % vor. Die Kosten für den Bau waren den Auftraggebern zu hoch und Ferranti musste einige neue Berechnungen erstellen. In der Zwischenzeit hatten sich die politischen Vorgaben geändert. Ab 1815 kamen die Habsburger in den Besitz der Lombardei. Für sie stellte diese Verbindung eine andere Notwendigkeit dar. Sie befürchteten einen neuerlichen Einfall der Franzosen aus dem Piemont und benötigten eine sichere Heeresstraße nördlich der Lombardei. Der einzige dafür geeignete Weg ging über das Veltlin. Dabei blieb ihnen nur die ungünstigste Route über das Stilfser Joch übrig. Die Schweizer lehnten einen Tausch von Livigno mit dem Müstair-Tal oder den Verkauf eines Teiles des Tales ab. Damit hätte man die seit Jahrhunderten benutzten unproblematischeren Strecken über das Fraele Tal und Val Mora oder über das Wormser Joch (Umbrail) ausbauen können.
Eine erste Planung erfolgte durch den leitenden Ingenieur von Sondrio, Giuseppe Cusi, welcher ein lückenhaftes Projekt vorlegte. Ihm wurde die Arbeit entzogen und an den Ingenieur Carlo Donegani übergeben, dieser hatte bereits die Planung für den Bau der Straße über den Splügenpass in Arbeit. Donegani legte im Frühjahr 1819 ein vollständiges Projekt vor, in welchem er auf Veltliner Seite weitgehend die Vermessungen vom Ingenieur Ferranti übernahm. Auf dem Tiroler Abhang hatte er mehrere Abschnitte untersucht und für die Verwirklichung letztendlich den direkten Abstieg vom Joch nach Trafoi gewählt. Diese Strecke sah in der ersten Planung 61 Spitzkehren vor, welche zum größten Teil im oberen vom Joch abfallenden Hang errichtet werden sollten, um den Lawinengefahren auszuweichen. Der Mangel an geeigneten Steinen für die Stützmauern veranlasste ihn, die Straßenstücke in die Länge zu ziehen. Damit konnte er 13 Kehren vermeiden.
Die vorgesehene Bauzeit für die fast 50 km lange und über 1800 Höhenmeter aufweisende Strecke durfte fünf Jahre nicht überschreiten. Die Straßenbreite wurde mit fünf Meter und die maximale Steigung mit neun Prozent festgelegt. Die Arbeiten wurden in mehrere Abschnitte aufgeteilt. Jeder Abhang wurde in Mailand getrennt versteigert. Sieger blieben drei Unternehmer, welche für die Veltliner Strecke einen Abschlag von 1,97 Prozent und für die Tiroler Seite 20,72 Prozent gewährten. Im Vertrag mussten sie sich verpflichten, mit dem Bau die neunjährige Erhaltung der Straße zu einem festgelegten Preis durchzuführen. Die Gesamtkosten betrugen 2.027.180 Lire.
Nach acht Monaten Bauzeit war die Strecke bis zum Joch behelfsmäßig befahrbar. Dem Straßenbau standen die Tiroler Techniker und Teile der Bevölkerung in Tirol mit Ablehnung gegenüber. Selbst die lokalen Priester mischten sich ein und erwirkten die „Abschaffung“ der an der Straße beteiligten Weiber. In Prad kam es zu einem tödlichen Ereignis beim Arrest eines Arbeiters durch die lokale Sicherheitstruppe.
Während der Verwirklichung entwickelte sich ein Streit, angezettelt vom Adjunkten der Tiroler Baudirektion mit den Mailänder Verantwortlichen. Duile sagte einen baldigen Zerfall voraus, auch stellte er die Fähigkeiten der italienischen Ingenieure insgesamt infrage. Zudem verlangte er, dass der jährliche Unterhalt an Innsbruck übertragen würde. Nachdem er mit seinen Klagen bis zum Kaiser vorgedrungen war, wurde von diesem eine genaue Kontrolle aller Arbeiten gefordert. Es kam zu mehreren Untersuchungen, bei welchen sich herausstellte, dass sämtliche im Projekt geforderten Auflagen erfüllt wurden. Die Straße wurde im Oktober 1825 von der zuständigen Kommission aus Mailand abgenommen.
In der Ausführungsphase mussten am Originalprojekt viele Änderungen vorgenommen werden. Nach der Fertigstellung der Straße kam es zu zusätzlichen kostspieligen Sicherungsarbeiten gegen Lawinenabgänge und Hangrutschungen. Sogar zwei Varianten von Scheiteltunnels wurden geplant und dann wegen der zu langen Bauzeit verworfen. Die vorgesehenen Spesen für die Winteröffnung überstiegen alle Vorausberechnungen um ein Vielfaches. Dennoch blieb die Straße bis zu den italienischen Befreiungskriegen im Jahre 1848 fast durchgehend befahrbar. Der Mailänder (Metternichsche) Verwaltungsapparat verzögerte die Rechnungsbegleichungen immer wieder, sodass die Unternehmer einige Male zahlungsunfähig waren und den Auftrag auflösen wollten. Für die Unterkunft der Arbeiter, der Posthalter und der Reisenden wurden 15 Häuser errichtet. Die meisten davon wurden während ihres Bestandes durch Lawinenabgänge zerstört oder beschädigt. Das erste große Unglück geschah am 30. November 1825, als das Posthaus auf den Wendeln von einer Lawine weggerissen wurde. In den Trümmern starben der Postmeister Christian Kössler aus Stilfs und sein Gehilfe. Ein ähnliches Schicksal traf ein Rotterhaus auf der Spondalunga.
Die gesamte Baugeschichte der Straße mit Plänen und Kostenrechnungen, vielen kleine Geschichten rund um den Übergang, bis zum Jahre 1866 werden im neuerschienenen Buch „Die Stilfser Joch Straße“ von Arthur Gfrei ausführlich geschildert.
Arthur Gfrei, Die Stilfser-Joch-Straße
Hardcover, Athesiaverlag, 432 Seiten
45 Euro, ISBN 978-88-6839-613-8
STRADA DEL PASSO DELLO STELVIO
Il lunedì di Pentecoste, 19 maggio 1823, iniziò la costruzione della sezione tirolese della più grandiosa struttura architettonica delle Alpi. Poco più di 2000 operai provenienti dalla Lombardia, dal Piemonte e da altre province erano giunti in Val Venosta per questi lavori, inondando una valle con una popolazione impoverita. La costruzione del tratto valtellinese da Bormio allo Joch era già percorribile. L'ordine di costruire la strada per motivi militari strategici era stato dato dall'imperatore austriaco Francesco I nell'autunno del 1817.