Spezial-Bauen: „Wir müssen mehr Wert auf Fachkompetenz und auf gute Architektur legen“

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Markus Gerstgrasser, Studium der Architektur an der Universität in Innsbruck und der Technischen Universität in Berlin, Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in Innsbruck, Berlin und Südtirol Führung und Umsetzung zahlreicher Projekte mit dem Architekturbüro Gerstgrasser aus Naturns Markus Gerstgrasser, Studium der Architektur an der Universität in Innsbruck und der Technischen Universität in Berlin, Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in Innsbruck, Berlin und Südtirol Führung und Umsetzung zahlreicher Projekte mit dem Architekturbüro Gerstgrasser aus Naturns

Es ist lieb gewordene und gern gepflegte Tradition beim Vinschgerwind im Sonderthema „Bauen“ mit Vinschger Architekten ein Gespräch zu führen. Diese Interview-Reihe wird in dieser Wind-Ausgabe mit dem Architekten Markus Gerstgrasser aus Naturns fortgeführt. Wir haben mit ihm unter anderem über Nachhaltigkeit, Kompromisse und die Qualitäten als Architekt gesprochen.

Interview: Angelika Ploner, Eliah Fliri Transkription: Eliah Fliri

Vinschgerwind: Herr Gerstgrasser, es ist Tradition unsere Architekten-Interviews mit einer persönlichen Frage zu beginnen: Wie wohnen Sie selbst?
Markus Gerstgrasser (lacht): Das ist eine gute Frage. Ich bin gerade beim Umbauen, und es wird bald fertig werden. Wir haben den Bau in mehreren Bauphasen realisiert. Zuerst wurde die energetische Sanierung vom Bestandgebäude gemacht, die nächste Bauphase war das Aufstocken, im Zuge dessen meine Wohnung entstanden ist. Und die nächste Bauphase, die gerade noch läuft, ist der interne Umbau. Wir sprechen hier von einem Mehrgenerationenhaus in Naturns.

Vinschgerwind: Auf was haben Sie Wert gelegt? Was war Ihnen wichtig?
Markus Gerstgrasser: Wert gelegt haben wir auf jeden Fall auf den respektvollen Umgang mit dem Bestand, das heißt wir haben die bestehende Dachform mitaufgenommen. Diese passt zur ursprünglichen Architektur und zum Bestandsgebäude, das um das Jahr 1994 erbaut wurde. Zeitgemäße Materialien wurden verwendet und die Technik auf den neuesten Standard gebracht. Aber trotzdem ist der Charakter vom bestehenden Gebäude noch erkennbar und wird förmlich weitergeführt, es wurde also kein Stilbruch gemacht.

Vinschgerwind: Und innen?
Markus Gerstgrasser: Innen haben wir Wert auf eine klare Raumaufteilung gelegt. Helle und lichtdurchflutete Räume, Flexibilität beim Raumprogramm, ein klares Material- und Farbkonzept mit lokalen Materialien waren wichtig. Die Materialien wurden aufeinander abgestimmt, zum Beispiel Holz am Boden und an der Dachuntersicht. Ansonsten dominiert ein angenehmer und warmer Weißton mit gezielten Akzenten, mit Liebe für‘s Detail. Die Architektursprache ist relativ geradlinig und klar. Es wurde versucht mit drei Hauptmaterialien und drei Grundfarben zu arbeiten, um eine konsequente Architektursprache umzusetzen. Die Bäder wurden gesondert behandelt und geplant, um individuelle Räume zu schaffen, teilweise ausgekleidet mit Fliesen, zudem abgestimmte Wand- und Deckenfarben. Wichtig waren mir auch abwechslungsreiche Sichtbeziehungen in verschiedene Richtungen nach außen und innen, um Dialoge mit der Umgebung und dem Wohnraum herzustellen. Zentraler Dreh- und Angelpunkt ist eine offene und große Wohnküche mit flexibler Nutzung.


Vinschgerwind: Wie würden Sie Ihren Baustil beschreiben?
Markus Gerstgrasser: Das ist eine schwere Frage.

Ich würde eher sagen, dass man versuchen sollte jede Bauaufgabe individuell zu lösen, sich ein neues Konzept zu überlegen, sich den Bauplatz, die Umgebung, die Bauherrn, das Budget, die Zeit, die Bauaufgabe anzuschauen und dann versuchen eine gute Lösung mit einem individuellen Ansatz zu finden.

Vinschgerwind: Also gibt eigentlich die Bauaufgabe den Stil vor?
Markus Gerstgrasser: Ja, die Bauaufgabe aber auch die Umgebung, der Kontext, die Kultur, der Bauherr und auch das Klima. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich mich auf 2.000 Meter oder 200 Meter befinde. Und man muss auf den Bauherrn eingehen, also versuchen eine stimmige und individuelle Lösung zu finden.

Vinschgerwind: Apropos Klima, wie wichtig sind für Sie die Regionalität der Baustoffe und die Nachhaltigkeit beim Bauen?
Markus Gerstgrasser: Beides ist wichtig, in jeglicher Hinsicht. Der Umgang mit den Materialien, regionalen Materialien, ist wichtig. Er erfordert vom Planer als auch von den Handwerkern aber eine gewisse Erfahrung und Sensibilität.

Vinschgerwind: Anders gefragt: Muss in Zukunft mehr auf Regionalität geachtet werden?
Markus Gerstgrasser: Auf jeden Fall. Die Leute identifizieren sich auch wieder mehr mit Architektur, die Regionalität mitaufnimmt. Es sollte nicht eine Aller-Welts-Architektur entstehen, die überall auf der Welt stehen kann und somit austauschbar ist, sondern das Geplante sollte in den Kontext passen und im Dialog mit dem Umfeld stehen. Die Leute sollen sich damit identifizieren und darin wohlfühlen. In einer dörflichen Struktur z.B. sollte man anders bauen als in einer Großstadt.

Vinschgerwind: Bauen spielt bei der Nachhaltigkeitsdebatte eine große Rolle. Es geht um Baustoffe, Klimahaus, usw. Ihre Meinung: Sollte verstärkt der Fokus in diese Richtung gesetzt werden oder nicht?
Markus Gerstgrasser: Ich denke, wir sind schon auf einem guten Weg, den man noch weiter ausbauen könnte. Der Gesetzgeber gibt viele Rahmenbedingungen vor, weswegen man dementsprechend handeln muss. Die Tendenz geht schon in Richtung Nachhaltigkeit. Bei meinem Umbau Zuhause habe ich versucht die aktuellen technischen Möglichkeiten zu nutzen wie Wärmepumpe, Fotovoltaik, Batteriespeicher, Wärmedämmung usw., um nachhaltig bzw. energieeffizient zu wohnen.

Vinschgerwind: Stichwort Materialien. Haben Sie ein Lieblingsmaterial?
Markus Gerstgrasser: Nein, das würde ich nicht sagen. Ob Stahl, Beton, Holz, Glas - im Zusammenspiel der Materialien kann man immer gute Lösungen finden.

Vinschgerwind: Welche Voraussetzungen muss man als Architekt mitbringen?
Markus Gerstgrasser (lacht): Vielfältige Fähigkeiten sollte man an den Tag legen, am besten sollte man ein Allrounder sein.

Vinschgerwind: Heutzutage muss man als Architekt Ingenieur sein, Jurist…
Markus Gerstgrasser: Heutzutage nimmt die Gesetzeslage aufgrund der ständigen Änderungen und Unsicherheiten einen großen Raum ein. Trotzdem sollte man kreativ sein, Ausdauer an den Tag legen, technisches Verständnis und einen guten Umgang mit den Leuten pflegen.

s39 bautenVinschgerwind: Teilweise auch Psychologe sein...
Markus Gerstgrasser (lacht): Manchmal schon. Durchhaltevermögen ist sehr wichtig, weil sich ein Bau vom ersten Strich bis zur Eröffnung ziemlich in die Länge ziehen kann.

Vinschgerwind: Das erfordert Kompromissbereitschaft und gleichzeitig eine bestimmte Hartnäckigkeit.
Markus Gerstgrasser: Genau, da muss man abwiegen können, denn durch zu viele Kompromisse verwässert sich die Architektur, die Ästhetik, aber ganz stur sein, ist auch nicht immer zielführend.

Vinschgerwind: Also ein Allrounder?
Markus Gerstgrasser: Ist nicht falsch, denke ich. Aber bautechnisch sollte man schon wissen, was man tut.

Vinschgerwind: Sie zählen zur jungen Riege an Architekten im Vinschgau, wenn Sie Ihre Projekte oder Projekte junger Architekten mit jenen der Generation vor Ihnen vergleichen: Was hat sich verändert?
Markus Gerstgrasser: Ich denke die Ausbildung hat sich verändert. Vielleicht ist sie ein bisschen internationaler geworden. Die Digitalisierung ist auch ein wichtiger Punkt. Früher haben alle mit der Hand gezeichnet. Heute fehlt vielen die Übung dazu. Vieles wird mit dem Computer auch dreidimensional gezeichnet und entworfen. Es gibt neue Techniken und aufgrund der neuen Techniken und Programme kann man Gestaltungsprozesse abbilden, welche früher nicht möglich waren. Alles ist ein bisschen internationaler geworden, das kann man positiv und auch negativ sehen.


Vinschgerwind: Gibt es Unterschiede rein von der Ästhetik her?
Markus Gerstgrasser: Die Ästhetik ist moderner geworden, geradliniger, schlichter, weniger verspielt, vielleicht auch nüchterner.

Vinschgerwind: Glauben Sie, dass junge Architekten kompromissbereiter sein müssen als die Generation vor Ihnen? Dass Bauaufgaben auch komplexer geworden sind?

Markus Gerstgrasser: Ja, Partizipationsprozesse und Mitspracherechte verschiedener Akteure ist ein großes Thema, welches auch einige Chancen mit sich bringen kann. Gute Architektur war allerdings immer schon komplex. Heutzutage ist es möglicherweise komplexer, weil es mehr und schnellere Veränderungen gibt. Zudem werden viele Prozesse umfangreicher, langwieriger und rechtlich unklarer. Früher war relativ klar, was man rechtlich und urbanistisch darf und was nicht, heute ist relativ unklar, was man darf. Das ist für die Bauherrn bzw. alle Beteiligten nicht zuträglich.

Vinschgerwind: Die Arbeit von Architekten ist naturgemäß sichtbar und wird gerne kritisiert, wie geht man als Architekt mit Kritik um?
Markus Gerstgrasser: Ich denke, das hängt von der Art der Kritik ab. Konstruktive Kritik kann man gerne anbringen und man kann daraus lernen und beim nächsten Projekt die Fehler, die man vielleicht gemacht hat, ausbessern und etwas daraus lernen. Bei den anderen Arten von Kritik muss man einfach darüberstehen. Kritik gehört dazu. Jeder der etwas tut, Verantwortung übernimmt und etwas gestaltet, der setzt sich öffentlicher Diskussion aus. Viel hängt einfach von der Qualität der Kritik ab.

Vinschgerwind: Anderes Thema: Leistbares Wohnen, was wünschen Sie sich als Architekt von der Politik?
Markus Gerstgrasser: Mit diesem Thema haben wir uns viel auseinandergesetzt. Was ich mir persönlich wünsche, ist, dass die Bürokratie abgebaut wird. Ich glaube, auch in anderen Bereichen würden viele Leidtragende zustimmen. Es braucht schlanke und klare Prozesse, das gilt nicht nur für die Planer, sondern auch für die Verwaltung und für den Bauherr. Die Verhältnismäßigkeit des bürokratischen Aufwandes ist zwischen großen und kleineren Bauvorhaben einfach nicht gegeben. Das muss geändert werden. Das ist nicht zuträglich und schreckt viele ab. Wir müssen mehr Wert auf Fachkompetenz und auf gute Architektur legen, anstatt alles zu reglementieren und zu normieren.

Vinschgerwind: Sind die Baustoffpreise gesunken oder immer noch hoch?
Markus Gerstgrasser: Sie sind leicht gesunken, aber trotzdem immer noch hoch. Es ist schwer für alle Baustoffpreise zu sprechen aber jene, die starken Schwankungen ausgesetzt waren, sind leicht wieder gesunken bzw. die Preise haben sich „normalisiert“. Auf Vorkrisenniveau, also vor Corona-Niveau, kommen wir preislich wahrscheinlich nicht mehr zurück.

Vinschgerwind: Themenwechsel: Sie zeichnen auch für Machbarkeitsstudien verantwortlich. Machbarkeitsstudien landen aber oft in der Schublade und verstauben dort. Wie sinnvoll sind diese Ihrer Meinung nach.
Markus Gerstgrasser: Machbarkeitsstudien sind schon sinnvoll, weil es wichtig ist, dass man einen ersten Schritt macht, um etwas zu Papier zu bringen damit man eine visuelle Grundlage für eine Diskussion hat. Die Machbarkeitsstudie sollte auch einen Mehrwert bringen, indem gewisse Varianten verglichen werden können, um in einem zweiten Moment abschätzen zu können, ob diese machbar und sinnvoll sind oder nicht.

Vinschgerwind: Wenn Sie über Ihr Projekt-Portefeuille hinausblicken: Welcher Bau ist Ihrer Meinung nach im Vinschgau ein architektonischer Vorzeigebau?
Markus Gerstgrasser: Das ist eine schwierige Frage. Einen Bau rauszusuchen fällt mir schwer. Ich denke, es gibt viele gute Bauten mit hohem architektonischem Wert, die vielleicht nicht so in Erscheinung treten aber trotzdem Qualität haben, wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt. Historische Ortskerne zum Beispiel, die erhalten wurden, sind auch qualitativ hochwertig und ich denke die Leute schätzen das immer mehr. Die BASIS Vinschgau verfolgt ein interessantes Konzept. Man hat einen Bestandsbau adaptiert und flexibel nutzbar gemacht - für heute und auch in der Zukunft. Der Bau hat zwar einen historischen und politischen Beigeschmack, das Gesamtkonzept ist trotzdem vielversprechend. Man hat mit relativ geringem Aufwand und einer guten Idee versucht, etwas zu machen. Die Hülle wurde mehr oder weniger gelassen, sie erzählt eine Geschichte und ist flexibel nutzbar. Man hat sich nicht viel verbaut. In fünf oder in zehn Jahren könnte eine ganz andere Nutzung möglich sein.

Vinschgerwind: Hofstätten, Wohnhäuser, Bergbauernhöfe, Kindergärten, eine Brücke oder eine Kirche. Ihr Portefeuille kennt keine Lücken, kaum ein anderes Architekturbüro weist ein derartiges Spektrum auf, was würden Sie trotzdem gerne noch planen?
Markus Gerstgrasser: Im Prinzip hat jede Bauaufgabe ihren Reiz, wichtig sind auch die Umstände. Der Bauherr, die Bauzeit, wie sind die Rahmenbedingungen? Wenn diese gegeben sind und diese gut sind, ist eigentlich jede Bauaufgabe eine willkommene Herausforderung.

Vinschgerwind: Für Sie ist also jede Bauaufgabe gleich interessant?
Markus Gerstgrasser (lacht): Das sollte auch so sein, denn so ist man stets motiviert weiterzumachen.

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