Glas ist ein ganz besonderer Stoff. Glas ist lichtdurchlässig, aber auch zerbrechlich und damit ein Symbol für die Vergänglichkeit. Neben der Transparenz zeichnet sich Glas durch seine Natürlichkeit aus. Es besteht aus Quarzsand, Soda und Kalk, hat eine hohe Belastbarkeit und ist mit anderen Materialien gut kombinierbar. Glas hat eine große Temperaturstabilität und ist ein nachhaltiges, umweltfreundliches Material, das sich leicht wiederverwerten lässt. Das Licht, das durch die bemalten Kirchenfester der gotischen Kathedralen strömt, verwandelt die Innenräume in magische, paradiesische Orte. Glas und Glasverarbeitung ist verbunden mit Geheimnissen, besonderen Techniken und einem besonderen Zauber. In den Glashütten von Murano, einer Inselgruppe nördlich von Venedig, wurde das Geheimnis ihrer Kunst gehütet. Wer diese Geheimnisse verraten hatte, wurde mit dem Tode bestraft. Das Geheimnis der venezianischen Glaskunst ließ sich aber trotz aller Drohungen nicht verbergen. Glasmacher aus Murano versuchte ihr Glück jenseits der Alpen, gründeten Glashütten und arbeiteten weiter im venezianischen Stil. Das böhmische Glas stellte in der Barockzeit die legendäre venezianische Produktion in den Schatten und wurde zum Spitzenprodukt in Europa. Heute wird Glas in Großindustrien durch Pressen, Blasen, Schleudern, Spinnen, Walzen und Ziehen der Glasschmelze geformt und vielfältig verwendet: im Haushalt, in der Technik, in der Architektur und in der Kunst.
Glas hat eine lange Geschichte
Seit mehr als 5000 Jahren kann der Mensch Glas herstellen. Doch schon vorher gab es Glas. Es entsteht auf natürliche Weise, wenn durch große Hitze Quarzsand geschmolzen wird, zum Beispiel durch Vulkane oder Blitzeinschläge über sandigen Gebieten. Steinzeitmenschen benutzten Glas als Schneidewerkzeug. Die Wiege des Glashandwerks stand vermutlich im Vorderen Orient. Von dort stammen die frühesten Funde aus der Zeit um 3500 vor Christus. Die Zusammensetzung der Rohstoffe für die Glasherstellung hinterließ der assyrische König Ashurbanipal bereits auf einer Tontafel um 650 vor Christus: „Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen, 5 Teile Kreide – und du erhältst Glas.“ Sand, Kalk, Soda und Pottasche hieß die Rezeptur später. Die chemischen Bestandteile waren im Prinzip gleich. Bei 1400 Grad Celsius schmelzen sie zu Glas. Eine technische Revolution war um 200 vor Christus die Erfindung der Glasmacherpfeife in Syrien. Damit ließen sich nun die aufwändigsten Formen gestalten. Carl Zeiss schuf in Jena die Grundlagen der modernen Optik für viele wissenschaftliche Instrumente. In der 1847 gegründeten Firma Carl Zeiss wurden Mikroskope in einer bis dahin nie gekannten Qualität hergestellt. Die Stadt Jena wurden binnen kürzester Zeit zum wichtigsten Standort für die Produktion optischer Gläser. Die Erzeugung von Brillengläsern in dieser Zeit hat das Sehen und damit die Lebensqualität vieler Menschen enorm verbessert. Die Glasmalerei hat einen besonderen Stellenwert in der Malerei, denn keine andere Maltechnik kann eine so hohe Farbleuchtkraft und so große Helligkeitsunterschiede zeigen wie ein durchsichtiges Glasbild. Die Farbenpracht erzeugt eine mystische Stimmung und wird deshalb überwiegend im sakralen Bereich verwendet. Der Ursprung der Glasmalerei liegt in Persien. Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. setzten die Römer in ihren Thermen Glasscheiben und Glasmosaiken ein. Auch in den Häusern der Reichen gab es schon Glasfenster. Die ältesten erhaltenen Buntglasfenster in Zentralfrankreich befinden sich im romanischen Langhaus der Kathedrale von Le Mans um 1120 und in der Westfassade der Kathedrale von Chartres um 1150. Als die größte Blütezeit mittelalterlicher Glasmalerei gilt die Gotik, insbesondere in den französischen Kathedralen. Ein wichtiges Beispiel: die Kathedrale Notre-Dame de Paris, ein Symbol Frankreichs, zwischen 1163 und 1345 errichtet. Nach dem Dachstuhlbrand vom 15. April 2019 konnte sie nach einer 5-jährigen Restaurierung am 7. Dezember 2024 wieder eröffnet werden. Nun strahlt sie wieder in neuer Schönheit, genauso wie ihre alten, bunt bemalten Glasfenster. Es gibt auch sehr beeindruckende moderne Kirchenfenster z.B. von Marc Chagall und Gerhard Richter.
Die Glaskünstlerin Helene Pobitzer aus Schlanders
Die Künstler und Künstlerinnen im Vinschgau arbeiten vor allem mit Holz, Metallen und Stein, besonders mit Marmor bzw. sind in erster Linie Maler und Zeichner. Der Umgang mit Glas und der Glasmalerei ist selten. Eine Ausnahme ist die Glaserei Spechtenhauser in Schlanders, die auf eine 100-jährige Tradition zurückblicken kann. Gegründet von Josef Spechtenhauser, wird der Betrieb 1970 von seinem Enkel Pepi Spechtenhauser übernommen. Pepi hat im ganzen Land Kirchenfenster auf professionelle Art restauriert. Martin Spechtenhauser, der Sohn von Pepi Spechtenhauser, führt den Betrieb in der 4. Generation weiter. Außerdem gibt es die Glaskünstlerin Helene Pobitzer aus Schlanders, geboren 1960, die ihre Ausbildung im Fachbereich „Glas und Design“ an der Glasfachschule Kramsach in Tirol begann und anschließend ein Atelier in Schlanders und nach ihrer Heirat in Kaltern eröffnete. Mit einer Ausstellung ihrer Glasarbeiten im Schaufenster #16 von Basis Vinschgau ist sie nach Schlanders zurückgekehrt. Vom 14. bis 30. November 2024 konnten ihre Arbeiten in der kleinen Galerie in der Fußgängerzone bewundert werden. Unter dem Titel „Beziehungsweise Glas“ zeigte Pobitzer vor allem Glasgesichter und verschiedene Glasarbeiten, aber auch Glaslandschaften mit Gräsern. Bei der Vernissage am 14. November legte die bekannte Kuratorin und Kunsthistorikerin Eva Gratl Einblicke in das Arbeitsmaterial Glas und das künstlerische Schaffen von Helene Pobitzer dar. Gratl betonte, dass nicht nur die Arbeitstechnik, die Formen und Farben eine große Rolle spielen, sondern auch das Licht im Wechsel des Tages die Arbeiten auf ganz unterschiedliche Weise zum Leuchten bringt. Glas verlangt eine besondere Beziehung, ein großes Einfühlungsvermögen und Feingefühl, so Gratl. Die Glasarbeiten von Helene Pobitzer sind meditative Bilder, entstanden durch die Begegnung mit der Natur. Schilfgräser am Kalterer See verwandelt Pobitzer in beinahe abstrakte Bilder, in denen die Zartheit der Natur zum Ausdruck kommt. Gezeigt wurden viele Gesichter, bzw. Charakterköpfe, entstanden in der Zeit der Pandemie. Zwei oder drei Personen mit großer Ausdruckskraft, leuchtenden Augen, roten Lippen, goldenen Nasen und ernsthaftem Ausdruck, manchmal mürrisch und zornig, sitzen in Holzbooten und schwimmen dahin auf dem großen Ozean des Lebens. Der Gesichtsausdruck von Pobitzers Glasköpfen hat Ähnlichkeiten mit den Gesichtern in der Prokuluskirche von Naturns. Inspiriert wurde ihre Arbeit von der viel zitierten Aussage während der Pandemie: „Wir sitzen alle im gleichen Boot“. Es sind verzagte Gesichter, die miteinander kommunizieren und die Besucher teils ängstlich, teils fragend anblicken, so als wollten sie sagen: wo fahren wir hin, wo ist das rettende Ufer? Basis Vinschgau hat mit dieser Ausstellung Nummer 16 in der kleinen und fast familiären Galerie in der Fußgängerzone von Schlanders wieder einen wichtigen und wertvollen kulturellen Akzent gesetzt und alle Vorbeigehenden zum kurzen Verweilen und Betrachten eingeladen und einer Künstlerin die Möglichkeit gegeben, ihre Arbeiten zu zeigen und im Dialog mit der Bevölkerung zu treten.
Heinrich Zoderer