Über den Richter Albert Frötscher oder die Justiz mit dem menschlichen Antlitz

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Aus dem Gerichtssaal - Am Landesgericht in Bozen gibt es einen Strafverhandlungssaal. Der ist ganz vom faschistischen Geist geprägt, unter dessen Regiment er erbaut wurde: Auf hohem halbrundem Podest der Richtertisch, daneben, etwas tiefer, der des Staatsanwalts, noch tiefer der des Gerichtsschreibers, „im Parterre“ schließlich der Tisch der Verteidiger und daneben, aber abgesondert, die Bank des Angeklagten. Dahinter, doch von den eigentlichen „Darstellern“ des Verfahrens durch eine Schranke abgetrennt, das Volk, in dessen Namen nach der Abschaffung der Monarchie im Jahre 1948 Recht gesprochen wird. Das Besondere an diesem Verhandlungssaal ist jedoch das alles überragende, überdimensionale Wandgemälde, das hinter dem Richtertisch sichtbar wird, den ganzen Raum beherrscht und alles „erschlägt“: Darauf ist nämlich das Jüngste Gericht abgebildet, mit Engeln, die mit Posaunen die Ankunft des Herrn verkünden und Toten, die aus den Gräbern steigen. Mit dem Wandgemälde soll offensichtlich dem „Volke“ nahegebracht werden, dass das Recht, das hier gesprochen wird, Ausdruck einer höheren Macht und sozusagen als „Vorgeschmack“ auf die wahre, die himmlische Gerechtigkeit zu betrachten ist. Die Menschen, welche Recht sprachen, waren dem „gemeinen Volke“ entrückt als die „Hohen Priester der Gerechtigkeit“ anzusehen.
Dieser Dünkel war dem Albert Frötscher fremd. Er war vielmehr das gelebte Gegenteil davon. Seine Karriere im Dienste der Justiz begann er im Jahre 1986 als Bezirksrichter von Klausen, um dann im Jahre 1989 an das Gericht in Schlanders zu wechseln, das er bis zum Jahre 1996 leitete. Dort fiel er durch seine unkonventionelle Verhandlungsführung auf. In Zivilverfahren war er mit geradezu missionarischem Eifer darum bemüht, einen Ausgleich zwischen den Streitparteien zustande zu bringen. Legendär war der von ihm zur Förderung der Vergleichsbereitschaft verwendete „Poster“. Darauf war eine Kuh abgebildet, an deren Euter sich ein Mann zu schaffen machte, der ganz eindeutig als Advokat identifizierbar war. Wir Anwälte revanchierten uns für dieses „Kompliment“, indem wir darauf hinwiesen, dass die Kuh ja von einem Mann an den Hörnern gehalten und damit dem Advokaten zum Melken geradezu hingehalten dargeboten wurde, nämlich dem Richter!
Bei den Strafverfahren war er besonders „allergisch“ auf Amtsehrenbeleidigungen („oltraggio“). Diese Delikte machten damals einen nicht unbedeutenden Teil des gesamten „Geschäftsaufkommens“ aus. Entsprechend lange Gesichter gab es dann bei den Amtspersonen, wenn Frötscher wieder einmal einen ihrer „Ehrabschneider“ freisprach. Eine besonders originelle Begründung ist mir in Erinnerung: Ein Autofahrer war, nachdem er stundenlang im Stau gestanden hatte, von einer Carabinieristreife angehalten und wegen einer läppischen Kleinigkeit zur Kasse gebeten worden. Auf die Vorhaltung des Ordnungshüters reagierte der Autofahrer mit einem gereizten: “non rompermi i coglioni!“ Albert Frötscher sprach ihn mit einer auch rechtlich interessanten Begründung frei: Die Sprache hat sich entwickelt, was früher als beleidigend anzusehen war, ist inzwischen zwar nicht sehr fein, aber immerhin zum sprachlichen Allgemeingut geworden!
Richterpersönlichkeiten wie die eines Albert Frötscher entwickeln sich nach meiner Einschätzung am ehesten an kleinen, peripheren Einrichtungen. Ein Grund mehr für die Wiedererrichtung der dem Sparstift des Mario Monti zum Opfer gefallenen jahrhundertealten Gerichtssitze wie Meran, Brixen, Bruneck, Sterzing und Schlanders.
Peter Tappeiner, Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it

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