Kultur: Hubert Scheibe, Künstler: „Die Krypta im Stausee“

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cheibe in seinem Atelier  in den Meraner Lauben cheibe in seinem Atelier in den Meraner Lauben

von Peter Tscholl

Geboren wurde Hubert Scheibe 1964 in Bozen, aufgewachsen ist er in Reschen, Neudorf Nr. 9. Sein Vater, der nach dem Krieg aus Sachsen vertrieben wurde, verdiente sein Geld als Maler, seine Mutter war Hausfrau und Zimmervermieterin. Aus seiner Kindheit erinnert sich Hubert heute noch an das gemeinsame Spielen in der Nachbarschaft, das Verstecken in Höhlen, die Werkstatt des Vaters. Die Vorstellung von Freiheit hat sich damals gebildet. Die Schule war nur Nebensache, wirkliches Lernen war das Spielen mit Nachbarskinder, mit Freunden.
Nach dem Besuch des Realgymnasiums in Meran verschlägt es Hubert nach Innsbruck. Dort 6entstand die Konfrontation mit der Wirklichkeit. Fragen drängten sich auf: Was will ich? Was soll ich tun? Mit welcher Arbeit ersetze ich die kindliche Leichtigkeit? Nach einer längeren Krise hat sich Hubert entschieden: „Es kann nur Kunst sein“.
In Innsbruck besuchte Scheibe die Kunstgewerbeschule. Sie war Voraussetzung für sein späteres Studium der Grafik an der Akademie der bildenden Künste in Wien. „Als junger Mensch in Krise war für mich die Auseinandersetzung mit der Kunst die einzige Möglichkeit mit dem Leben fertig zu werden. Ich wollte nie ein Handwerk erlernen. Mein Weg konnte nur die Kunst sein. Kunst entsteht im Kollektiv mit Seinesgleichen mit Menschen, die gleiche geistige und praktische Interessen haben. Kunst ist ein Produkt des Geistes. Die Motivation Kunst zu schaffen kommt aus dem Inneren. Kunst muss aus dem Herzen kommen.“
Scheibe bezeichnet sich selbst als Künstler der „alten Schule“. Seiner Meinung nach haben heute die meisten jungen Künstler einen anderen Zugang zur Kunst. Sie sind „Warenerzeuger“ in einem kapitalistischem System. Seit es die Auftragskunst nicht mehr gibt arbeitet ein Künstler nur mehr 4nach Angebot und Nachfrage für den Markt. Das hat mit Kunst nichts mehr zu tun. „Wir Künstler der alten Schule wollen hinter die Kulissen schauen. Eine Arbeit muss beseelt sein. Wir wollen über die Schönheit reden, über das Leben in Ehrfurcht und Demut vor dem Sein. Es ist ein aufrichtiges Suchen und Versuchen“ sagt er.
Die heutige Kunstwelt findet Scheibe trotz allem faszinierend. „Das hängt auch damit zusammen, dass Ressourcen und Geld da sind, die es erlauben Kunst in Übermut zu machen. Kunst braucht Förderung, braucht Geld und scheinbar ist das noch vorhanden. Kunst ist ein Privileg. Im Vinschgau gibt es noch junge Leute, die wunderbare Sachen machen. Es ist eine Freude zu sehen, wie sich junge Menschen intensiv mit sich selbst und dem Leben auseinandersetzen“.

Fast zwei Jahrzehnte lebte Scheibe in Wien. Dort lernte er seine Partnerin kennen, wurde Vater dreier Buben und das Leben nahm seinen Lauf. 2006 kehrte er nach Südtirol zurück. Seit der Geburt seiner Tochter lebt er in Meran. Sein Atelier befindet sich unter den Lauben. Seit seine Eltern nicht mehr leben hat er zum Vinschgau fast keine Beziehung mehr. Der Obervinschgau stößt ihn aufgrund der Seestauung ab, es ist eine Katastrophe, zum Davongehen, sagt er.

5Der Mittelvinschgau hingegen mit Kloster Marienberg, Burgeis, Glurns, Laas hat ihn schon immer fasziniert, die Aufrichtigkeit der Menschen die dort leben, der Humor, die Großzügigkeit, das Offene und Unverbaute. Wenn Scheibe heute an den Vinschgau denkt dann denkt er an Marienberg.
„Bei jedem Besuch in Marienberg habe ich mir die Fresken der Krypta angeschaut. Die Krypta von Marienberg hat mich künstlerisch geprägt. Meine ersten Arbeiten beziehen sich auf diese Fresken. Im Prinzip sollte die Welt so sein, wie Marienberg. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, möchte ich als Mensch fliegen können. Dann würde ich als Engel aus der Krypta im Kyrie eleison fliegen, der Atem Gottes würde mich tragen und ich könnte ewig leben“ meint Hubert Scheibe, der, wie er selber sagt „zutiefst katholisch, anarchistisch durchflutet ist“.
Besonders geprägt haben das Denkbild des Künstlers die Thesen des Philosophen Walter Benjamin (1892-1940) über den Begriff der Geschichte und der Roman „Fountainhead“ von Ayn Rand (1905-1982), in dem die Schriftstellerin ihr moralisches Menschenideal entwirft.

salvator mundi

Walter Benjamin,
Skizze VII, „Der Begriff der Geschichte“:

„Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind angespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Kathastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir Fortschritt nennen, ist dieser Sturm“.

 

Ayn Rand
„The Fountainhead“:

„Er stand nackt am Rand einer Klippe. Der See lag tief unter ihm. Eine gefrorene Explosion aus Granit schoss über dem spiegelglatten Wasser zum Himmel auf. Das Wasser schien unbeweglich, der Stein schien zu fließen. Der Stein strahlte die Ruhe des kurzen Moment in einer Schlacht aus, in dem ein Stoß´den anderen trifft und die Bewegung innehält in einer Pause, die dynamischer ist als die Bewegung. Der Stein glühte, überströmt von Sonnenstrahlen. Der See war nur ein dünner Stahlring, der die Felsen in zwei Hälften teilte. Die Felsen liefen unverändert in die Tiefe. Sie begannen und endeten im Himmel, als würde die Welt im Raum hängen – eine über dem Nichts schwebende Insel, die an den Füßen des Mannes auf der Klippe verankert war“.

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