Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Bernhard von Clairvaux, 20. August 2019
Der Bartgeier (Gypaetus barbatus) ist nach seiner Wiederansiedlung in den Alpen zu einem Sympathieträger für die Schutzgebiete im Alpenbogen geworden. Als reiner Aas- und Knochenfresser genießt er eine hohe soziale Akzeptanz. In der Nummer 5/2019 vom 7. März habe ich auf den Seiten dieser Zeitung letztmals über den Fortgang des Wiederansiedlungsprojektes seit seinem Beginn im Jahr 1986 berichtet. Heute möchte ich die Informationen v.a. zu den 12 Graubündner und den vier Vinschgauer Bartgeierpaaren aktualisieren, aber auch einen Blick auf das alpenweite Projekt werfen.
„infogipeto“
Das Mitteilungsblatt „infogipeto“ ist die einzige wissenschaftlich-technische
Publikation, welche alle Beobachtungsdaten des europäischen Wiederansiedlungsprojektes zum Bartgeier zusammenfasst und veröffentlicht. Das Bullettin erschien erstmals im Jahr 1994 auf die löbliche Initiative des piemontesischen Regionalparks Parco Naturale Alpi Marittime (Laura Martinelli, Luca Giraudo und Kollegen). Seit dem Jahr 2008 ist auch der Nationalpark Stilfserjoch mit seinem Ornithologen Enrico Bassi aktiv an dieser Publikation beteiligt. Im Dezember 2018 ist die Nummer 35 von „infogipeto“ in englischer und italienischer Sprache erschienen.
Freilassungen und Naturbruten
Seit Beginn des Wiederansiedlungsprojektes im Jahre 1986 sind bis einschließlich 2018 in Europa 301 junge Bartgeier aus Zoo- und Volieren-Zuchten freigelassen worden, davon 223 in den Alpen.
Seit der ersten Naturbrut im Jahr 1997, also 11 Jahre nach den ersten Freilassungen, sind bis einschließlich 2018 alpenweit 233 Junggeier aus Naturbruten flügge geworden. Die Anzahl der aus Naturbruten ausgeflogenen Jungvögel übersteigt damit die aus Gehege-Zuchten freigelassenen Junggeier. Auch unter diesem statistischen Aspekt verläuft das Wiederansiedlungsprojekt also erfolgreich. Die ersten Zoo-Zuchten für das Wiederansiedlungsprojekt „Der Bartgeier in den Alpen“ hatten 1978 und demnach acht Jahre vor der Freilassung der ersten „Gründertiere“ stattgefunden.
Das Wiederansiedlungsprojekt wird von der Stiftung VCF (Vulture Conservation Foundation) mit Sitz in Zürich koordiniert. Im letzten Jahr 2018 haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die freiwilligen Helfer des internationalen Netzwerkes zum Monitoring des Bartgeiers (IBM) 57 Bartgeier-Territorien in den Alpen und auf Korsika überwacht. Aus den 52 Territorien im Alpenbogen mit Brutbeginn sind 2018 insgesamt 29 Jungtiere flügge geworden. Aus vier neuen Territorien (Schnals Südtirol, Ova Spin CH und Malaval und Pralognan F) wurden für 2018 jeweils die erste erfolgreiche Brut gemeldet.
Die Zentralalpen als „Kristallisationskeim“
20 Jahre nach der ersten Naturbrut in den Zentralalpen (vom Paar „Bormio“ 1998) sind in eben diesen Zentralalpen derzeit (Stand 2018) 21 potentiell fortpflanzungsfähige Brutpaare präsent, davon 12 im südlichen Teil des Kantons Graubünden und 9 im Gebiet des Nationalparks Stilfserjoch und im Vinschgau. Damit weisen die Zentralalpen die höchste Bartgeier-Dichte auf und bilden neben den französischen Seealpen den wichtigsten Kristallisationskeim für das erfolgreiche Wiederansiedlungsprojekt.
Die Graubündner Bartgeier 2018
Im Kanton Graubünden haben im Jahr 2018 zwölf Bartgeier-Paare eine Brut begonnen. Das Paar Albula hat 2018 sein 11. Junges zum Ausfliegen gebracht, obwohl dieses vorzeitig aus dem Nest gefallen war. Im Unterengadin hat das Paar Sinestra (Weibchen Moische-Livigno, Männchen Samuel) sein 6. Junges in sieben Jahren aufgezogen. Im Puschlav (Val Poschiavo) hat das dortige Paar in sechs Jahren das 6. Junge erfolgreich erbrütet. In der Val Spöl haben sich zwei Paare angesiedelt: Spöl und Ova Spin. Vom Paar Ova Spin ist 2018 das Junge flügge geworden. In der Val Bregaglia hat das Paar Maloja (W Folio und M Rurese) die Brut erneut verfehlt. Auch das Paar, das sich im Jahr 2016 in der Val Trupchun gebildet hat, war in seiner Brut nicht erfolgreich. In Buffalora hat das Paar (aus W Raetia und M aus Freilassung 2010 im Callfeisental, Kanton St. Gallen) 2018 zum zweiten Mal gebrütet, leider erfolglos, obwohl seine Brut 2017 erfolgreich verlaufen war. Das Weibchen Raetia war im Jahr 2000 an der Zuchtstation von Prof. Hannes Frey in Haringsee bei Wien geboren und im Juni des gleichen Jahres im Kunsthorst im Marteller Schludertal freigelassen worden. Die jetzt 19-jährige Raetia hat ihrem Namen Ehre gemacht: Sie war das erste Weibchen, das seit der Ausrottung des Bartgeiers in den Alpen in den 1930er-Jahren in der Schweiz wieder erfolgreich gebrütet hatte. In der Val Tours hat das Paar sein drittes Junges zum Ausfliegen gebracht. Ein weiteres, neues Paar hat sich bei Pontresina gebildet. Es zeigte Brutverhalten, Kopulation konnte beobachtet werden, aber es kam noch nicht zur Eiablage.
Die Vinschgauer Bruten 2019
Zum Schluss noch eine Aktualisierung zu den Bruten der Vinschgauer Bartgeier-Paare im laufenden Jahr 2019. Die enge Eingrenzung der Daten zur Eiablage, zum Schlupf und zum Ausfliegen ist dank der aufmerksamen und dichten Beobachtung der Aufsichtsförster möglich. Ihnen und Enrico Bassi danke ich für die Überlassung der aktuellen Daten.