„Ich bin dankbar, dass mein Kopf noch funktioniert“

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Maria Anna Patscheider Staffler, genannt Marianna, Jg. 1924, Goldrain. Sie freut sich, ihren runden Geburtstag mit ihren acht Kindern, den Schwiegerkindern, den 22 Enkeln, den 14 Urenkeln und den drei Ur Ur Enkeln feiern zu können. Maria Anna Patscheider Staffler, genannt Marianna, Jg. 1924, Goldrain. Sie freut sich, ihren runden Geburtstag mit ihren acht Kindern, den Schwiegerkindern, den 22 Enkeln, den 14 Urenkeln und den drei Ur Ur Enkeln feiern zu können.

Frau Marianna feiert am 21. Juli 2024 ihren 100sten Geburtstag. 40 Jahre lang war sie als Lehrerin tätig. Sie war eine der vielen jungen Frauen, die mitgeholfen haben, die deutsche Schule in Südtirol nach dem Faschismus wieder aufzubauen.

von Magdalena Dietl Sapelza

Noch bis vor einem halben Jahr stand Frau Marianna am Herd und kochte für sich und ihre Betreuerin. Doch nun sitzt sie im Rollstuhl. Geistig frisch verfolgt sie die Nachrichtensendungen, obwohl ihre Augen und ihr Gehör sie im Stich lassen. „Dass ich kaum noch höre, belastet mich sehr, weil man den Kontakt verliert“, sagt sie. „Ich bin dankbar, dass mein Kopf noch funktioniert.“ Mit Hilfe einer Schreibtafel kann sie sich unterhalten. Man kann ihr eine Frage hinschreiben und sie erzählt.
Marianna wuchs als älteste von acht Kindern auf einem Hof im Weiler Gschwell in Langtaufers auf. Ihr Vater starb an Lungenentzündung als sie 10 Jahre alt war. Sie unterstützte ihre Mutter. Es begann eine schwere Zeit. Ihr Schulbesuch fiel in die Faschistenzeit. „Wir haben die Italienischlehrerin nicht verstanden und alles auswendig gelernt, ohne zu wissen, was wir lernen“, erklärt sie. Als 14-Jährige durfte sie in Österreich, wo ihre Tante lebte, ein Jahr lang die deutsche Schule besuchen. Das ermöglichte ihr kurz nach der Option bei einer Prüfung für Deutschlehrer in Mals anzutreten. Sie bestand und erhielt die Ermächtigung, die Kinder der Optanten zu unterrichten. In Tanas begann sie im Herbst 1941 als Hilfslehrerin. „Der Mussolini hat zwei Stunden Deutsch erlaubt, Rechnen war verboten“, betont sie. In den folgenden Jahren wechselte sie von einer Schulstelle zu nächsten. Es waren anfangs entlegene Bergschulen. „Alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen“, meint sie. „Der Unterricht war vor allem in den Anfangsjahren nach dem Krieg nicht einfach, weil in den Klassen oft bis zu 50 Kinder aller Altersstufen saßen, von denen viele nie Deutsch gelernt hatten.“ Belastend war später immer auch die Sorge, mangels fehlender regulärer Ausbildung keine Stelle mehr zu bekommen. Marianna besuchte Fortbildungskurse und auch die Hauswirtschaftsschule in Dietenheim, wo sie sich ihre hervorragenden Kochkünste und das Wissen über das Gärtnern aneignete. Während ihrer Zeit als Lehrerin in Ulten lernte sie den Tischler Franz Staffler (Jg.1927) kennen, zu dem sie sich schon bald hingezogen fühlte. 1951 feierte sie mit ihm Hochzeit. Da sie kurz zuvor in der Gemeinde Graun die Stelle zugesprochen bekommen hatte, bezog mit ihm dort eine Mietwohnung. Franz arbeitete als selbständiger Tischler, musste aber bald aufgeben, weil den meisten Auftraggebern das Geld fehlte, ihn zu bezahlen. Er fand Arbeit in einer Tischlerei in Zams. Nur noch am Wochenende kam er heim. Er hätte Marianna gerne nach Österreich nachgeholt. In Zams wurde ihr sogar eine Stelle als Lehrerin angeboten. Doch sie lehnte ab: „Ich bin eine Südtirolerin und bleibe eine Südtirolerin.“ Marianna wurde zwischen 1952 und 1967 achtmal Mutter. Mit großer Anstrengung gelang es ihr, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. „Die kleinen Kinder habe ich oft mit in die Schule genommen, die Größeren waren in der Obhut von Verwandten oder zeitweise auch bei meinem Mann in Österreich“, sagt sie. Nebenbei lernte sie für die große Prüfung, die den Hilfslehrerinnen eine fixe Stelle zusichern sollte. 1968 hielt sie endlich das Diplom in der Hand und bekam 1970 die Stammrolle in der Grundschule Goldrain zugesprochen. Dort zog die Familie nach längerer Zeit in einer Mietwohnung in das Eigenheim mit angeschlossener Tischlerei ein. Große Sparsamkeit und ein Bankkredit hatten das ermöglicht. „Endlich wurde unsere Familie zusammengeführt“, meint sie. Langsam baute sie den Kredit ab. „Ich habe immer gespart und alle Kleider meiner Kinder selbst genäht“, betont sie. 1980 ging Marianna in Pension. Bei der Verabschiedung ehrte sie der Schulinspektor mit folgenden Worten, die sie sehr gefreut haben: „Sie haben die deutsche Schule aus der Taufe gehoben.“ Den Ruhestand nutzte Marianna zur Mithilfe in einer Gasthausküche, und sie verwöhnte ihre Familienmitglieder mit leckeren Gerichten. Sie genoss Reisen und Meeraufenthalte. „Damit kann man Stresssituationen ausgleichen“, erklärt sie. Seit dem Tod ihres Mannes 2016 wird sie von Betreuerinnen unterstützt. Marianna ist eine große Verehrerin der Gottesmutter. „Die hat schon oft geholfen. Wenn ich sie nachts anflehe, spüre ich eine leichte Wärme“, verrät sie. Marianna legt großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und auf eine ausgewogene Ernährung. „Jetzt kann ich der Badante nur noch erklären, wie sie das Essen kochen soll“, schmunzelt sie.

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