Eine außergewöhnliche Fundgeschichte - Der Latscher Menhir

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In der Nikolauskirche im Dorfzentrum von Latsch kann einer der bedeutendsten archäologischen Funde aus dem Vinschgau, der Latscher Menhir besichtigt werden. Sowohl die Fundgeschichte, als auch die verschiedenen wissenschaftlichen Deutungen rund um den Menhir sind wirklichen außergewöhnlich.

von Ludwig Fabi/Quelle: www.menhir-latsch.it

In der Latscher Kirche zu unserer lieben Frau auf dem Bichl (genannt Bichlkirche) weckte 1992 im Rahmen der Restaurierung von Turm und Kirche der gotische Altar das Interesse der dabei beschäftigten Archäologen: Diese entdeckten in einer Ausnehmung eine quadratische Steinplatte auf der eine girlandenförmige Gürtelpartie und ein Dolch sichtbar wurden. Als die barocke Holzverkleidung des gotischen Altars abgenommen wurde, kam ein vollständig figürlich verzierter Menhir aus Laaser Marmor zum Vorschein, dessen Bedeutung sofort erkannt wurde. In Anwesenheit zahlreicher Wissenschaftler und der Medien wurde die Platte von der Altarmensa gehoben, wobei erstmals auch die Rückseite sichtbar wurde. Der Bildstein besaß ursprünglich sogar eine Länge von über 2 Meter und wurde wohl für die spätere Nutzung oben und unten abgeschlagen und ist heute nur mehr ca. 1 m lang. Das Alter dieses einzigartigen Monumentes wurde mit dem späten 4. bis frühen 3. Jahrtausend v. Chr. datiert, also aus der Kupferzeit, wie die letzte Periode der Steinzeit genannt wird. Dieser bedeutende Fund kam also knapp ein Jahr nach der Entdeckung des Mannes aus dem Eis zum Vorschein. Und das sollte nicht die einzige Ähnlichkeit mit dem Fund von Ötzi 1991 auf dem Tisenjoch und dem Menhir von Latsch bleiben. Spannend ist die Übereinstimmung von einigen Gegenständen, die Ötzi bei sich trug, mit auf dem Menhir von Latsch abgebildeten Motiven, nämlich das Beil, der Dolch, sowie Pfeil und Bogen.

Was ist ein Menhir?
Menhire sind einzeln stehende Steine in menschlicher Gestalt. Die sogenannten Figurenmenhire zählen zu den bedeutendsten noch erhaltenen Kunstwerken unserer Vorgeschichte. Seit mehr als 100 Jahren kennt man solche vor allem in den Mittelmeer- und den angrenzenden Gebieten. Mit dem Ende der Jungsteinzeit und der Entdeckung der Metalle Kupfer und später Bronze und den Ausbau der Handelsbeziehungen gibt es in den europäischen Gesellschaften einen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Es scheint, dass eine Art elitäre Bevölkerungsschicht entsteht, welche Waffen, Werkzeuge und Schmuck aus Metall als Statussymbol trägt.

Die neue Ausstattung tritt neben anderen Symbolen und Ornamenten auch auf den Menhiren auf: Auf ihnen sind Waffen und Schmuckelemente wie Spiralen abgebildet. Aufgrund der regional unterschiedlich auftretenden Symbole teilt man sie in verschiedene Gruppen ein. Der Latscher Menhir gehört, wie weitere zwölf Südtiroler Menhire und sieben Trentiner Menhire, der so genannten Etschtalgruppe an. Ihr sind senkrechte Streifen gemein, die als Darstellung eines Fransenmantels gedeutet werden. Die männlichen Stelen zeigen zudem oft Dolche mit dreieckiger Klinge (Typ Remedello). Eine andere Gruppe ist die lombardische Gruppe der Valcamonica am s34 steine 0006Fluss Oglio und aus dem Veltlin. Menhire treten stets als Gruppe auf, was einen Hinweis auf einen politisch dominanten Familienverband bilden dürfte. Die männlichen Stelen übertreffen in ihrer Größe und Ausstattung deutlich die übrigen. Menhire der Kupferzeit sind Zeugnisse für politisches und territoriales Denken und lassen auf fest gefügte rituelle Praktiken sowie auf religiöse Zentren schließen, die überdies längere Zeit Bestand hatten. Nur in seltenen Fällen geben archäologische Befunde Aufschluss über die Struktur dieser Plätze und über die geübten Praktiken. Die Bildsteine waren meist in exponierter Geländeposition zellenförmig aufgestellt, daneben ist das Entzünden von Feuer sowie das Darbringen von Opfergaben belegt.
Es ist Zeugnis eines über Generationen hindurch gepflegten Kultes, in dessen Mittelpunkt vermutlich eine Ahnen-Helden-Mythologie stand. Zu welchen Anlässen man immer wieder neue Gegenstände ins Bildrepertoire einfügte, bleibt unklar. Vermutlich verbergen sich dahinter verschiedene Generationstakte. Der Bildstein ist Indiz dafür, dass sich im Gebiet von Latsch das religiöse wie politische Zentrum einer Bevölkerungsgruppe befand. Das legen auch Berichte von einem weiteren Menhir aus Latsch aus den 70er Jahren nahe, welcher schließlich außer Landes gelangt sein soll. Nähere Hinweise zum Fundort oder zur bildlichen Gestaltung des Steines liegen nicht vor.

 

Mordfall Ötzi ein Kriminalfall in Stein gemeißelt?

Der Menhir von Latsch trägt auf seiner Rückseite ein ganz besonderes, geheimnisvolles Motiv: Einen Bogenschützen, der auf eine andere Person zielt, ein auf den Menhiren der Etschtal-Gruppe einzigartiges Motiv. Was stellt sie dar? Eine Mordszene oder doch nur eine Jagdszene von zwei Jägern auf der gemeinsamen Jagd? Es ist vielleicht gewagt, hier einen Zusammenhang zum Tod des Mannes aus dem Eis zu sehen, zumal Ötzi ein paar Hundert Jahre früher gestorben ist, aber ganz von der Hand zu weisen ist der Zusammenhang nicht. Der Todesort des Mannes aus dem Eis ist nur rund 20 Kilometer Luftlinie entfernt vom Latscher Menhir.

 

St. Nikolauskirche
s34 Nikolaus Kirche III 01St. Nikolauskirche wurde in den vergangenen Jahren vom Heimatpflegeverein Latsch aufwendig renoviert. Da sie keine sakrale Funktion hat und leicht zugänglich im Dorfzentrum von Latsch steht, ist der Menhir von Latsch seit Juni in ihrem Inneren ausgestellt werden. Der Menhir steht mit Glasschutz im Zentrum der Kapelle. Die an den Wänden angebrachten Paneele geben knappe Informationen zur Fundgeschichte und zur Entstehung des Menhirs, zum Kontext „Mann aus dem Eis“ sowie zu Latsch in der Bronzezeit.

 

Tipp:

St. Nikolauskirche Latsch geöffnet täglich von 09.00 bis 18.00 Uhr

www.menhir-latsch.it

 

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