Kultur: Sankt Stephan bei Marienberg - Ein Bilderzyklus wird unter der weißen Tünche hervorgeholt

geschrieben von

Schon im Frühmittelalter gab es erste kirchliche Zentren, die zwar von geringer Größe, aber dennoch bedeutend waren und weit über ihr Einzugsgebiet hinausstrahlten. Zu diesen zählt in besonderer Weise St. Stephan neben dem Kloster Marienberg.
Das kleine, unscheinbare Kirchlein besticht durch sein Alter, seine spezielle Architektur und nun kultur 1ganz besonders durch die freigelegten Malereien aus der Zeit um 1498.
Seit der archäologischen Grabung im Jahre 1989 ist uns die Datierung der Vorgängerbauten bekannt. Die frühchristliche Kirche reicht in ihren Ursprüngen bis in das 5. – 6. Jahrhundert zurück. Nach mehreren Erweiterungen im Laufe der Jahrhunderte erhielt sie das heutige Aussehen. Auffallend sind die zwei Geschosse der Anlage. Diese doppelstöckige Anlage dürfte auf die spätkarolingische Bauepoche zurück gehen. Sie stellt eine Besonderheit dar und lässt vermuten, dass die kleine Kirche am Pilgerweg stehend, auch eine Nächtigungsmöglichkeit für Pilger bot. kultur 2Gesichert ist, dass sie eine der ersten Kirchen im oberen Vinschgau ist. Neben den Resten des Erstbaues fand man bei den erwähnten Grabungen mehrere Gräber im Innern der Kirche. In diesen Gräbern wurden Beschläge von Gürtelgarnituren gefunden, deren Entstehung in das 7. Jahrhundert zurückreichen. Diese hochwertigen Funde sind im Museum von Marienberg zu bewundern.
Heute ist die Kirche der Benediktinerabtei Marienberg angegliedert; auf dem Friedhof der Anlage werden die verstorbenen Mönche des Klosters bestattet. In den vergangenen Jahren wurde auf Veranlassung der Abtei Marienberg eine Restaurierung der Kirche in die Wege geleitet, in deren Zuge im Innern Wandgemälde frei gelegt wurden.
Im rechteckigen Chorraum wurde eine einheitliche, komplette Ausmalung frei gelegt. Die dargestellten Heiligen sind zum größten Teil beschriftet; die Darstellungen sind mit 1498 datiert. Es kultur 3ist dies das Jahr, in dem Michael Pacher in Salzburg verstirbt; ein Jahr später findet die Schlacht an der Calven statt.
Der Bilderzyklus zeigt uns das Leben Christi von der Geburt bis zur Himmelfahrt und das Leben Mariens von der Verkündigung bis zum Tode im Kreise der Apostel. Der Patroziniumsheilige, die vierzehn Nothelfer und Passionsszenen schließen den Zyklus ab. Die Darstellung der Passion ist typisch für diese Kunstepoche und soll die compassio, das Mitleiden an der Marter Christi beim gläubigen Menschen hervorgerufen.
Im Zentrum steht die Krönung Mariens, umgeben von St. Stephan, St. Laurenzius und St. Christophorus. Über der Marienkrönung ist das Pfingstwunder dargestellt: Maria, die Apostel und der Heilige Geist in Form der Taube.
Unterhalb des Krönungsbildes ist eine Passion-Szene zu erkennen, sowie die Beweinung Christi.
Seitlich sind auf einer Ebene jene Heiligen zu erkennen, die mit den Allianzfiguren neben dem Krönungsfresko die vierzehn Nothelfer darstellen. Darüber sind der Tod Mariens im Kreise der Apostel und gegenüber die Himmelfahrt Christi zu sehen.

kultur 5Darstellungen im Gewölbe
Im Gewölbe ist die Heimsuchung, die Geburt, die Epiphanie und die Auferstehung Christi dargestellt. Der bemalte Schlussstein zeigt die Vera Icon, das Schweißtuch der Veronika.
Die Ausführung der Arbeit ist präzise und stimmig. Betrachten wir im Gewölbe das Bild der Geburt, so sehen wir neben einer einfachen Dachkonstruktion auch die Natur abgebildet, die sowohl als solche, aber auch im übertragenen Sinn zu deuten ist; so ist der Fluss, als Fluss des Lebens zu deuten. Die Darstellung der Landschaft ist ein Element, das auf den neuen Weg der Kunst in der Zeit von Humanismus und Renaissance hinweist.
kultur 6Geburt und Auferstehung sind gegenüberstehend abgebildet und sind Sinnbild für das neue Leben, das sich für den Christen durch den Opfertod Christi erfüllt. Exemplarisch sei der feine Faltenwurf von Marias Mantel erwähnt, der an große Künstler der spätgotischen Zeit erinnert.
Die Ausmalung dieses Kleinods ist sehr reichhaltig und die Restaurierung noch nicht definitiv abgeschlossen. Es wird nach wie vor an der Freilegung weiterer Gemälde gearbeitet. Es erwartet uns somit ein Bilderzyklus, der uns das Weltbild des Menschen um 1500 vor Augen führt und ein Kunstgenuss kultur 7schlechthin ist. Anerkennung und Dank gebührt der Klostergemeinschaft von Marienberg, allen voran Abt Markus Spanier.
Um ihn genießen zu können, bedarf es noch etwas Geduld. Die Restaurierungsarbeiten sind noch im Gange und daher kann die Kirche im Moment noch nicht besichtigt werden. Aber wie heißt es so schön: Vorfreude ist die schönste Freude….
Im Mai 2020
Helene Dietl Laganda

Gelesen 3880 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.