Nationalpark Stilfserjoch - Der Marmor in der Jennwand - Ein Kind des Meeres

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Die Südflanke der Jennwand und die Untere Laaser Alm im Laaser Tal. Foto: Franz Platter Die Südflanke der Jennwand und die Untere Laaser Alm im Laaser Tal. Foto: Franz Platter

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Urban, 25. Mai 2023

Dr. Herbert Raffeiner hat für das und mit dem Südtiroler Kulturinstitut an den zwei Tagen 19. und 20. Mai in Laas eine internationale Tagung zum Thema „Der Laaser Marmor“ organisiert. In insgesamt zwölf Vorträgen haben Referenten aus Österreich und Südtirol den Marmor, seinen Abbau und Transport und seine Bearbeitung aus der Sicht der Naturwissenschaft, der Geschichte, Kunstgeschichte, Wirtschaft und Literatur beleuchtet. Ich durfte im Rahmen der Tagung auch referieren und den Marmor aus der Jennwand in seiner Geologie und seinen chemischen und physikalischen Eigenschaften vorstellen. Ich habe mein Referat auch in memoriam Alfons Benedikter, Otto Saurer und Franz Waldner gehalten. Alle drei Vinschgauer Persönlichkeiten haben große Verdienste um den Marmor und seine Veredelung zur Kunst in Stein.
Die Tagung hat an der Fachschule für Steinbearbeitung „Johannes Steinhäuser“ in Laas stattgefunden. Es ist geplant, die Referate als Tagungsband in der Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstitutes zu veröffentlichen.
In meinem heutigen Zeitungsbeitrag darf ich eine Zusammenfassung meines Vortrages anbieten.

Wie entstehen Gebirge?

Seit der Bildung der Erde sind 4,6 Milliarden Jahre vergangen. Im Raum zwischen Brenner und Gardasee sind von dieser langen Zeitspanne lediglich etwa 10% dokumentiert. Mit Fossilien belegt sind gar nur die letzten 230 Millionen Jahre. Das sind knappe 5% der Erdgeschichte.
Heute wird die Gebirgsbildung generell im Zusammenhang mit der Plattentektonik gesehen: Alle großen Gebirge zeichnen nämlich die Spuren von vergangenen oder gegenwärtigen konvergenten Plattengrenzen nach. Die Geologen unterscheiden drei verschiedene Gebirgstypen:
• Den Anden- oder Kordilleren-Typ: Dieser Gebirgstyp tritt an der Grenze eines ozeanischen Plattenrandes gegen einen kontinentalen auf und zeichnet sich durch viel Vulkanismus aus. Falten- und Deckenüberschiebungen haben weniger Bedeutung.
• Der Inselbogen-Typ markiert die Grenze zwischen zwei ozeanischen Platten.
• Der Alpen- oder Himalaya-Typ von Gebirgen entsteht dort, wo zwei kontinentale Platten miteinander kollidieren. Solche Gebirgstypen finden sich daher nur im Inneren von Kontinenten. Faltung und Überschiebung sind sehr ausgeprägt. (B. Lammerer: Wege durch Jahrmillionen, Tappeiner-Verlag 1990).

Die Alpen sind Gebirge nach dem dritten Typus, also aus der Kollision von zwei Kontinentalplatten entstanden.

Wie sind die Alpen entstanden?
DSC 1953Die Alpen sind nicht nur ein relativ kleines, sondern auch ein relativ junges Gebirge. In ihrer Längsstreckung erreichen sie zwischen Wien und Nizza 1.200 Kilometer, in der Breite zwischen 150- und 250 km. Entstehung und Alter der Alpen können in verschiedene Phasen eingeteilt werden. Ich gliedere die Alpenbildung vereinfachend in vier Phasen:
Der harte Kern der Alpen ist uralt: Reste der variszischen Gebirge, im Devon und Karbon vor 400 – 300 Millionen Jahren entstanden, sind nämlich in die Alpen einbezogen. Diese „Uralpen“ stellen heute die härtesten Gesteine der Alpen dar und bauen, etwa im Mont Blanc-Massiv, die höchsten Gipfel auf, weil sie der Erosion besser widerstehen.
Eine zweite Phase der Geschichte der Alpen läuft im Erdmittelalter vor 250 – 100 Millionen Jahren ab. Diese Phase betrifft die Sedimente, die damals am Grunde des Tethys-Meeres im Bereich des heutigen Mittelmeeres und des Alpenbogens abgelagert wurden. Diese Sedimente bilden die Hauptmasse der Gesteine der Alpen.
Die Gesteinsvielfalt der Alpen ist heute so groß, weil die Sedimentation in Meeresbecken mit unterschiedlicher Tiefe sowie über unterschiedlich lange Zeiträume erfolgt ist. Die Geologen unterschieden nach ihrer Lage vier große Sedimentationsbecken, nämlich das Helvetikum, das Penninikum, das Ostalpin und das Südalpin.
Die Phase 3 umfasst die sogenannten „alpidische“ Faltung vor 100 – 30 Millionen Jahren: Die Sedimente verfestigten sich zu Gesteinen und in Decken übereinander und zum Teil auch in Schichten, die untereinander geschoben werden. Die alpidische Faltung hat ihren Ursprung in der Trift der afrikanischen Kontinentalplatte nach Norden und deren Kollision mit der europäischen Platte. Der gewaltige Druck aus südlicher Richtung war mit großräumigen Stauchungen, Auffaltungen, Ver- und Überschiebungen der Sedimentstapel verbunden, die letztlich zur Reliefbildung und Hebung der „Uralpen“ sowie zur charakteristischen West-Ost-Kette und zur Bogenform der Westalpen führten.
Die alpidische Hebung erfolgte dabei nicht kontinuierlich, sondern in Phasen und sie dauert bis heute an. Die Alpen wachsen weiter, derzeit etwa 1 mm/Jahr, werden aber durch simultane Abtragungsprozesse im Zaum gehalten, die von Wind, Wasser, Frost und Eis gesteuert werden. Auf- und abbauende Kräfte halten sich die Wage, sonst wären die Alpen inzwischen über 8.000 Meter hoch.
Und schließlich Phase 4: Den bislang letzten, für die Landschaftsformen entscheidenden Schliff erhielten die Alpen in den letzten 2 Millionen Jahren durch die Eiszeiten und die Gletscher. Die Gletscher haben die Täler ausgehobelt, Hohlformen für die Seen- und Moorbildung hinterlassen, mit ihrem Moränenmaterial die Bildung fruchtbarer Böden angekurbelt und an den Talhängen Terrassen geschaffen, die zuerst Pflanzen und Tiere besiedelt und dann wir Menschen in weiterer Folge in den Gunstlagen erschlossen und zu Zentren der Kulturlandbiodiversität gemacht haben. (A. Landmann „Die Natur der Alpen“, Kosmos Verlag 2021)

Wie ist der Marmor in die Jennwand gekommen?
Der weiße Marmor in der Jennwand ist also ein Kind des Meeres. Im geologischen Fachausdruck: Marmor ist ein Metamorphit aus marinen Sedimenten.
Ausgangsmaterial sind die oben genannten Kalkschichten als Ablagerungen am Boden eines subtropischen Flachwassermeeres. Im Laufe von Jahrtausenden häuften sich am Meeresgrund die kalkigen Gerüstsubstanzen von abgestorbenen Korallen, Algen Foraminiferen und anderen Salzwasserbewohnern mit Gehäusebildung zu Schichten von Hunderten Metern Schichtmächtigkeit auf.
Die Sedimente des Meeresbodens wurden bei der Gebirgsbildung an andere Orte verfrachtet und in alpine Klüfte gehoben. In unsere Berge kam der Meereskalk aus der Gegend des Äquators durch waagrechte Verschiebung über hunderte bis tausende Kilometer und durch senkrechte Hebung, welche Hunderte bis Tausende Meter ausmacht.
Bei dieser Verfrachtung war das Kalksubstrat verschiedenen Temperatur- und Druckbedingungen ausgesetzt. Die Kalksedimente erfahren dabei eine 40Umwandlung oder Metamorphose. Während dieser Metamorphose verändern sich sowohl der Chemismus als auch die Struktur des Gesteines. Wasser führt dazu auch zur Auswaschung und zur Ersetzung verschiedener Stoffbestandteile. Auch das Kristallgitter wird umgebaut und der Marmor aus der Jennwand erhält seine mikrokristalline Struktur.
Diese mikrokristalline Feinstruktur und die blockige Ausformung machen den Marmor aus der Jennwand zum begehrten und wertvollen Skulpturenstein. Sie machen ihn frostresistent und widerstandsfähig gegen Luftabgase von innerstädtischen Klimata. Wasser kann nicht in den kompakten Stein eindringen und die Sprengwirkung des sich im Volumen ausdehnenden Eises unterbleibt.
Der Marmor im Jennwand-Massiv hat mindestens zwei Metamorphosen erfahren. Und aus einem Sedimentgestein ist ein Umwandlungs- oder metamorphes Gestein geworden. Die zwei Metamorphosen sind:
• die variszische Metamorphose vor 350 – 320 Mio. Jahren (im Zeitalter des Karbons im Erdmittelalter). Bei Temperaturen von 550 – 660 °C und 5.000 – 7.000 bar Druck hat das Gestein zwei Faltungen erfahren;
• die alpidische Metamorphose vor 90 – 70 Mio. Jahren in der Kreidezeit. Bei einer Temperatur von ca. 500 °C und einem Druck von 6.000 – 8.000 bar sind drei Faltungen erfolgt.

 

Dünnschliff Laaser MarmorSteckbrief Marmor:
Chemismus: zu 85-98% aus Kalzit (Calciumcarbonat), weiters aus Muskovit (0-5%), Tremolit (0-5%) und opaken Mineralien.
Härte: 3,5 auf der zehnteiligen Härteskala nach F. Mohs (z. Vgl. Graphit H=1, Quarz H=7, Diamant H=10).
Spezifische Gewicht: 2,8. Ein Kubikmeter Marmor wiegt 2,8 Tonnen.
Druckfestigkeit am frischen Bruch: Ca. 1.1180 bar.
Geschätzte Vorkommen in der Jennwand (nach L. Brigo und A. Gregnanin, Universität Padua 1980):18.500.000 m³.
Abgebaute Menge (in den 100 Jahren von 1883-1986, aus Archiv Oskar Federspiel): 210.000 m³, davon als Blöcke 83.000 m³ (gleich 39,5%)

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