Wolfgang Platter, zum Laaser Kirchtag Sonta Hons, Hlg. Johannes der Täufer, 24. Juni 2020
Flechten sind symbiontische Doppelwesen aus Pilz und Algen. Der Pilzpartner besteht vorwiegend aus Schlauchpilzen (Ascomyceten), die Algen können Grün- oder Blaualgen, aber auch Cyanobakterien sein. Die Dauersymbiose befähigt Flechten, auch besonders unwirtliche Lebensräume wie Wüsten und Hochgebirge zu besiedeln und Bedingungen zu trotzen, welche die beiden Partner einzeln nie ertragen würden. Flechten sind die frühesten Kolonisatoren der terrestrischen Lebensräume. Man denke an die Flechten der Nivalstufe der Alpen und in äquatorialen Gebieten, wo sie jahrelang und gar täglich extreme Licht- und Temperaturschwankungen aushalten müssen, ebenso Wüstenflechten. Aber auch die Flechten an sonnigen Mauern und Ziegeldächern müssen große Gegensätze ertragen. Viele Flechten können monatelang in Kälte- und Trockenstarre überdauern und auf Wärme und Feuchtigkeit warten, auch wenn es nur Tau wäre. Krustenflechten erschließen mit ihren Säuren blanke Steine. Flechten wachsen direkt am Boden als blattige Lappen oder winzige Sträuchlein, auf Stämmen und Ästen als hängende Bärte. Heute sind ca. 25.000 Arten von Flechten beschrieben. Sie bedecken mehr als 10% der terrestrischen Oberfläche.
Flechten als Indikatorender Luftqualität
Flechten sind gute Umweltindikatoren. So werden bestimmte Flechtenarten in dichtbewohnten und verkehrsintensiven Stadtzentren als Bioindikatoren für die Luftqualität herangezogen: Die quantifizierenden Messungen von belastenden Schadstoffen in der Luft von Innenstädten haben immer wieder bestätigt, dass bestimmte sensible Flechtenarten gut und verlässlich zur Kartierung von Luftqualität herangezogen werden können.
Wachstum und Lebensdauer
Manche Flechtenarten wachsen extrem langsam und werden z.B. zur Einschätzung von Ausaperungszeiten in Gletschervorfeldern herangezogen. Andere Arten wachsen schneller. Die rasch wachsende Hundsflechte (Peltigera canina) kann in fünf Jahren einige Dezimeter breit werden und zur vegetativen Vermehrung in Teilstücke zerfallen. Hochalpine Arten und viele Steinkrustenflechten wachsen in einem Jahr nur Bruchteile von Millimetern. Rentierflechten, die in den Subpolargebieten die winterliche Hauptnahrung der Rentierherden sind, wachsen mäßig rasch. Die Hirten unter den Lappen und Samojeden müssen ca. 10 Jahre lang warten, bis sie mit ihren Herden die gleichen Flechtenheiden als Weideplätze benutzen können. In den Alpen bieten Rentierflechten mit anderen Strauchflechten an schneefreien Graten und Rücken die winterliche Nahrung für das Wild, das im Hochwinter auch in den Bergwald heruntersteigt.
Zu den Erstbesiedlern auf Steinen direkt im Gletschervorfeld gehört die Gewöhnliche Landkartenflechte (Rhizocarpon geographicum). Sie besiedelt lichtoffene Silikatfelsen. Das gelbgrüne krustige Lager ist durch Risse gefeldert, durch schwarze Vorlagersäume grenzen einzelne Flechten sich gegeneinander ab und lassen ein landkartenähnliches Muster entstehen. Die schwarzen Fruchtkörper sind eckig bis abgerundet und zahlreich. Landkartenflechten wachsen sehr langsam, nur wenige Zehntelmillimeter im Jahr und erreichen ein Alter bis zu 1.000 Jahren.
Gebirgspioniere
Die Korallenflechte (Stereocaulon alpinum) bildet in Gletschervorfeldern und auf sandigen, mineralreichen Böden oft Massenbestände aus. Das Lager ist strauchförmig, stark verzweigt und zum Teil dem Substrat aufliegend. Die Hauptäste sind filzig und weißlich bis rosa überlaufen. Schuppige, weißgraue Seitenästchen sind die eigentlichen Fotosyntheseorgane. Zusätzlich kommen kleine Auswüchse an den Ästchen vor, die Blaualgen enthalten. Diese Blaualgen können den Luftstickstoff fixieren und so dieser Pionierflechte auf den sehr nährstoffarmen Rohböden das Überleben sichern. Die Korallenflechten sind als Gattung mit einigen Arten arktisch-alpin verbreitet.
Die Gelbflechte (Xanthoria elegans) ist ob ihrer auffälligen orangen Färbung gut einzuprägen. Sie ist eine Krustenflechte auf Steinen und ein weltweiter Kosmopolit. Im Gebirge wächst sie häufig auf Steinen, welche von Vögeln als Sitz- oder Aussichtswarte benutzt werden und mit dem Vogelkot gedüngt sind. Im Siedlungsbereich wächst sie z.B. auf Grabsteinen. Das annähernd runde Lager, Thallus genannt, zerfranst am Rande in schmale, etwas gewölbte Lappen. In der Mitte des Thallus stehen dicht gedrängt viele Fruchtkörper, die sich in der Farbe nicht vom Lager unterscheiden. Die Gelbflechte gehört zu den Höhenweltrekordlern: im Karakorum wurde sie auf 6.400 m Seehöhe gefunden.
Die Wurmflechte (Thamnolia vermicularis) ist eine hochalpine Bodenflechte. Sie wächst an windgefegten Graten und Felskanten. Ihr weißer Thallus ist ein papierartiges, wurmförmiges, röhriges Gebilde, die der Flechte zum volkskundlichen Namen „Totengebein“ verholfen hat. Thamnos bedeutet Busch und verweist auf die Wuchsform der Flechte. Die Wurmflechte vermehrt sich nur vegetativ durch Bruchstücke und bildet keine Fruchtkörper (Apothecien). Sie kommt alpin und arktisch sowohl auf kalkigen als auch auf silikatischen Böden vor und zwar von der Waldgrenze bis in die Zwergstrauchheide und Magerrasen. Häufig ist sie mit der Gämsheide (Loiseleuria procumbens) vergesellschaftet, v.a. an Stellen, die im Winter abgeblasen und schneefrei sind.
Die Schneeflechte (Cetraria nivalis) kommt zusammen mit der Wurmflechte an extrem windgefegten Lücken in der Zwergstrauchheide, aber auch an Felskanten und Graten mit extremer Trockenheit vor. Sie ist eine blassgelbe Bodenflechte mit etwas strauchigem Wuchs und deutlich abgeflachten, runzeligen Lagerabschnitten. An der Basis sind diese etwas dunkel gefärbt. Fruchtkörper findet man nur selten, die Verbreitung erfolgt hauptsächlich durch Lagerbruchstücke, die vom Wind verblasen werden. Die Schneeflechte wächst meist oberhalb der Waldgrenze und ist arktisch-alpin verbreitet. In Tieflagen ist sie sehr selten.
Weil es zumindest früher in der Volksmedizin bei Schleimhautreizungen im Mund und Rachenraum und Husten als Tee Verwendung fand und deshalb gesammelt wurde, ist das Isländische Moos (Cetraria islandica), in unserer Dialektsprache der „Duratee“, eine bekannte Flechtenart. Diese Flechte wird 4 bis 12 Zentimeter hoch, ihre einzelnen Triebe verzweigen sich geweihartig. Nach dieser Wuchsform wird die Flechte mancherorts auch als Hirschhornflechte bezeichnet. Die Äste sind starr, schuppig und oft rinnig verbogen, auf der Oberseite braungrün, auf der Unterseite weißgrün gefärbt. Je nach Lichtexposition lagern die Flechten unterschiedliche Mengen eines braunen Pigments ein, das als Sonnenschutz dient. Flechten der Hochgebirge sind daher dunkelbraun bis schwarzbraun gefärbt. Das Isländische Moos ist bakteriostatisch und immunstimulierend. Als therapeutisch wirksame Bestandteile enthält Isländische Moos Bitterstoffe und Flechtensäuren.
Auffällig in der Farbe und leicht zu erkennen ist auch die Wolfsflechte (Letharia vulpina). Diese Flechte ist eine Charakterart des Lärchen-Zirbenwaldes. Die Flechte mit der safrangelb-grünen Farbe wächst an Baumstämmen. Ihren Namen verdankt sie der früheren Verwendung als Wolfs- und Fuchsköder. Mit Fleischködern gesotten, wurde sie zum Töten von Füchsen und Wölfen ausgelegt.