25 Jahre Alpenkonvention
Am 4. November 2016 hat in Salzburg der Festakt zur 25-Jahr-Feier der Unterzeichnung der Alpenkonvention stattgefunden. Österreich hat im Rahmen dieser Veranstaltung von der Bundesrepublik Deutschland den Vorsitz in der Alpenkonvention für die nächsten zwei Jahre übernommen. Der österreichische Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Andrä Rupprechter hat dabei den Vorsitz unter das Motto „Schützen und Nützen“ gestellt. “Wir wollen die reichhaltigen Naturschätze der Alpen bewahren und gleichzeitig das Gebiet verantwortungsbewusst nützen, um den Alpenraum lebenswert zu erhalten“ erklärte der Minister.
Anlässlich der konstituierenden Sitzung des Koordinierungskomitees im neu geregelten Nationalpark Stilfserjoch am 29. Juni 2016 in Bormio hat der italienischen Umweltminister On. Gianluca Galletti einen gleichen Ansatz für die derzeitige Überarbeitung des staatlichen Rahmengesetzes über die geschützten Gebiete 394/1991 angekündigt: Für die Schutzgebiete sollten in Zukunft nicht nur einschränkende Auflagen gelten, sondern auch wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten zugelassen werden.
Die Grundsatzpositionen und Überlegungen der beiden Minister sind meines Erachtens in ihrem theoretischen Ansatz beide richtig, bezogen auf die Alpen wird es aber sehr auf die praktische Umsetzung ankommen. Die Alpen sind ein Lebens-, Natur-, Kultur- und Wirtschaftsraum, der nicht nur schön ist, sondern auch empfindlich und verletzlich.
Im Südtiroler Anteil des Nationalparks Stilfserjoch hat eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Landesrat Dr. Richard Theiner und fachlich begleitet von Dipl. Ing. Klaus Michor und Dipl. Ing. Verrena Hohenwarter vom Planungsbüro revital aus Lienz im ersten Halbjahr 2016 eine gemeinsame Positionierung für die zukünftige Ausrichtung und Entwicklung des Nationalparks Stilfserjoch erarbeitet:
Das Leitbild des Nationalparks Stilfserjoch
Nationalpark Stilferjoch – Mensch und Natur in Balance
Von den Wildnisgebieten in der Gletscherregion der Ortlergruppe bis in die klimatisch begünstigten Talebenen des Vinschgaus, von den blühenden Almen bis in die Zentren der bergbäuerlichen Siedlungsgebiete ist der Nationalpark Stilfserjoch eine einzigartige alpine Region, geprägt von außergewöhnlich attraktiven Natur- und Kulturlandschaften mit idyllisch gelegenen Bergdörfern.
Mensch und Natur haben hier immer in enger Wechselbeziehung gelebt. Die besondere Beziehung mit dem Naturraum zeigt die jahrtausendealte Bewirtschaftung dieses kleinstrukturierten Berggebietes. In besonderer Verantwortung für die Zukunft wollen sich die Gemeinden des Nationalparks zu einer Modellregion für nachhaltiges Leben in den Alpen weiterentwickeln.
Ob in regionalen bäuerlichen oder gewerblichen Produkten, Dienstleistungen und touristischen Angeboten – überall wird ein innovativer, achtsamer Umgang mit den naturräumlichen Ressourcen und die integrative Vernetzung mit den regionalen Anbietern angestrebt.
Der derzeitige Generalsekretär der Alpenkonvention Dr. Markus Reiterer hat in seiner Salzburger Rede vom 4. November 2016 anlässlich der 25. Wiederkehr der Unterzeichnung der Alpenkonvention durch die Umweltminister der acht Alpenstaaten in Salzburg am 7. November 1991 unter den Herausforderungen des Lebens in unserer Region exemplarisch einige Bereiche aufgezählt.
Ich füge hinzu: Der Grat zwischen Nützen und Schützen ist ein schmaler und ein nicht ungefährlicher. Von Musealisierung allein werden die Bewohner der Alpentäler in deren ländlichen Räumen und Ungunst-Lagen nicht leben und das Bergegebiet auch nicht bewohnt und bewirtschaftet bleiben, ebenso ist eine Intensivierung, Übernutzung und Übererschließung in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen nicht nachhaltig und daher gefährlich und zerstörerisch.
Die alpine Landwirtschaft
Beispiel alpine Landwirtschaft: In den Jahren von 1980 bis 2010 haben im gesamten Alpenraum die landwirtschaftlichen Betriebe von 450.000 auf 210.000 abgenommen. In Südtirol gab es 2010 20.200 landwirtschaftliche Betriebe, drei Jahre später, 2013 noch 18.646, was einem Minus von 7,7% entspricht. Die alpine Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen wegen der Entwicklungen auf dem Weltmarkt, wegen der Auflassung der Milchquoten und allein ob der Tatsache, dass Landwirtschaft in den Bergen unter ganz anderen Produktionsbedingungen abläuft als im Flachland.
Der Verkehr
Beispiel Verkehr: Der Schwerverkehr in den Alpen hat ein Gesamtaufkommen von 4,5 Millionen LKW-Fahrten auf den alpenquerenden Straßenverbindungen zwischen Frejus-Tunnel (F-I) und dem Brennerpass, wobei davon 2 Mio. LKW-Fahrten allein den Brenner betreffen. Es hat fast 20 Jahre gedauert, bis die Europäische Union und das Mitgliedsland Italien das Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention ratifiziert haben. Dieses Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention untersagt den Bau von neuen alpenquerenden Straßen. Südtirol (er)trägt derzeit schon einen großen Anteil des Schwerverkehrsaufkommens. Gottlob ist der unterstützende Aufruf des Obmannes der Südtiroler Frächter-Vereinigung im Herbst 2016 zum Weiterbau der Alemagna-Autobahn aus dem Veneto durch das Puster- und Ahrntal, eine isolierte Lobbyisten-Position geblieben.
Die Energieversorgung
Beispiel Energie: Der Ausstieg aus der Atomenergie aus Sicherheitsgründen per Volksentscheid in Italien war richtig und wichtig. Unser weiterhin steigender Energiebedarf erhöht den Druck auf die erneuerbaren Formen der Energiegewinnung. Dazu zählt auch die Wasserkraft. Die Alpen als Wasserschloss Mitteleuropas sind aber eine endliche und nicht unendliche Reserve. Und der Kampf um das Wasser zur Energiegewinnung und für andere Nutzungen wird sich in den Alpen verschärfen. Heute schon kontrastieren bestehende Rechte zur primär und übergeordnet eingestuften Nutzung als Trinkwasser mit der Brauchwassernutzung für die landwirtschaftliche Bewässerung (Trockenberegnung der verschiedenen Kulturarten und Frostberegnung der Obstkulturen) mit neuen Anträgen zur Stromerzeugung oder zur künstlichen Beschneiung von Skipisten. Die Schneesicherheit wird für den Wintertourismus ein zentrales Thema werden.
Der Erhalt der Biodiversität
Beispiel: Erhalt der Biodiversität: Die Südtiroler Diskussion um die eingeschränkte Ausbringung von Gülle in Natura 2000-Gebieten hat gezeigt, wie schwer wir uns derzeit immer noch mit dem Konfliktfeld Erhalt der Biodiversität von Lebensräumen und Arten und landwirtschaftlicher Intensivierung von Nutzflächen tun.
Der Baulandverbrauch
Beispiel Bauen in den Alpen: In Südtirol sind nur 8% der gesamten Landesfläche als sicheres Bauland außerhalb von Gefahrenzonen geeignet. Vier Prozent und damit die Hälfte haben wir durch unsere Bautätigkeit schon verbraucht. Beim Bau von neuen Volumen ist Maßhalten ein Gebot der Gegenwart und Zukunft. Bei gewerblich genutzten Neubauten in Tourismus- und Gewerbezonen ist vielerorts noch ein architektonischer Qualitätssprung wünschenswert.
Der Klimawandel
Der im Gang befindliche Klimawandel betrifft den Alpenraum stärker als andere Regionen. Gletscherrückgang, Verlust von Permafrost, Veränderung der Vegetation, Zunahme extremer Wetterereignisse sind nur ein paar Indikatoren. Die Erwärmung ist in den Alpen doppelt so hoch wie weltweit und außen umliegend: Seit der Industriellen Revolution hat sich die Jahresdurchschnittstemperatur der Luft weltweit um 0,8°C erhöht, in den Alpen aber um 1,6°C. Mit Auswirkungen auf die Fläche der Gletscher, welche sich halbiert hat: Setzt man die vergletscherte Fläche in den Alpen von 4.460 km² im Jahre 1850 gleich 100%, so betrug sie 2012 mit 2.153 km² nur noch 48% davon. Auftauen des Permafrostes wird neue Abbruchstellen und Rutschhänge nach sich ziehen.
Markus Reiterer hat recht, wenn er es in die Kurzformel bringt: „More of the same, (noch) mehr von demselben (zu tun)“ ist nicht mehr die richtige Antwort auf die Herausforderungen zugunsten der Alpen: Es braucht Einsicht und Willen zu Wandel und Korrektur, Innovation und Kreativität, um Nachhaltigkeit zu sichern.
Buchtipp zum vertiefenden Weiterlesen:
25 Jahre Alpenkonvention. Ein- und Ausblicke. Herausgeber Peter Haslauer und CIPRA Österreich, Eigenverlag Innsbruck (2015), 134 Seiten.
Richtigstellung:
In der Nummer 25/2016 habe ich im Beitrag über die Vögel als Bioindikatoren ein Bild falsch untertitelt, weil ich mich auf die Eigenangabe des Fotografen verlassen hatte. Der als Uhu bezeichnete Vogel ist eine Waldohreule. Hansjörg Götsch danke ich für den Hinweis.