Dabei sind sich wohl alle im Grundsatz einig, dass es über den Denkmalschutz hinaus schützenswerte Örtlichkeiten, Bestände, Dorfteile usw. gibt. Ensembles, an die man sich gewöhnt hat, die für die Identität eines Dorfes stehen können, deren Ersetzung oder Abbruch einem argen Verlust gleichkommt. „Ensembles sind per Definition keine Einzelobjekte, sondern stellen ein Zusammenspiel von mehreren Objekten („Gesamtanlagen“) dar, welche die Geschichte und das Zusammenspiel von Mensch und Natur widerspiegeln und durch ihre Eigenart zur lokalen und regionalen Identität beitragen.“ So definieren die Abteilungen Raumordnung, Natur und Landschaft und die Abteilung Denkmalpflege die Ensembles.
Ein Blick zurück offenbart, wie sich viele Gemeindeverwalter vor einer Näherung und Schutz-Lösung solcher Ensembles geradezu gedrückt haben und drücken. Die Landesregierung hat den Ensembleschutz bereits im Jahr 1997 gesetzlich verankert und den Gemeinden die Zuständigkeit dafür gegeben. Damals allerdings ohne genau zu definieren, was ein Ensemble sein kann. Diese Definition wurde erst 2004 per Landesregierungsbeschluss nachgereicht. Dann hätten die Gemeinden zwei Jahre Zeit gehabt, ein Verzeichnis von Ensembles zu erstellen. Diesen Zeitplan eingehalten haben vielleicht eine Handvoll Gemeinden in Südtirol.
In Naturns etwa hat man im Jahr 2007 die Meraner Architektin Angelika Margesin damit beauftragt, Ensembles ausfindig zu machen, welche den vorgegebenen Kriterien entsprechen. Nach einer Ensemble-Schwangerschaft von 7 Jahren fand in der vergangenen Woche im Naturnser Gemeinderat eine Ensemble-Zwillingsgeburt statt. 16 Ensembles scheinen auf der Liste auf, darunter der Ortskern von Naturns, Tabland, Tschirland und Staben (sh. Tabelle). Zwillingsgeburt deshalb, weil nur ein Ensemble in den Bauleitplan eingetragen wird, die anderen Ensembles mit einem eigenen Passus in der Bauordnung geregelt werden.
Im Vorfeld hat man sich mit dem Heimatpflegeverein Naturns und dem örtlichen Bauernbund auf diese Gangart verständigt. Im Gemeinderat wurde diese Lösung vom Ensembleschutz-zuständigen Referenten Zeno Christanell als „Naturnser Modell“ bezeichnet. Es gibt kein ähnliches Konzept im Lande. Man betritt also Neuland. Christanell: „Ein einzigartiger Weg.“
Es ist ein wattierter Weg. Denn der Gemeinderat hat per Beschluss nur ein einziges Ensemble als solches in den Bauleitplan eingetragen, nämlich den historischen Bahnhof von Staben (Schnalsthal). Dort wohnt niemand, das tut niemand weh, das ist verkraftbar. Der Bahnhof ist vor kurzem restauriert und auf Vordermann gebracht worden.
Für die anderen 15 Ensembles hat man sich eine eigene Lösung „ausgetipftlt“ (BM Andreas Heidegger). In die derzeit bestehende Bauordnung kommt, so hat es der Gemeinderat beschlossen, eine eigene Verordnung zu den Ensembles hinein. Dazu wird es eine eigene „Ensembleschutzkommission“ geben, welche sich mit allfälligen Bau- und Änderungswünschen, die Ensembles betreffend, befassen wird. Auch der Bauherr und sein Techniker bzw. Architekt sollen in dieser Kommission Sitz und Stimme haben. Die Kommission hat ein Gutachten, welches dann für die Baukommission bindend ist, zu verfassen.
„Es ist uns ein Anliegen, den Antragsteller bereits im Vorfeld miteinzubeziehen“, begründet Christanell das Modell. Von Seiten der Gemeinderäte kommt Lob für diese Vorgangsweise. Christa Klotz Gruber mahnte an, dass man in den Ensembles zeitgemäßes Wohnen zulassen müsse. Damit die Ensembles lebendig bleiben. Astrid Pichler sagte, dass man die in Naturns vorherrschende Tradition des Dialoges aufrecht erhalten wolle, damit die Eigentümer etwas tun können und trotzdem der Charakter der Ensembles („wertschätzende Goldsticklen“) erhalten bliebe. VizeBM Helmut Müller: „Wenn man die Landesrichtlinien beschreiten würde, käme das einer Glocke gleich. Dann würden zwei Leute über Baumaßnahmen entscheiden. Sind die Ensembles im Bauleitplan drinnen, bräuchte es für Veränderungen eine Zweidrittel-Mehrheit in der Baukommission. Es ist richtig, dass es so ausgeredet werden kann. Denn so ist ein gemeinsamer Weg möglich.“ Dem Wunsch Müllers, dass die Behandlung eines Antrages innerhalb 90 oder 120 Tagen erfolgen sollte, wurde von Gemeindesekretär Urban Rinner mit dem Hinweis auf die gesetzliche Vorgabe von 60 Tagen begegnet.
Das Prozedere in Naturns in Sachen Ensembleschutz bleibt also weitgehend in Händen der Gemeindeverwalter. Und entwindet sich teilweise den gesetzlichen Vorgaben: Das Raumordnungsgesetz verpflichtet die Gemeinden, ein Verzeichnis der schutzwürdigen Liegenschaften samt entsprechender Erhaltungsmaßnahmen zu erstellen und diese Ensembles durch die Eintragung in den Bauleitplan der Gemeinde rechtswirksam zu schützen. Naturns geht einen anderen Weg.
Wodurch unterscheidet sich der Ensembleschutz vom Denkmal- und vom Landschaftsschutz?
Im Gegensatz zum Denkmal- und zum Landschaftsschutz wird der Ensembleschutz von der Gemeinde initiiert und umgesetzt.
Viele Gemeinden besitzen kulturell wertvolle, aber nicht geschützte Bauten und Anlagen. Durch den Ensembleschutz haben die Gemeinden nun die Möglichkeit, aber auch die damit verbundene Verantwortung, selbst jene Objekte zu schützen, die für ihr Selbstverständnis wichtig sind und ihre Dorf- und Landschaftsidentität bestimmen.
Obwohl es beim Ensembleschutz inhaltlich zu Überschneidungen mit dem Denkmal- bzw. Landschaftsschutz kommen kann, gibt es doch große Unterschiede zwischen den Schutzinstrumenten: Vom Landschaftsschutz grenzt sich der Ensembleschutz vor allem durch das Vorhandensein von Elementen ab, die von Menschenhand geschaffen wurden. Der Unterschied zum Denkmalschutz besteht vor allem darin, dass für diesen das Vorhandensein kunsthistorisch wertvoller Elemente für eine Unterschutzstellung ausschlaggebend ist und man meist nicht nur die Fassade, sondern auch das Innere eines Gebäudes - wie zum Beispiel Gewölbe oder Malereien - bewahren will. Der Ensembleschutz richtet das Augenmerk nur auf das äußere Erscheinungsbild einer Anlage, wobei auch der affektive Wert der Objekte eine Rolle spielen kann. Dies bedeutet, dass es sich bei Ensembles in der Regel um mehrere miteinander in Beziehung stehende Objekte oder um eine Verbindung von architektonischen Elementen mit Elementen der Natur- oder Kulturlandschaft handelt. (Textquelle: Fachbereich Ensembleschutz bei der Abteilung Raumordnung)
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